Der ÖVP-Abgeordnete Andreas Hanger findet den Umgang der Neos mit U-Ausschuss-Dokumenten "hinterhältig".

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Die Stimmung zwischen ÖVP und Neos im Ibiza-Untersuchungsausschuss bleibt vergiftet. Nachdem die Neos zugegeben haben, die vertraulichen Ausschussdokumente zu den Chats des suspendierten Justizsektionschef Christian Pilnacek an Medien weitergegeben zu haben, warf ÖVP-Fraktionschef Andreas Hanger ihnen am Freitag "hinterhältige Politik" vor.

Die Neos hätten in Presseaussendungen zwar so getan, als hätten sie aus den Medien davon erfahren, meinte Hanger. Nach seinen Recherchen wurden die Unterlagen aber von den Neos weitergegeben, wie etwa deren Beschriftung zeige. Nachdem die ÖVP am Donnerstag zur Pressekonferenz für Freitag eingeladen hatte, bestätigten die Neos tatsächlich prompt in einer Aussendung die Veröffentlichung. Die Oppositionspartei rechtfertigte ihr Agieren damit, dieses sei "im Interesse der Republik notwendig gewesen, um die Integrität der Justiz und des Verfassungsgerichtshofes sicherzustellen".

"Das ist unmöglich", empörte sich Hanger am Freitag und ortet Gesetzesbruch der Pinken. Zudem gehe es hier um Persönlichkeitsrechte. Gefragt, ob er ausschließen könne, dass auch die ÖVP Dokumente aus dem Ausschuss an Journalisten weitergebe, meinte Hanger: "Von meiner Seite schließe ich das zu hundert Prozent aus."

Konsequenzen für Neos fraglich

Man habe die Sache jedenfalls der Parlamentsdirektion zur Kenntnis gebracht, erklärte Hanger. Den Neos drohen vorerst noch keine Konsequenzen. Strafbar wäre eine Veröffentlichung erst ab der Klassifizierungsstufe 3 ("geheim"). Die betroffenen Akten sind in Stufe 2 ("vertraulich") eingeordnet – eine Sanktionsmöglichkeit wäre hier ein Ordnungsruf des Ausschussvorsitzenden, also von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP).

Neos-Generalsekretär Nikola Donig, der die Veröffentlichung eingeräumt hat, ist aber kein Mitglied des U-Ausschusses und kann daher auch keinen Ordnungsruf bekommen, wie ein Parlamentssprecher auf APA-Anfrage erklärte. Möglich wäre ein Ordnungsruf theoretisch für jene Person (aus dem Ausschuss), die Donig die Akten gegeben hat – aber "dafür gibt es aktuell keine klare nachweisbare Verantwortlichkeit".

Scherak findet ÖVP-Anschuldigung "skurril"

Dass sich die ÖVP nun "so echauffiert", fand der stellvertretende Neos-Klubobmann Niki Scherak "einigermaßen skurril". Er hielt er den Türkisen vor, selbst mehrmals Akten geleakt zu haben. Die früherere Neos-Abgeordnete Griss stellte im Ö1-"Mittagsjournal fest, dass die Öffentlichkeit "schon ein Recht hat, zu erfahren, wie Personen in verantwortungsvollen Positionen denken". Eigentlich wäre das Problem hier "nicht die Veröffentlichung, sondern dass so gedacht, so geschrieben wird".

Prinzipiell sei die private Kommunikation vom grundrechtlichen Schutz der Privatsphäre umfasst. Aber für Personen des öffentlichen Lebens gelte laut langjähriger Judikatur ein eingeschränkter Schutz der Privatsphäre. Bei ihnen sei zwischen dem Recht auf private Kommunikation und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit abzuwägen.

SPÖ sieht System Kurz bröckeln

SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried ging bei einer Pressekonferenz auf die Leak-Debatte zwischen ÖVP und Neos nur am Rande ein. Die SPÖ halte sich jedenfalls an Gesetze, meinte er knapp. Scharfe Worte fand Leichtfried allerdings zur Causa Pilnacek/Brandstetter selbst und den Attacken der ÖVP auf die Justiz.

SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried tritt den Angriffen der Türkisen auf die WKStA entgegen.
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Er warf den Türkisen vor, "Krieg" gegen die Justiz zu führen und diese "systematisch zu diffamieren". Leichtfried begrüßte den Rücktritt von Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter als Verfassungsrichter, erinnerte aber daran, dass es Kanzler Sebastian Kurz gewesen sei, der Brandstetter vom Ministeramt auf einem ÖVP-Tickert rasch in den VfGH befördert habe.

Brandstetters Rücktritt sei nur der erste, "es werden weitere folgen", sagte Leichtfried und nannte Finanzminister Gernot Blümel und Öbag-Chef Thomas Schmid als potenzielle Rücktrittskandidaten. "Das System Kurz beginnt anständig zu bröckeln, wobei anständig hier das falsche Wort ist", so Leichtfried. An der Stelle des ÖVP-Fraktionsführers im U-Ausschuss, Hanger, würde er "zerknirscht in mich gehen" und sich "schämen für die Respektlosigkeit", die die ÖVP der Justiz und dem Rechtsstaat gegenüber zeige. Stattdessen greife die ÖVP die Justiz weiter an. "Die ÖVP führt eine Art Krieg gegen die WKStA und damit gegen den Rechtsstaat."

Die Chats des suspendierten Justizsektionschefs Pilnacek zeigen laut Leichtfried, dass der jahrelang höchste Beamte im Justizressort "Teil des Netzwerks gewesen ist". "Die "türkise Truppe" von Kanzler Kurz glaube offenbar, dass sie über dem Recht und dem Staat stehe. (APA, red, 4.6.2021)