In den vergangenen eineinhalb Jahren haben es auch einige in der STANDARD-Redaktion im Wortsinn erfahren dürfen: Wer als Camper unterwegs ist, gewinnt gerade viele neue Eindrücke. Als Gourmetkritiker etwa musste man zuweilen in einem Wohnwagen auf dem Parkplatz von dem Restaurant übernachten, um in der Pandemie legal an Haubenküche zu kommen; als Automobilredakteur inspiziert man derzeit vermehrt die Kofferräume von Kastenwägen – um zu checken, ob da nicht doch im Ernstfall ein vollwertiges Doppelbett reinpasst.

Kennen Sie Camping auch so? Als unbeweglichen Kleingartenverein, der oft gar nichts mit Mobilität oder Spontanität zu tun hat? Das ging jedenfalls dem Autor so, bis er ausgerechnet im Lockdown bemerkte, wie beweglich die Sache gerade wird.
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Als Reisefuzzi war man zuletzt sowieso nur auf vier Rädern in Österreich unterwegs – keineswegs zum Nachteil der eigenen Lernkurve: Wer seit kurzem "wild", also zumindest weit ab von Campingplätzen ganz legal bei Privatleuten am Bauernhof campieren darf, wähnt sich vom Freiheitsgefühl fast schon in Skandinavien. Da wie dort waren die Geschichten über unsere Camping-Erlebnisse jedenfalls so neu, dass wir einige davon in den kommenden Wochen in der Kolumne "Zeltfest" erzählen wollen. Beginnen wir mit dieser ...

Episode eins: Warten auf die Rückkehr des Büros

Zu Pfingsten ins nahe Ausland? Kam für den Reiseredakteur dieses Jahr nicht infrage. Er wollte unbedingt noch einmal auf einem Bauernhof im verregneten Pongau campieren und mietete dafür einen Campervan – von einem Privatmann. Recht schnell wurde dabei klar: Erst wenn Erich Riedl mit seinem Büro nach Hause zurückkehrt, können andere damit auf Urlaub fahren. Klingt komisch, ist aber so – Riedls mobile Außenstelle ist ein lässiger Campervan.

Der Oberösterreicher verrichtet den Außendienst seit nunmehr fast einem Jahr im topausgestatteten Wohnmobil, und andere warten nur darauf, dass er die Arbeit endlich ruhen lässt. Dann nämlich, und nur dann, vermietet er sein nagelneues Gefährt über die dafür gedachte Plattform "Paul Camper". Längst haben die Segnungen der Share-Economy – Stichwort: "Teilen ist sinnvoller als kaufen" – auch die Camping-Community erreicht.

An tolle Fahrzeuge kommt man mittlerweile über Share-Economy-Konzepte, und übernachten kann man auch in Österreich quasi mitten in der Natur.
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Riedl ist ein gefragter Spezialist für Lacke und Farben. In seinem Büro in Mattighofen berät er Kunden in ganz Österreich, wie man etwa aus Marmorstaub großflächige Gemälde gestaltet und was sich mit seinen ausgeklügelten Oberflächentechniken sonst noch alles anstellen lässt. Aber er macht das eben nicht nur dort. Wenn es etwa in einem großen heimischen Wellnesshotel zu demonstrieren gilt, wie sich seine Techniken im Nassraum einsetzen lassen, rückt er mit dem Wohnmobil an. Im Laderaum hinten führt er eine ganze Palette an Mustern mit, im diskret durch Vorhänge verdeckten Bett darüber schläft Riedl dann irgendwann nach dem Kundenbesuch.

Wer einmal das skandinavische Jedermannsrecht kennen und lieben gelernt hat und fixe Stellplätze scheut ...
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"Ich konnte Hotels nie leiden, also habe ich mir im Sommer 2020 mitten in der Pandemie diesen Camper geleistet", erzählt Riedl und macht dabei eine kurze Führung durch die rund zwölf Quadratmeter fahrenden Eigenheims mit Homeoffice-Funktion. Auf exakt sechs Meter Länge findet immerhin eine Kombüse mit Gasherd wie in einer Profiküche Platz und ein vollwertiges Bad mit Dusche und Toilette, das viel geräumiger wirkt als die Nasszelle in Wohnmobilen aus früheren Jahrzehnten. Zum Einsatz kommt es dennoch nicht jeden Abend auf Riedls Österreich-Tourneen, dafür gibt es in beinahe jeder größeren Stadt Stellplätze mit ordentlichen Duschen und Waschräumen.

In der Hauptstadt etwa übernachtet Riedl regelmäßig auf dem Reisemobil-Stellplatz Wien in der Perfektastraße. Für 22 Euro pro Nacht bekommt man dort sein mehr oder weniger ruhiges Platzerl für die Nacht inklusive Frischwasser- und Stromanschluss. Das alles erfährt man, wenn man als Mieter für ein paar Tage in den Genuss dieses luxuriösen Rollcontainers kommt.

... kann nun in Österreich sein Glück auf Bauernhöfen probieren und dort recht einsam in oft bildschöner Landschaft übernachten.
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Während andere auf Instagram noch durch unwirkliche Bilder vom Homeoffice auf den Seychellen scrollen, hat Riedl seinen Traum daheim in Österreich schon verwirklicht. Er sei, wie er sagt, seit frühesten Tagen ein begeisterter Camper und fühle sich inspiriert, wenn er unterwegs ist. Auch schlafe er besonders tief und erquicklich in dem wirklich komfortablen Bett im Heck und treffe dadurch immer froh und munter beim Kunden ein. Beim Rundgang um das Fahrzeug, das man vor der Miete auf mögliche Dellen im Blech überprüft, sticht denn auch gleich Riedls lustiger Werbespruch auf dem Heck des Vans ins Auge: "Näher am Kunden geht nicht" steht dort, und damit behält der überaus mobile Berater wohl recht.

Keine Kratzer im Lack

Nun mag sich so mancher fragen, woher Riedls Vertrauen in die Menschheit rührt, wenn er seinen sündteuren Camper tageweise an Fremde vermietet. Die Dinger kosten neu deutlich jenseits der 50.000 Euro und sind mittlerweile so edel ausgestattet, dass sie viele Eigentümer wohl eher nicht hergeben würden.

Doch der Farben-und-Lacke-Profi scheint zumindest recht unerschrocken zu sein, was eventuelle Kratzer im Lack seines nagelneuen Campers betrifft: "Ist doch eh alles versichert", sagt er beruhigt und ergänzt: "Ich freue mich darüber, diese tolle Anschaffung auch mit anderen teilen zu können." Auch das glaubt man dem Oberösterreicher gerne und verabschiedet sich ins lange Pfingstwochenende – immer mit ein wenig Spundus, nicht doch den ersten Kratzer zu verursachen. (Sascha Aumüller, 4.6.2021)