Schriftstellerin Friederike Mayröcker: ein Glücksfall für die Sprache.

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"Nur nicht enden möge diese Seligkeit dieses Lebens. Ich habe ja erst angefangen zu schauen zu sprechen zu schreiben zu weinen", wünscht Friederike Mayröcker in einem ihrer letzten Bücher. Bis zuletzt stellte sie Übungen an, wie weit sie in der Sprache gehen könnte. Als ließe sich das Ende so austricksen. Denn der Tod war ihr verhasst. Nicht einmal ihre Sätze beendete sie ja gerne. Doch es hat nichts geholfen. Nun ist die Dichterin in Wien verstorben.

1924 ebendort geboren, waren es die Grenzen der Sprache, auf die Mayröcker sich zeitlebens zubewegt hat. Begonnen mit den Kindheitssommern im niederösterreichischen Deinzendorf, die das eher schreckhafte und kränkliche Mädchen 15-jährig zu frühesten "gültigen" Gedichten formulierte. Es wurde daraus ein einziger langer Schreibfluss, nur hin und wieder von der Notwendigkeit unterbrochen, gekappt zu werden, um zwischen zwei Buchdeckel zu passen.

Schnell erzählt

Lyrische Prosa, prosaische Lyrik und Hörspiele sind so zustande gekommen, an der Zahl mehr noch als Lebensjahre und Preise. "Bin weltabgewandt", beteuerte Mayröcker später gerne. Schnell erzählt sind folglich die äußeren Daten dieses Lebens. Wie verhasst war ihr etwa der Brotberuf als Englischlehrerin, den sie 1946 zeitgleich mit ersten kleinen Veröffentlichungen antrat!

Mehr als 20 Jahre lang sollte sie davon zu ihrer "asozialen Tätigkeit" des Schreibens nach Hause flüchten, ehe sie sich 1969 vom Dienst karenzieren ließ. Im Jahr zuvor hatte sie den Hörspielpreis der Kriegsblinden gewonnen.

Außenseiterin und Innenwelt

Doch obwohl bald schon bei Suhrkamp verlegt und von allen Seiten viel gelobt, wurden ihre Bücher weit weniger gelesen. Die beim Publikum so beliebte Verständlichkeit wurde ihr nie zum Anliegen. Ob Schreibbarkeit gleich Lesbarkeit sei, fragt ein Text. Antwort einerlei.

Vor allem von Preisgeldern lebte die Dichterin fortan und konnte sich dank ihrer nun ganz in ihre "Zettelhöhle" zurückziehen, wie sie die Wohnung in der Zentagasse, die sie ab 1950 bewohnte, sinnfällig nannte. Denn alles, was sie zur Arbeit befeuerte, wurde hier gesammelt. Das habe sich "ergeben durch die Art des Schreibens", erklärte sie die Stapel von Büchern und das Wuchern der Papiere in Körben und Schubladen.

Im Schreibrausch

Fotos der Dichterin, das Gesicht halb versteckt hinter einem Vorhang aus schwarzen Haaren, prägen seit damals das Bild von ihr. Hier klebten Fotografien an den Wänden und dröhnte klassische Musik laut und auf Repeat gestellt "wie eine Droge". Mit dem Blutdruck trieb ihr der Schreibrausch nicht selten auch die Tränen hoch, aber anders könnte sie den "heiligen Geist des Schreibens" nicht empfangen, gab sie ebenso oft wie bereitwillig zu Protokoll. Und wie sie ihn empfing! "Die Abschiede", "Das Herzzerreissende der Dinge", "brütt oder Die seufzenden Gärten" oder "Mein Herz, mein Zimmer, mein Name" entstanden nun als Ergebnisse ihrer Suche nach einer "neuen experimentellen Romanform".

Allein schon die Titel zeugen von dem, was sie dabei thematisch umtrieb: Liebe, Verlust, Weltangst, Alter und Krankheit sind die Kerne, um die herum sich die Texte, flirrend gesponnen aus Erinnertem, Erlebtem, Geträumtem und Angelesenem, anlagern. Ständig machte Mayröcker sich zu diesem Zweck Notizen, die sie dann immer wieder aufs Neue hervorkramte und an der Schreibmaschine collagierte. Handlung wollte sie keine, denn auch ihr Leben nahm sie nicht als linear wahr, sagte sie. Musik von Maria Callas und Gabriel Fauré, Bilder von Bacon, Dalí und befreundeten Künstlern, Blumen und Tiere und Bekannte und Freunde durchstreifen die Zeilen und Seiten.

Die Autorinnen Daniela Emminger und Judith Nika Pfeifer haben Friederike Mayröcker im September 2020 in ihrer Wohnung interviewt.
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Zärtlicher Blick

Und dauernd "wilderte" sie in fremden Büchern, etwa von Jean Paul und Jacques Derrida, die ihr neben dem Surrealismus der größte Einfluss waren und welche Exzerpte sie dann ebenso einbrachte. Dichtergruppen wie der Wiener, deren "Atomisieren" der Sprache ihr missfiel, schloss sie sich nie an. Es ist ein zärtlicher Blick auf die Welt. Allerdings auf eine, die das erzählende Ich sich gerichtet hat; die bürokratischen Zumutungen einer Existenz fanden nie Einlass darin.

Dafür füllte sie halbe Bücher, indem sie über das Schreiben schrieb. Nirgendwo sonst kann man so auf die Jagd nach Wortschöpfungen gehen wie bei ihr. Felder von "Geistesspektakeln" und "Wortphänomenen" tun sich auf. Dieser Anspruch an die Form bedeutete für Mayröcker die zweite und wichtigere Hälfte des Weges, den der Schreibende zurückzulegen habe: jene wieder aus sich heraus. Deshalb verwehrte sie sich auch gegen das Prädikat "autobiografisch". Abgeschiedenheit war Bedingung für diese Arbeit. Und so hatten sie und ihr "Hand- und Herzgefährte" Ernst Jandl, als jener im Sommer 2000 starb, fast 50 Jahre gemeinsam und doch getrennt verbracht – in wilder Ehe und übereinanderliegenden Wohnungen. Nie wieder schreiben zu können befürchtete sie damals.

Zugleich üppig

Doch sie zog einen Stock höher, in seine Wohnung, und machte weiter. Einen "wilden Schreckling" nannte sie sich selbst, eine "sanfte Wilde", widersprach ihr Dichterkollegin Elfriede Gerstl. Mayröckers jeder Konvention von Interpunktion, Syntax und Orthografie spottende Texte gehören zum Radikalsten und zugleich Zärtlichsten der deutschsprachigen Literatur. Sie sind nahezu unverschämt eigenwillig, zugleich üppig und gebrochen, in sich selbst ausufernd und verschlüsselt. Nie machen sie es dem Leser leicht, lassen ihn oft zweifelnd zurück.

Aber dann tut sich wieder in der kleinsten Wendung ein eigener Kosmos auf! Zahllose Auszeichnungen würdigen dies, darunter 2016 der erste Österreichische Buchpreis und am bedeutendsten der Georg-Büchner-Preis 2001. "Ich lebe ich schreibe", heißt es an einer Stelle in ihrem Werk – ohne Komma, ohne Wenn und Aber. Friederike Mayröcker, der ein Ehrengrab zugedacht wird, bleibt ein Glücksfall für die Sprache.

Kollegen reagieren

Auch unter der Kollegenschaft war die Anteilnahme große: "Wir trauern um unsere liebe Friederike Mayröcker. Bewunderte Dichterin, enge Freundin Alfred Kolleritschs, 75-fache Beiträgerin zu den manuskripten, einfühlsame Stimme am Telefon. Charm the air, liebe Fritzi ...", hieß es auf dem Twitter-Account der Grazer Literaturzeitschrift "manuskripte".

"Eine Ausnahmeautorin ist nicht mehr", trauerten IG Autorinnen Autoren-Chef Gerhard Ruiss, Robert Huez (Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur) und Brigitte Rapp (IG Übersetzerinnen Übersetzer) in einer gemeinsamen Aussendung. "Niemand konnte das Schreiben so mit dem Leben verknüpfen wie sie. Ihr literarisches Werk ist ebenso umfangreich wie einzigartig. Mit ihr geht nicht nur eine außergewöhnliche Dichterin von uns, wir verlieren auch eine große Förderin anderer Autorinnen und Autoren und der Literatur, für die sie in jeder Hinsicht Großes geleistet hat.

Einzigartig war sie

"Mit Friederike Mayröcker ist eine einzigartige Dichterin von uns gegangen", reagierte der Literaturwissenschafter Klaus Kastberger. "Ihr langer und absolut kompromissloser poetischer Weg führte sie zu einer schwindelerregenden Ausdrucksform der Gefühle. So etwas hat die deutschsprachige Literatur vorher noch nicht gesehen. Ein Stück Mayröcker wird für immer in unserer Sprache bleiben. " Friederike Mayröcker "war die größte Dichterin unserer Sprache. Jeder Mensch findet in ihrem Werk seinen geborgenen Winkel, seinen Platz zum Ausruhen, seinen Lobpreis. Meine Trauer ist sehr groß. Zumindest habe ich mich ein Mal im Leben nützlich gemacht und für Friederike Mayröcker einen Snoopy gezeichnet, denn sie liebte diesen Hund mit der Schreibmaschine", sagte der Grazer Autor Clemens Setz. (Michael Wurmitzer, 4.6.2021)