Die Chats von Sektionschef Pilnacek, die nun öffentlich wurden, machen dessen Chance auf eine Rückkehr ins Ministerium endgültig zunichte.

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Alma Zadić ist nicht Herbert Kickl. Die beiden könnten unterschiedlicher nicht sein: hier die in Bosnien geborene, einst über die linke Liste Pilz in den Nationalrat gekommene Justizministerin; dort der stramm nationale Kärntner, der schon Jörg Haiders Reden schrieb und wohl bald die FPÖ übernehmen wird. Für viele in der ÖVP ist Alma Zadić aber Herbert Kickl, zumindest hinter vorgehaltener Hand. Tatsächlich fanden sich die beiden im Abstand von drei Jahren in derselben kniffligen Konstellation wieder: als Ministerin und Minister fremd im eigenen Haus zu sein – und zu versuchen, die dortigen ÖVP-nahen Netzwerke zu entwirren.

Zadić steht in ihrem Match gegen die eigenen Spitzenbeamten weitaus besser da: Zwar ist die strafrechtliche Beweislage dünn. Politisch sind die Enthüllungen über die Aktivitäten von Sektionschef Christian Pilnacek und seinen Verbündeten jedoch schockierend. Kein Wunder, dass sich die Opposition hinter Zadić stellt – und dass Ex-Minister Wolfgang Brandstetter wenige Stunden nach Publikwerden seiner Chats mit Pilnacek seinen Rückzug als Verfassungsrichter bekanntgab. Die Konversationen waren von der Staatsanwaltschaft Innsbruck ausgewertet und an den U-Ausschuss geliefert worden.

In ihren Konversationen schimpften Pilnacek und Brandstetter, der von Türkis-Blau zum Höchstrichter am Verfassungsgerichtshof bestellt worden war, über ebendiesen. Die Themen Sterbehilfe und Kopftuchverbot für Volksschüler brachten sie in Rage, Pilnacek wollte den VfGH nach Kuba exportieren und äußerte sich sexistisch und womöglich rassistisch über Verfassungsrichter; Brandstetter erzählte Interna aus den Beratungen des Höchstgerichts.

Scharfe Kritik an Pilnacek-Chats

Er sei "erschrocken und bestürzt" über die Inhalte der Chats, sagte VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter am Freitag. Dass Pilnacek davon sprach, einem "durch den VfGH fehlgeleiteten Rechtsstaat" könne man nicht dienen, sei "auf das Schärfste" zurückzuweisen. Wenngleich inhaltliche Kritik an Entscheidungen des VfGH legitim sei, sagte Grabenwarter. Er hätte heute, Freitag, das Gespräch mit Brandstetter gesucht; dieser gab jedoch schon am Donnerstag seinen Rückzug als Verfassungsrichter bekannt.

In einem außergewöhnlichen Schritt meldeten sich auch die vier Präsidenten der Oberlandesgerichte gemeinsam zu Wort: "Wir distanzieren uns nachdrücklich von jeder Art der Herabwürdigung, Beschimpfung und Schmähung des Verfassungsgerichtshofs, seiner Mitglieder und seiner Entscheidungen."

Die heftigen Reaktionen zeigen, wie sehr die Enthüllungen die Justiz erschüttern – der Konflikt, der zu dieser Explosion führte, schwelte allerdings schon jahrelang.

Die Rolle der WKStA

Eine entscheidende Rolle spielte dabei – wie auch schon bei Kickls Kampf gegen angeblich korrupte schwarze Netzwerke – die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Sie ist mittlerweile zum Gottseibeiuns der ÖVP geworden; weil sie gegen den Kanzler, den Finanzminister, deren Kabinettschef, zwei frühere Finanzminister, eine Vizeparteiobfrau, die Justizsprecherin im Nationalrat und den türkisen Chef der Staatsholding Öbag ermittelt.

Aber nicht nur bei der ÖVP, sondern auch innerhalb der Justiz hat die WKStA mächtige Gegner – allen voran Sektionschef Christian Pilnacek. In der Darstellung der Opposition hat das vor allem politische Gründe: Pilnacek machte unter schwarz-blauen Justizministerinnen und -ministern Karriere und stieg als Generalsekretär ab 2018 selbst in die politische Sphäre ein. Immer wieder lieferte er sich atemberaubende Matches mit der Korruptionsstaatsanwaltschaft; die angeblich heimliche Tonbandaufnahmen nach außen spielte, ihm im U-Ausschuss Befangenheit vorwarf und intern gegen ihn mobilmachte.

Wer sich im Ministerium und in anderen Staatsanwaltschaften umhört, merkt jedoch, dass Pilnacek mit seinem Unmut gegen die WKStA nicht allein dasteht – und dass die Behörde nicht nur aus politischen Gründen ein Reibebaum ist.

Manches ist profan: Viele Staatsanwälte ärgert, dass ihre Kollegen bei der WKStA höher eingestuft sind und Fälle im Bereich Wirtschaftskriminalität und Korruption "an sich ziehen" oder abgeben können. Die WKStA ist eine Eliteeinheit, und sie sieht sich auch so: So sagte ihr Staatsanwalt Matthias Purkart im U-Ausschuss, die Verfahren der WKStA seien "die Nagelprobe des Rechtsstaats", weil man regelmäßig "gegen die Reichen und Mächtigen" ermittle. Zwar ist der Druck auf die WKStA teilweise enorm. Aber auch Staatsanwälte, die gegen Terroristen oder Mafiosi ermitteln, setzen einiges aufs Spiel – sie ärgern solch selbstbewusst vorgetragene Sätze.

Ein anderes Problemfeld: Wer ständig korrupte Netzwerke in der Politik untersuche, verliere womöglich die Balance zwischen berechtigtem Misstrauen und Paranoia, sagt eine der WKStA durchaus wohlgesonnene Justizmitarbeiterin. Tatsächlich ist die Behörde aufmüpfig wie keine andere Staatsanwaltschaft. Mit der Fachaufsicht hat sich in den vergangenen Jahren ein erbitterter Konflikt entsponnen, der mit allen Mitteln ausgefochten worden ist.

Die verhasste Pyramide

Entgegen der landläufigen Meinung sind Staatsanwaltschaften nämlich ganz und gar nicht "unabhängig", sondern streng hierarchisch organisiert. Die sogenannte Fachaufsicht ist pyramidal angelegt: Staatsanwaltschaften berichten ihrer Oberstaatsanwaltschaft – im Fall der WKStA der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien; die dem Ministerium bis hin zur Ministerin.

Noch vor einem Jahr sah die "Weisungskette" für die WKStA ganz anders aus als heute: Da war zunächst Hans Fuchs, Leiter der OStA Wien, der an die Weisungsabteilung meldete, dann kam Sektionschef Pilnacek und schließlich Ministerin samt Weisungsrat.

Im Idealfall vertrauen Staatsanwaltschaften ihren Vorgesetzten und akzeptieren deren Entscheidung als fachlich begründet. Die WKStA sah hingegen politische Interventionen – und in den vergangenen Monaten gab es dafür zwar immer mehr Indizien, aber keine handfesten Beweise.

Die Eskalation erfolgte in Stufen: Sie begann mit der Causa Stadterweiterungsfonds, als bei den Untreue-Ermittlungen gegen hochrangige Beamte des Innenministeriums per Weisung ein Verfahrensteil eingestellt wurde.

Dann kam der große Krach, bei dem Kickl eine prominente Rolle spielte. Gestützt auf ein dubioses Konvolut und befeuert von heute teils selbst beschuldigten Belastungszeugen, marschierte die WKStA im Februar 2018, unterstützt von der Einsatzgruppe gegen Straßenkriminalität (EGS), im Verfassungsschutz ein. Ein blauer Gemeinderat leitete die Razzia aufseiten der Polizei; Kickls Generalsekretär Peter Goldgruber war in die Vorbereitung eng eingebunden.

Sein Gegenüber Pilnacek wurde von der Aktion eiskalt erwischt. Gemeinsam mit Minister Josef Moser legte er der WKStA enge Zügel an: Sie musste künftig drei Tage im Voraus über wichtige Verfahrensschritte wie Hausdurchsuchungen berichten. Pilnacek versuchte, das Chaos nach der BVT-Razzia in den Griff zu bekommen. Im U-Ausschuss damals an der Seite von Peter Pilz: Alma Zadić, frisch angelobte Abgeordnete. Sie befragte die Staatsanwältin im BVT-Komplex scharf und zitierte eine E-Mail Pilnaceks, in der er ein "katastrophales Bild" der WKStA-Arbeit in dieser Causa beklagte. Von SPÖ, Neos oder Grünen und Liste Jetzt hätte ihm damals kaum jemand widersprochen.

Persönliche Verwerfungen

Seither hat sich die Stimmungslage diametral gedreht. Binnen drei Jahren wurde Pilnacek für die Opposition zum Erzfeind, die WKStA hingegen zur Säulenheiligen. Als Zadić das Justizministerium Anfang 2020 übernahm, war der Sektionschef schon sturmreif geschossen.

Einen entscheidenden Beitrag dazu lieferte die Tonbandaufnahme einer Dienstbesprechung, die wohl von der WKStA nach außen gespielt wurde. Die Behörde hatte da gerade von der Staatsanwaltschaft Wien den riesigen Eurofighter-Komplex erhalten und, gelinde gesagt, sehr unterschiedliche Ansichten, wie man weiter vorgehen sollte. Pilnacek und OStA-Wien-Chef Fuchs drängten auf einen raschen Abschluss des Verfahrens; die WKStA wollte es neu strukturieren und beklagte Ressourcenmangel. Es kam zu Schreiduellen; Pilnacek sprach davon, im "Scheißakt" einzelne Verfahrensstränge "zu derschlagen". Wer Staatsanwälte dazu befragt, hört, dass das in der Justizsprache bedeutet, wenig aussichtsreiche Aspekte rasch abzuwickeln. Die WKStA interpretierte es als Amtsmissbrauch und zeigte Pilnacek an; es folgte eine Gegenanzeige – Ermittlungen gab es keine.

Kurz nachdem die Causa hochgepoppt war, schlug das Ibiza-Video wie eine Bombe in die heimische Politik ein. Es war Wasser auf die Mühlen der WKStA, da sich ein Korruptionsverdacht über die halbe Republik legte. Gemeinsam mit einer polizeilichen Sonderkommission (Soko) begann sie zu ermitteln. Schnell gab es Hinweise, dass Mitglieder der Soko ÖVP-nahe wären. In einem außergewöhnlichen, rechtlich wackligen Schritt begann die WKStA, Soko-Mitglieder zu durchleuchten. Clemens Jabloner, damals Justizminister der Expertenregierung, erteilte dem eine scharfe Absage. Im ganzen Land fragten Polizisten plötzlich "ihre" Staatsanwälte, ob diese auch Backgroundchecks durchführten.

Doch die WKStA hatte auch recht: Ein Polizist, der gegen die Ibiza-Drahtzieher ermittelte, hatte dem Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache kurz zuvor aufmunternde SMS geschrieben. Und er war einst auf Lokalebene für die ÖVP aktiv gewesen und hatte, so sagt es die WKStA, gravierende Fehler in Ermittlungen zur "ÖVP-Schredderaffäre" gemacht.

Der Anfang vom Ende

Als Zadić im Jänner 2020 zur Ministerin wurde, hatte die ÖVP gerade eine Kampagne gegen die WKStA gestartet. Für die Grünen war klar, dass die Korruptionsermittler mit aller Kraft unterstützt werden müssten. In mehreren Schritten gab ihnen Zadić mehr Freiräume: Zuerst wurde Pilnacek durch eine Reorganisation aus der Fachaufsicht entfernt – ein "Foul", wie er in Chats meinte. Ein Hinweisgeber spielte dann E-Mails von Fuchs und Pilnacek an die WKStA, die diese dem U-Ausschuss vorenthalten hatten. Von ihren Unterstützern heißt es, der Hinweisgeber hege seit Jahren einen Groll gegen Fuchs, weil der ihn bei einer Personalentscheidung nicht unterstützt habe. Nach der Lieferung der E-Mails folgte massiver interner Druck. Ein "falsch verstandener Korpsgeist", sagen wiederum dessen Verbündete.

Es folgten Ermittlungen; plötzlich legte sich auch der Verdacht des Geheimnisverrats auf die beiden. SMS des Superreichen Michael Tojner legten für die Ermittler nahe, dass seinem Verteidiger Brandstetter Pilnacek vorab eine Hausdurchsuchung verraten hatte – es folgte dessen Suspendierung, es gilt die Unschuldsvermutung.

Die WKStA bekam parallel viele Zugeständnisse: Die Vorab-Berichtspflicht fiel, die allgemeine Berichtspflicht sollte reduziert werden. In der ÖVP stieg Panik auf: Man fühlte sich, als würden politisch motivierte Staatsanwälte nicht mehr im Zaum gehalten werden. Für die Opposition und die Grünen wirkt es so, als könne endlich ein schwarz-türkiser Sumpf aufgedeckt werden. Dass Staatsanwälte neutral ihren Hinweisen nachgehen und dabei auch Fehler begehen, ist nur mehr für die wenigsten Politiker vorstellbar.

Mit der Veröffentlichung seiner heiklen, teils geschmacklosen Chats ist die Ära Pilnacek im Ministerium wohl endgültig zu Ende. Dass dadurch Ruhe einkehren wird, ist zu bezweifeln: Zu hoch sind die Verwundungen, die der Konflikt auch abseits von WKStA, Fuchs und Pilnacek verursacht hat. Politisch bleiben die Ermittlungen ebenso brisant: In der Causa Casinos schlummern wohl noch einige türkis-blaue Bomben; außerdem könnte die WKStA bald dem Kanzler wegen des Verdachts der Falschaussage den Prozess machen – es gilt die Unschuldsvermutung.

Herbert Kickls Abgang als Minister war nach Ibiza für die ÖVP Koalitionsbedingung. Ob es bei Zadić so weit kommen wird, steht noch in den Sternen – oder in den zigtausenden SMS, die die WKStA gerade auswertet. (Fabian Schmid, 4.6.2021)