Hubert Sauper schlägt sich in "Epicentro" vor allem auf die Seite der Frauen.

Foto: Stadtkino

Von Kuba nach Florida ist es nicht weiter als von Wien nach Salzburg. Die kleine räumliche Distanz enthielt aber lange Zeit eine prinzipielle Grenze. Denn Kuba versteht sich als sozialistischer Staat, und die USA sind – je nach Sichtweise – der Inbegriff von Freiheit, Kapitalismus, Imperialismus, Konsumismus oder Kreuzfahrttourismus.

In Hubert Saupers neuem Film Epicentro ist ein amerikanischer Besucher in Havanna auf Fotosafari zu sehen. Er ist begeistert von den Kindern, die in seine Kamera lachen, als sie allerdings nach einer kleinen Spende fragen, zeigt er sich arrogant. Es ist doch ein Privileg, von ihm fotografiert zu werden. Touristen, so sagt danach jemand, sind so ziemlich die schlimmste Form von menschlichem Wesen, die einem begegnen kann.

Sauper nimmt dies zum Anlass für eine kritische Frage: Ist nicht das Kino auch immer touristisch?

Im Schatten der USA

Epicentro stellt zumindest einen Versuch dar, hinter die Klischees zu kommen, mit denen sich Touristen begnügen. Hubert Sauper, bisher vor allem mit Filmen aus Afrika bekannt geworden (Darwin’s Nightmare, We Come As Friends), identifiziert sich mit dem kleinen Land im Schatten des übergroßen. Er sieht Kuba nicht einfach als einen Ort, an dem es schön ist, sondern möchte ihm eine Funktion zuweisen: Wenn Amerika sich für den Nabel der Welt hält, dann ist Kuba das Epizentrum.

Von hier könnten die Wellen ausgehen, die vielleicht einmal die ausbeuterische Globalisierung zum Einsturz bringen. Epicentro ist ein Revolutionsfilm, auch wenn die Bastille, die hier gestürmt wird, nur ein Luxushotel ist, in dem zwei Kinder in einem Pool planschen, zu dem sie niemals Zutritt haben würden. Es hat eine lange Tradition, dass Männer sich in exotische Weltgegenden begaben, um dort das wahre Leben zu finden. Frauen reisen natürlich auch, aber meistens mit weniger Großthesen im Gepäck.

Flüchtiges Aufleuchten

Sauper schlägt sich in Kuba vor allem auf die Seite der Frauen, und seine Überlegungen zur Weltlage sind niemals dogmatisch, sondern haben eine tastende, poetische Form, sie suchen keine Belege, sondern ein flüchtiges Aufleuchten von Schönheit. Es ist ein bisschen so, als würde jemand mit Epiphanien gegen die Globalisierung kämpfen, die überall nur Waren sieht, wo Sauper Wahrheiten findet. Prophetische Wahrheiten, genauer gesagt. Seine beiden wichtigsten Figuren, zwei Mädchen an der Schwelle zur Pubertät, weist er im Abspann als "little prophets" aus. Auch das ist ein geläufiger Topos, sich gegen die übermächtigen Rationalitäten (die dann die ganze Welt mit unfairen Freihandelssystemen überzieht) auf die Seite der Kinder zu schlagen.

Sauper als Komplize

Sauper macht sich da selbst zum Kind, zum Komplizen zumindest, zu einem verschwörerischen Freund, der sich mit kleiner, intimer Kamera in die Unschuld mit hineinnehmen lässt, deren Verlust Leonelis und Amielys mit dem Anprobieren von Damenkleidern schon andeuten.

Es sind erotisierte Bilder in vielerlei Hinsicht, mit denen Sauper sein Kuba einzufangen sucht, eines, in dem schließlich die Enkelin von Charlie Chaplin ein Lied singt und in dem die Wellen der Karibischen See sich zu einem Bildgedicht formen. 1964 entstand mit massiver Hilfe der Sowjetunion in Kuba einer der größten Revolutionsfilme: Soy Cuba, eine logistische Meisterleistung mit aufwendigen Kamerafahrten und ausgeklügelten Choreografien.

Welt wird sich ändern

Beinahe könnte man meinen, dass Sauper seinen Film Epicentro als Antwort darauf gedacht hat, formal ganz gegensätzlich in seinem Impressionismus, in der Sache aber der damaligen Botschaft verpflichtet. Von Kuba aus wird die Welt sich verändern. Das vertritt Sauper, indem er sich selbst an die Spitze dieser damaligen Identifikation setzt: Soy Cuba. Ich bin Kuba.
(Bert Rebhandl, 5.6.2021)