Albtraum Liebe: Katharina Schüttler und Tom Schilling in "Ich und die Anderen".

Foto: Sky

Dank der Corona-Pandemie findet die Premiere von David Schalkos Ich und die Anderen gleich doppelt und drei-, eigentlich sogar vierfach statt. Die Erstaufführung gab es im März digital bei der zweigeteilten Berlinale. Kommenden Mittwoch wird die Serie ebenfalls im Rahmen des Berliner Filmfestivals, aber vor realem Publikum gezeigt. Am Freitag folgt die Österreich-Premiere in Graz bei der Diagonale, und schließlich am 27. Juli startet die Produktion auf Sky.

Die Pandemie hat ihre Spuren bei Ich und die Anderen auch so hinterlassen. Wie ein Virus verbreitet sich die verwirrende Grundstimmung, in der sich Tristan (Tom Schilling) befindet, als er festgestellt hat, dass sich seine Wünsche erfüllen. Doch nicht ewige Jugend, Reichtum oder Schönheit stehen auf der Wunschliste des jungen Mannes, sondern Antworten auf eine "Was wäre, wenn"-Frage. Und die, so erfahren wir in sechs Kapiteln/Folgen, können einen ganz schön kirre machen.

Böse Blicke

Aber der Reihe nach. Alles beginnt mit einer scheinbaren Alltagssituation. Tristan wacht morgens in seinem Bett auf, im Hintergrund spielt R.E.M., Strange Currencies. Schön. Tristan rekelt sich, tastet – ins Nichts. Dafür kommen Kurznachrichten, die nichts Gutes versprechen: "Du liebst mich nicht." – "Du bist wie ein Fremder für mich." Tristan hält das anfangs noch für einen Irrtum. Aber das ist es nicht, und auch ihm wird bald klar: Hier läuft etwas aus dem Ruder.

Menschen auf der Straße schauen Tristan böse an, Freunde wie Kollegen beschimpfen ihn, der bestellte Caffè Latte wird nicht gebracht, eine Präsentation vor Kunden verläuft absurd schief, der Chef verhält sich merkwürdig. Gut, zumindest das ist nicht weiter ungewöhnlich, aber warum, Himmelherrgott, warum schauen alle so böse?

Weil sie alles wissen. Über Tristan, seine Gedanken, Geschichten, Geheimnisse. Tristan hat sich das gewünscht, klärt ihn und uns eine gute Fee in Gestalt eines Taxlers auf. Und das ist erst der Anfang.

Sehr schnell sehr einsam

Als surreales Spiel mit den Möglichkeiten präsentiert sich Ich und die Anderen, in dem sich der Braunschlag-, Altes Geld- und M-Macher Schalko einmal mehr in die Niederungen des Menschseins begibt, wo er seinem Helden einiges zumutet. Die Information am Rande: Wahrheit ist auch keine Lösung.

Kapitel zwei dreht die Verhältnisse um: Tristan weiß alles über alle und ist damit ebenfalls sehr schnell sehr einsam. Folge drei bringt Liebe für alle mit Zweisamkeit, Luftballonherzen und Nähe, die auf Dauer keiner aushält. In der vierten Folge liebt Tristan alle und nervt damit gewaltig. In Folge fünf trifft ein Roboterhelfer im Sinne der Effizienzsteigerung die richtigen Entscheidungen, was in Wahrheit nur zur Depression führen kann. Folge sechs fasst den Irrsinn zusammen, inklusive eines schrägen Auftritts von Robert Palfrader als Hitler mit Katzerl.

Virus, Isolation, Entfremdung sind die Themen, um die Ich und die Anderen kreist, was auch in Dialogen zum Ausdruck kommt. Immer wieder fallen Vokabel wie "Virus", "Burnout", "Zombie". Wir sehen: die Überzeichnung einer gestörten Welt wie im Corona-Fieber.

Erotische Störungen

Ausgehend von beunruhigenden Was-wäre-wenn-Fragen exerziert Schalko an seinem Helden exemplarisch die emotionalen Ausnahmesituationen einer Pandemie durch, die besonders in neurotischen Beziehungen zum Ausdruck kommen: zur sinnsuchenden Lebensgefährtin (Katharina Schüttler), zur Jugendliebe und Projektionsfläche (Mavie Hörbiger), zum exzentrischen Chef (Lars Eidinger) sowie zur eigenen erotisch gestörten Familie – den Eltern (Martin Wuttke, Sophie Roiss) und Tristans Schwester Isolde (Sarah Viktoria Frick).

Diesem Seelenlabyrinth sechs Episoden lang zu folgen ist durchaus eine Herausforderung. Speziell Menschen, deren Streamingprogramm mehrheitlich aus Netflix-Serien besteht, könnten mit der Nichterzählung Ich und die Anderen Probleme haben. Schalko, der sich immer wieder vom Einheitsbingewatchingbrei distanziert, präsentiert mit seinem Verwirrspiel in Black Mirror- und David-Lynch-Anmutung einen inhaltlich und ästhetisch ambitionierten Gegenentwurf. Dass er dabei mitunter über die Stränge schlägt, etwa in ermüdender Wiederholung sexueller Überladungen (Penisverlängerung, geile Kunstszene – huch!), sei dahingestellt.

Bodenhaftung Ibiza

Dass eine Serie wie diese in Zeiten der Überproduktion nicht selbstverständlich ist, sollte allerdings alarmieren – nicht zuletzt, weil einer österreichischen Produktion (Superfilm) wie Ich und die Anderen nicht jeden Tag gelingt, auf einen Schlag internationales Publikum zu erreichen.

Mehr Bodenhaftung verspricht Schalkos nächster filmischer Streich: Die Arbeit am Drehbuch zu einem Projekt über das Ibiza-Video schreitet offenbar voran. (Doris Priesching, 5.6.2021)

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