Öffentliche und andere Hände: Illustration aus "Daily Soap".

Foto: Pascale Osterwalder

Ich neige dazu, mich zu verausgaben, bis ich völlig ausgelaugt bin." Wie eine gigantische Lupe hat die Corona-Krise – zumindest für einen unabwendbaren Augenblick – den Blick auf Missstände in unserer Gesellschaft gelenkt. Nicht etwa, dass diese zuvor übersehbar gewesen wären, lediglich die Möglichkeit, sie wegzuargumentieren, war mit einem Mal entfallen.

Man denke an die Pflegekräfte. Als sie aufgrund von Sonderregelungen zur Pandemie in das abgeriegelte Land eingeflogen werden mussten, um einen Zusammenbruch des Pflegesystems zu verhindern, wurde die Bedeutung ihrer Arbeit für unsere Gesellschaft schlagartig sichtbar.

Auch die bisherige Missachtung ihrer Leistung und die teilweise ausbeuterischen Bedingungen wurden dabei ins Licht gerückt. Ein ähnliches Beispiel stellen die Saison- und Erntearbeiterinnen dar, die plötzlich ausblieben. Ihre unzumutbaren, nicht selten illegalen Arbeitsverhältnisse zu Niedrigstlöhnen, ihre unwürdigen Unterkünfte erregten Aufsehen.

Doch Corona hat unsere Sicht auf die Welt und Wahrnehmung der Dinge vielleicht tiefgreifender verändert, als wir es uns bewusst sind. Das zeigt ein Bändchen mit der grafischen Erzählung Daily Soap – Aus dem Leben eines Seifenspenders. Die aus der Schweiz gebürtige Zeichnerin Pascale Osterwalder, inzwischen Wienerin, hat einer jener praktischen Einrichtungen zur ästhetischen Aufmerksamkeit verholfen, die seit der Epidemie jäh in den Mittelpunkt unseres Alltags rückte: dem Seifenspender.

Daily Soap ist zugleich Seifenoper und elegisches Klagegedicht, Drama und tragische Komödie in grafischer Form. "Ich stehe hier und warte." In kurzen, lakonischen Sätzen lässt die Autorin den mit weichem Bleistift auf rauem Papier gezeichneten Seifenspender aus seinem täglichen Leben erzählen.

In veristischer Badezimmer- und Abwaschästhetik sind Details von Hand und Daumen zu sehen, die einen Seifenspender bedienen: "Ich brauche Druck von außen, damit ich funktioniere." Nach häufigem Gebrauch ist der Spender zunehmend erschöpft: "Danach fühle ich mich leer."

Hygiene und Händewaschen

Interessant daran ist, dass Osterwalder nicht erst durch die Pandemie zu ihrem Sujet gelangt ist. Bereits 2007 ist die Illustratorin und Animationskünstlerin darauf gestoßen und hat sich seither in unterschiedlichen Medien damit befasst. Seit dem ersten Lockdown und dem global etablierten Ritual des unablässigen Händewaschens haben sich ihre von inneren Monologen eines Hygieneartikels begleiteten Zeichnungen zum begehrten Augenschmaus entwickelt.

Der rechte Zeitpunkt für den Buchauftritt war gekommen. Nachdem die Opern geschlossen wurden, hat sich die Empfänglichkeit für die täglichen Seifenopern auch abseits herkömmlicher Schauplätze gesteigert. Tatsächlich greift Osterwalders Drama, in dem neben einer ganzen Reihe weiterer Seifenspenderschicksale auch der Putzschwamm Roy eine Rolle spielt, auf eine viel archaischere Gabe des Menschen zurück. Was Elias Canetti einst als "Verzauberung durch Tiere" bezeichnet hat, beschreibt die Fähigkeit des Menschen, sich in den Tieren wiederzuerkennen. Es ist eine Spiegelung in der Differenz. Für Canetti liegt darin ein Garant menschlicher Verschiedenartigkeit, einer lebensnotwendigen Verwandlungsmöglichkeit.

Ähnlich wie Canetti ein Theater der Tiere inszeniert Osterwalder ein Drama der Dinge. In ihrem Fall sind es Gebrauchsdinge. Das stoisch-stumme Dasein der Dinge ist der ideale Boden für Reflexion. In der kontemplativen Betrachtung der Dinge entfaltet sich ein Drama der gesellschaftlichen Selbsterkenntnis. Die Überraschung über die Ähnlichkeit in der Fremdheit schafft das Theater, das nichts anderes ist als ein Spiegel unserer selbst.

Der moderne Spender

Osterwalders Seifenoper trifft einen Nerv der Zeit. Im Seifenspender erkennen wir ein Symbol der Verdinglichung des dienstleistenden Menschen in einer neoliberalen Ausbeutungssituation. "Der moderne Spender ist ein flexibler Spender. Er ist intelligent, sensibel und individuell (einstellbar)." Die lakonische Doppelbödigkeit der Sätze entlarvt die gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Tristesse bis hin zur überwältigenden Depressivität, die sich in den Spenderschicksalen ausdrückt, wird jedoch durch die Distanz, die wir zu den Dingen einnehmen, gebrochen. In die Melancholie mischt sich Witz. In die Tragik Komik. Das Theater der Dinge wird erträglich. Daily Soap ist sogar vergnüglich. (ALBUM, Martin Reiterer, 5.6.2021)