Klimaschützerin Greta Thunberg und Fridays for Future: mit der Geduld am Ende – aus nachvollziehbaren Gründen.

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Kaum ein Menschenalter ist es her, da galt für Kinder und Halbwüchsige eine unumstößliche Regel: Sie hatten im Beisein Erwachsener gefälligst den Mund zu halten. Das Gebot juveniler Schweigsamkeit galt so lange, bis sich Vater oder Vormund eines Besseren besann: "Du redest erst, wenn du gefragt wirst!"

Wohlgemerkt: Die Brut durfte ausschließlich dann ihre Beredsamkeit entfalten, wenn der Vater, in Stellvertretung Gottes, seine Sprösslinge, gleich welchen Geschlechts, zu examinieren wünschte. Oder, heilsgeschichtlich gesprochen: wenn Papa über seine missratene Brut zornesrot zu Gericht saß.

Nicht erst seit gestern wurde an der alten hierarchischen Leiter, die wie selbstverständlich eine Generation über die nächste stellt, so lange gerüttelt, bis sie umfiel. Doch in den vergangenen Monaten und Jahren löste sich die Autorität der Alten und "Weisen" auf wie Butter in der Pfanne. Jungsein wird frank und frei zur neuen Produktivkraft erklärt.

Das aufgekratzte Selbstbewusstsein der Küken stützt sich auf ihre technologische Hochrüstung. Keine andere Generation vor ihnen wusste besser Bescheid über Chancen und Nachteile einer Kommunikation, in der Sender und Empfänger permanent die Rollen tauschen. Längst bemisst sich die Mobilisierbarkeit der Jungen nicht an politischen Axiomen, nach denen sie ihr Handeln ausrichten. Ihre wichtigste Produktivkraft: Man erreicht sie gut auf Facebook und Twitter.

Endlich Ernst machen

Die Wut, die sich im Anklageton einer Greta Thunberg unüberhörbar Bahn bricht, beruht andererseits auf folgendem Wunsch: Ihr Alten habt versagt! Andere, Bessere, als ihr es seid, müssen endlich Ernst machen mit euren Imperativen, eurer verlogenen Moral! Schluss mit väterlichen Gottesgerichten. Was die einen den anderen an gelebter Erfahrung voraushaben, gereicht ihnen hier und jetzt ausdrücklich zum Nachteil. Es sind die Jungen, die über die Alten zu Gericht sitzen: Ihr Popanze des Wachstums, ihr faulen Nutznießer fossiler Verbrennungsvorgänge, ihr habt es versaut.

Eingeklagt wird somit das Kleingedruckte im Generationenvertrag, die Hinterlassenschaft. Irgendwann, in nicht allzu ferner Zeit, wird die Erbschaft angetreten werden. Ohne notarielle Beglaubigung soll ein kohlendioxidverseuchter Planet in die Obhut der Jungen übergehen. Boomer, "weiße alte Männer" und Junggebliebene sollen ihre skandalöse Übermacht, ihre Verfügungsgewalt über Gedanken, Worte und Werte, schleunigst an diejenigen abtreten, die heute in den Kinderschuhen stecken.

Vor ein paar Jahrzehnten wären solche Aspiranten auf die Weltherrschaft schallend verlacht worden. Damals antwortete ein französischer Präsident auf den Vorwurf, sein Kabinett bestehe aus lauter 70-Jährigen: Aber nur, weil ich nicht genug 80-Jährige gefunden habe! Das Projekt der europäischen Aufklärung lief die vergangenen 250 Jahre auf Hochtouren. Dennoch ließen es sich Emporkömmlinge wie Napoleon Bonaparte nicht nehmen, auf die Lebenserfahrung solcher "Greise" wie Außenminister Talleyrand zu setzen.

Das Ableben verpasst

Mitunter verpassen die ehrwürdigsten Gestalten auch das eigene Ableben. Sie verabsäumen es mit ihrer Weigerung, zeitgerecht abzutreten, für ihresgleichen Ehre einzulegen. Solche Starrköpfe wandeln hinfort wie Gespenster durch die Bezirke der Macht. Kaiser wie Franz Joseph von Österreich (1830–1916) erwiesen sich als unfähig, ihren Platz rechtzeitig zu räumen. Mit seiner Widerborstigkeit, die Monarchie zu reformieren, glich er selbst einem vereinsamten Symbolträger. Der Kaiser stand für einen Staat von immer geringerer Substanz: als "Mensch von sehr spärlichen Ausmaßen" (Hermann Broch), der zu vertrocknen schien. Und mit der abstrakten Pünktlichkeit eines mittleren Beamten dahinlebte, ohne Anzeichen von Vitalität.

Sollte der biblische Isaak von seinem Vater Abraham heute aus lauter Gottesgehorsam geopfert werden: Das gute Kind bräche noch vor Zusammentragen der Opfersteine in schallendes Gelächter aus. Das Abhandenkommen elterlicher Autorität wird den Angehörigen der Generation 50 plus ordentlich zu denken geben. Was für die "Alten" spricht: Der neoliberale Markt hat sie als "Best Ager" und genussfreudige Konsumenten für sich entdeckt. Und es werden ihrer täglich mehr. Und mehr. (Ronald Pohl, 5.6.2021)