Ein zweiter Supermarkt hat den Raabern gerade noch gefehlt. Zumindest wenn man den örtlichen Vertretern von FPÖ und SPÖ in der kleinen Gemeinde im Bezirk Schärding (OÖ) Glauben schenkt. Diese setzen sich gemeinsam seit Monaten dafür ein, dass eine Liegenschaft am Ortsrand von Grünland in Bauland umgewidmet wird, sodass ein regionaler Bauunternehmer für die Rewe-Gruppe dort einen Billa hinbauen kann.

Der Schönheitsfehler dabei: Erst im Vorjahr wurde ein bestehender Supermarkt mitten im Ort, ein Unimarkt, erweitert, wofür drei baufällige Häuser abgerissen wurden. "Jetzt ist der Unimarkt besser sichtbar, und Parkplätze gibt es dort auch", berichtet Claudia Brunner von den Grünen Raab. Sie kämpft seit Monaten gegen den neuen Supermarkt am Ortsrand, Seite an Seite übrigens mit der ÖVP. Eine Bundeskoalition auf Gemeindeebene.

Der Gemeinderat von Raab hat allerdings die Umwidmung mit blau-roter Mehrheit bereits beschlossen. Zu dem Vorgang gab es dann mehrere Stellungnahmen; "fast alle positiv", erklärt Bürgermeister Josef Heinzl (FPÖ) dem STANDARD. Eine allerdings war negativ, und das war doch eher "die wichtigste", sagt Heinzl – jene der Raumplanungsbehörde des Landes OÖ. Deren Vorbehalte hat die Gemeinde nun wiederum versucht auszuräumen. Jetzt liegt die Causa zur finalen Entscheidung wieder beim Land.

Die Menge macht’s

Fälle wie jener in Raab geschehen in Österreich zuhauf; mit schöner Regelmäßigkeit findet man Berichte über Umwidmungspläne in den Medien. Meist allerdings nur in Regionalmedien. Ein Supermarkt oder ein Chaletdorf hier, eine Logistikhalle oder eine Einfamilienhaussiedlung dort: Jeder einzelne Fall erscheint wenig bedeutend, geht es doch fast immer nur um wenige Tausend Quadratmeter. 9000 sind es in Raab. Also 0,9 Hektar.

Doch wenn man den Schritt zurückmacht und das große Ganze betrachtet, ergeben all die kleinen Fälle in der Summe einen immensen Flächenverbrauch. Er hat sich bundesweit seit 2010 zwar um die Hälfte reduziert, aber knappe 13 Hektar pro Tag (!) sind es immer noch. Der Zielwert wäre schon im Jahr 2010 bei maximal 2,5 Hektar gelegen. Das wurde 2002, also vor knapp 20 Jahren, in der Nachhaltigkeitsstrategie des Bundes festgesetzt.

Doch das ist weiterhin nur Theorie. "Überall wird munter drauflos gewidmet", sagt Gernot Stöglehner, Experte für Raumplanung an der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku). Im Einzelfall könne man dann nie sagen, dass genau an dieser einen Umwidmung der Flächenverbrauch in Österreich "kippt".

Wenn ein großer Versandriese ein Logistikzentrum bauen wolle, wie das Amazon derzeit in Graz vorhat, dann schaut man zwar schon genauer hin. "Aber bei den kleinen Projekten tut man das nicht. Die haben kumulative Auswirkungen, werden aber nicht als solche erkannt."

Das sieht man auch am Beispiel Raab. Während der Billa dort nämlich die Wogen hochgehen lässt, hat die Gemeinde ohne jedes Aufsehen 45 Parzellen für Einfamilienhäuser gewidmet. "Die Nachfrage nach Bauland besteht ungebrochen", heißt es in der Gemeindezeitung. Wieder rund 4,5 Hektar mehr.

"Scheibchenweise" kippe so eben irgendwann alles "ins Unerträgliche", sagt Boku-Professor Stöglehner. "Das führt irgendwann einmal zu einem Riesenproblem."

Kompetenzloser Bund

Eines, das aber schon lange bekannt wäre. Raumplanungsexperten und Umweltorganisationen mahnen seit Jahr und Tag zu flächensparendem Bauen. Und auch die Bundesregierung hat das Problem nicht erst erkannt, seit die Grünen Teil von ihr sind. Im türkis-grünen Regierungsprogramm von 2020 ist dem Thema "Gesunde Böden und zukunftsfähige Raumordnung" nun aber ein ganzes Unterkapitel gewidmet. Dort wird eine "österreichweite Bodenschutzstrategie" versprochen, samt einem "Zielpfad zur Reduktion des Flächenverbrauchs" auf die berühmten 2,5 Hektar. Deadline diesmal: 2030.

Das Problem dabei ist nur: Der Bund hat bei der Raumplanung de facto keine Kompetenzen. Sie ist Sache der Länder und Gemeinden. "Die Länder beschließen Raumordnungsgesetze und vollziehen die Gesetzgebung der überörtlichen Raumplanung, die Gemeinden die örtliche", erklärt es Stöglehner genauer. Mit Ausnahme von Flächen für hochrangige Infrastruktur, also etwa Autobahnen, kann der Bund nicht eingreifen. An sich wäre das auch nicht nötig, meint der Experte.

Es hapert an der Planung ...

Wenn, ja wenn es nicht ordentliche Lücken in der überörtlichen Raumplanung der Länder gäbe. In Oberösterreich seien beispielsweise nur etwa zehn Prozent der Gemeinden von einer solchen "regionalen" Raumplanung erfasst, also einer vom Land koordinierten Planung. In der Steiermark und in Salzburg sei es besser, da gebe es nur wenige Lücken. "Und Niederösterreich setzt vor allem dort, wo es starke Siedlungsdynamik gibt, auf Regionalplanung" – also etwa im Wiener Umland.

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Chaletdörfer sind in touristischen Gebieten gerade sehr angesagt bei Bauträgern, aber auch bei Gemeinden.
Foto: Picturedesk

In Kärnten gibt es hingegen noch einiges zu tun. Im südlichsten Bundesland, genauer in den Gemeinden Bad St. Leonhard und Wolfsberg, gehen auch gerade die Wogen hoch. Ein Chaletdorf beim Skigebiet Klippitztörl soll ausgebaut, acht Hektar Grünland dafür umgewidmet werden. Auch zu diesem Projekt gab es zuletzt zahlreiche Berichte, zum Beispiel in den Unterkärntner Nachrichten. Bürgermeister Dieter Dohr spricht von einer Wertschöpfung von 2,2 Millionen für die Region; Anrainer befürchten, dass "der Berg komplett zugebaut wird".

Für Ortschefs, die einen Investor an der Angel und das Prosperieren ihrer Gemeinde im Blick haben, ist das allerdings selten ein Gegenargument. "Es ist ja schon verbaut, auf ein paar Häuser mehr oder weniger kommt es nicht an", entgegnete Vizebürgermeister Heinz Joham (Liste Dohr) via Kleine Zeitung. Die Nachfrage sei groß.

Die Aufsichtsbehörde, also das Land Kärnten, hat nun eine strategische Umweltprüfung veranlasst. "Die Gemeinde ist Widmungsgeber, wir nur die Aufsichtsbehörde", sagt der zuständige Landesrat Daniel Fellner (SPÖ). Und: Grundsätzlich könne das Land eine Umwidmung nur untersagen, wenn sie den gesetzlichen Vorschriften widerspreche.

"Ich sehe solche Projekte extrem kritisch", so der Landesrat; aber jeder Grundeigentümer habe "das Recht, um eine Widmung anzusuchen". Und auch die Gemeinde Bad St. Leonhard wolle das Projekt "unbedingt".

... und am Vollzug

Verhindern ließe sich das Projekt möglicherweise mit klaren landesgesetzlichen Beschränkungen für Zweitwohnsitze. "In Kärnten gibt es die aber nicht", erklärt der Raumordnungsrechtsexperte der TU Wien, Arthur Kanonier.

Auch er kritisiert, dass einige Bundesländer keine landesweiten Raumordnungsprogramme haben und es vielerorts noch keine Siedlungsgrenzen gibt. "Es wird viel geredet, aber wenig geplant." Die Länder wären also einerseits vor allem als Planungsbehörden stärker gefordert, sagt er. Und es hapert Kanoniers Ansicht zufolge auch am "Vollzug" der Raumordnungsgesetze durch die Landesregierungen.

Der Vollzug, das wäre am Beispiel des geplanten Supermarkts in Raab die Raumordnungsabteilung des Landes Oberösterreich, die zur Zuständigkeit von ÖVP-Landesrat Markus Achleitner gehört. Wie wird er entscheiden?

Die einfache Antwort lautet: "Gar nicht". So heißt es jedenfalls aus seinem Büro dem STANDARD gegenüber. "Die Entscheidung hinsichtlich des Supermarktprojekts in Raab liegt bei der zuständigen Aufsichtsbehörde, der Abteilung Raumordnung." Dieser sei das Verfahren von der Gemeinde zur aufsichtsbehördlichen Genehmigung vorgelegt worden. "Die Prüfung läuft, eine Entscheidung muss bis Anfang August erfolgen."

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Auf die Natur wird selten Rücksicht genommen.
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Doch in Wahrheit ist es komplizierter. Das weiß Uli Böker aus eigener Erfahrung. Sie ist Landtagsabgeordnete für die Grünen Oberösterreich, früher war sie Bürgermeisterin von Ottensheim bei Linz. In beiden Rollen hat sie viel raumordnungsrechtliches Know-how sammeln können.

Hoffnung auf strenge Aufsicht

Böker ist als Raumordnungssprecherin ihrer Fraktion laufend mit fragwürdigen Umwidmungen im ganzen Land beschäftigt, und zwar immer wieder mit mehreren gleichzeitig. Jedenfalls dann, wenn die Pläne überhaupt auf Landesebene zum Thema werden.

So wie der Fall Scharnstein: In der Marktgemeinde im Bezirk Gmunden wurden im Vorjahr 13 Parzellen von Grünland in Bauland umgewidmet, 3,5 Kilometer vom Ortskern entfernt. Laut den Oberösterreichischen Nachrichten ist der Geschäftsführer der Firma, die das Grundstück besitzt, ein ÖVP-Funktionär.

Die Fachabteilung für Raumordnung in der Landesregierung hielt die Umwidmung zunächst "aus rein fachlicher Sicht" für eine schlechte Idee. Doch die Gemeinde fasste einen Beharrungsbeschluss, und die Aufsichtsbehörde gab schließlich doch ihren Sanctus – begründet mit einer "Interessenabwägung durch den Raumordnungsreferenten der oberösterreichischen Landesregierung", also Landesrat Achleitner. Wofür es von der Volksanwaltschaft prompt einen Rüffel gab: Interessenabwägungen habe nicht die Aufsichtsbehörde, sondern der Gemeinderat als zuständige Planungsbehörde vorzunehmen.

Wie oft kam das im Vorjahr vor, dass eine Gemeinde gegen einen negativen Bescheid der Aufsichtsbehörde einen Beharrungsbeschluss fasste und es dann doch zur Umwidmung per "Interessenabwägung" auf Seiten des Landes kam? Das wollte Böker vom Landesrat wissen, bekam aber keine Antwort. DERSTANDARD fragte ebenfalls an und bekam aus dessen Büro einen Satz als Antwort, der vom Rüffel der Volksanwaltschaft beeinflusst zu sein scheint: "Interessenabwägungen führt immer der jeweilige Gemeinderat durch, die Aufsichtsbehörde prüft dann, ob diese rechtmäßig war."

Eine Frage der Arbeitsplätze

Alles sehr kompliziert und undurchschaubar. Böker hofft aber, dass solche Fälle nun nach dem per 1. Jänner etwas verschärften oberösterreichischen Raumordnungsgesetz nicht mehr vorkommen. Für den Supermarkt in Raab erwartet sie eine endgültige "Versagung" der Umwidmung, alles andere wäre für sie eine Überraschung. Landesrat Achleitner hat nämlich den erst im Vorjahr ausgebauten Unimarkt im Zentrum Raabs schon mehrmals ein Vorzeigeprojekt genannt, das "genau unserer künftigen aktiven Raumordnungspolitik entspricht, bei der wir noch stärker die Nutzung bestehender Flächen in den Ortszentren anstelle von Neuwidmungen ‚auf der grünen Wiese‘ in Oberösterreich vorantreiben wollen", schrieb er in einer Presseaussendung zum Start des Projekts im Jahr 2019.

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"Überall wird munter drauflos gewidmet", so Gernot Stöglehner, Boku-Professor.
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Für den Raaber Bürgermeister Heinzl wäre die Versagung aber ein schwerer Schlag. Er weist auf 40 Arbeitsplätze hin, die das Projekt für seine Gemeinde bedeuten würde. Geht der Plan schief, droht sogar ein Verlust an Jobs: Neben dem neuen Billa-Markt will sich nämlich auch ein schon bisher im Ort ansässiger Elektrohändler neu ansiedeln. Den Supermarkt brauche er als Frequenzbringer, heißt es. Kommt der nicht, wandert der Elektrohändler möglicherweise aus Raab ab.

Dass solche wirtschaftliche Überlegungen in Raumordnungsfragen oft ausschlaggebend sind, ist augenscheinlich. Insbesondere auf Gemeinde-, aber auch auf Landesebene. Achleitner ist nicht nur Raumordnungs-, sondern auch Wirtschaftslandesrat. Kann man das immer trennen?

"Diese beiden Sphären liegen oft zu nahe beieinander", kritisiert TU-Professor Kanonier. Er weiß aber auch, dass viele Gemeindevertreter mehr Unterstützung bräuchten, sich oft alleingelassen fühlen in ihren Entscheidungen. "Viele Bürgermeister wären gar nicht unglücklich über mehr überörtliche Raumplanung, das nähme den Druck von ihnen."

Zumindest mehr Vorgaben hätte sich auch Raabs Bürgermeister Heinzl gewünscht. Zum novellierten Raumordnungsgesetz und der gleichzeitig erlassenen "Geschäftsgebiete-Verordnung" gab es bisher keine Durchführungsbestimmungen und -erlässe, sagt er. Auch deshalb müssten solche Umwidmungen seiner Ansicht nach im Rahmen der "Gemeindeautonomie" möglich sein – und auch vor dem Landesverwaltungsgericht halten, wenn es darauf ankommt.

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Boku-Experte Stöglehner weist darauf hin, dass es ja doch schon zahlreiche Gemeinden in Österreich gebe, die das Thema Raumordnung sehr ernst nehmen würden. Doch wenn dann Nachbargemeinden auf kompakte Strukturen pfeifen und lieber auf neue Widmungen setzen, die Arbeitsplätze und Kommunalsteuern bringen, sind sie eben leider oft die Verlierer in diesem System. Auch er plädiert daher dafür, mit stärkerer Regionalplanung in den Ländern "die Handlungsspielräume der Gemeinden einzuengen, was Entwicklungen auf der grünen Wiese betrifft". Auf der anderen Seite brauche es positive Anreize für nachhaltige Siedlungsstrukturen.

Sehr viel Bauland gewidmet

Was ist damit gemeint? Die Antwort auf diese Frage erklärt auch, warum es häufig so große Proteste gegen Neuwidmungen gibt: weil in Österreich bereits mehr als genug Bauland vorhanden wäre. Die Rede ist vom sogenannten Baulandüberhang, also bereits gewidmetem, aber noch nicht verbautem Bauland. "In manchen österreichischen Regionen reichen die Baulandreserven für die nächsten 200 Jahre", heißt es im jüngsten einschlägigen Bericht des Umweltbundesamts. Im Durchschnitt sind rund 26 Prozent des gewidmeten Baulands nicht bebaut, länderweise schwankt der Wert aber natürlich stark, zwischen 4,3 Prozent in Wien und 37,9 Prozent im Burgenland. Im Bezirk Schärding, in dem die Gemeinde Raab liegt, sind es laut einer Karte der Österreichischen Raumordnungskonferenz (ÖROK) 21,4 Prozent. Bundesweit summiert sich das auf eine Fläche, fast zweimal so groß wie Wien: 800 Quadratkilometer.

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Gegen die Neuwidmung von Bauland für Einfamilienhäuser regt sich kaum jemals wo großer Widerstand vonseiten der lokalen Bevölkerung.
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Will man als Gemeinde vorbildlich agieren und auf die "Innenentwicklung" setzen, also die Nachverdichtung bestehender Ortskerne und Siedlungen, braucht man Zugriff auf diesen Bestand. Doch das ist für viele Gemeinden die allerschwierigste Übung. "Wir kommen an diesen Widmungsbestand kaum heran", bestätigt Stöglehner. Anders als das heute schon oft der Fall ist, sind die riesigen Baulandbestände aus den 1970er- und 1980er-Jahren ohne Bauzwang und unbefristet gewidmet worden.

Mobilisierung als Problem

In Tirol will man die "Aktivierung von Baulandreserven" nun angehen, gab die Landesregierung kürzlich bekannt. 20,7 Prozent beträgt dort der landesweite Baulandüberhang. Das macht insgesamt 36 Millionen Quadratmeter, errechnete der Innsbrucker Universitätsprofessor Jürgen Huber für eine aktuelle Studie zur "Förderung leistbaren Wohnens in Tirol" – ein Thema, bei dem man am besten bei den Grundstücken ansetzt.

Im Schnitt sind in Tirol 130.000 m² pro Gemeinde gewidmet, aber nicht bebaut – "genug, um in jeder Gemeinde 250 Einfamilienhäuser auf je rund 500 m² Grund zu errichten", schreibt Huber. Das Problem sei also nicht der Mangel an Bauland, sondern dessen Mobilisierung, "da viele Eigentümer dieses lieber als Reserve oder Kapitalanlage behalten, anstatt es selbst zu bebauen oder zu verkaufen."

Allerdings hat auch die Mobilisierung ihre Tücken, das wird am bereits erwähnten Amazon-Logistikcenter klar. Die 5,7 Hektar südlich von Graz sollen nämlich aktuell nicht umgewidmet werden, sondern sie sind schon sehr lange gewidmet, erklärt die steirische Umweltanwältin Ute Pöllinger, die mit dem Fall gerade viel zu tun hat. Die ganze Zeit über wurde es nicht bebaut, mit der Zeit entstanden Siedlungen unmittelbar daneben. Ein klarer Fall von miserabler Raumplanung. "Wie kann es sein, dass ein so großer Fleck Industriebauland so lange unverbaut bleibt?" Eine frühere Verwendung hätte andere Umwidmungen erspart.

An sich habe die Steiermark im vergangenen Jahrzehnt durchaus neue Instrumente eingeführt, etwa die befristete Baulandwidmung. Das hilft aber eben bei den großen Altbeständen nicht weiter.

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"Es braucht auf kommunaler Ebene dringend mehr fachliche Unterstützung." sagt Uli Böker, Raumordnungssprecherin der oberösterreichischen Grünen.
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Allein in Niederösterreich könnte man nur auf dem bereits gewidmeten Bauland im Ausmaß von rund 230 Quadratkilometern eine Million Einwohner ansiedeln. Doch die Eigentümer können in den meisten Fällen nicht zum Verkauf oder zum Bebauen gezwungen werden. "Wir haben den Grundstückseigentümern damals Rechte gegeben, ohne ihnen Pflichten aufzuerlegen", kritisiert Stöglehner. Er hat vor seiner universitären Karriere in Oberösterreich als Raumplaner gearbeitet und damals Gemeinden beraten. "Manche hatten damals schon Baulandreserven für 70 Jahre", erinnert er sich. Da hätte man also schon vieles einfach rückwidmen können, ohne dass es groß aufgefallen wäre. Und in einzelnen Fällen sei das auch gelungen, sagt der heutige Boku-Professor – indem man mit den Eigentümern geredet hat. Dass damals gerade eine Infrastrukturabgabe eingeführt wurde, habe dabei auch geholfen. Die Gemeinden hätten das aber natürlich damals durchsetzen "und auch politisch durchhalten müssen", mit fachlicher Beratung sei das möglich gewesen.

Mehr Unterstützung für Gemeinden, etwa durch Stadtplaner und Architekten und eventuell auch durch eine Verpflichtung für Gemeinden, auf Ortsplaner zurückzugreifen – das wünscht sich Uli Böker auch jetzt. "Es braucht auf kommunaler Ebene dringend mehr fachliche Unterstützung und mehr Möglichkeiten, Experten beizuziehen."

Der Tiroler Professor Jürgen Huber schlägt überhaupt vor, den Gemeinden die Widmungskompetenzen wegzunehmen und zu einer "Landesraumentwicklungskommission" zu verlagern, die sich u. a. aus Landesbeamten, Richtern und Vertretern diverser Kammern zusammensetzen sollte. Und mit einem Vertreter pro betroffene Gemeinde, jeweils mit Vetorecht ausgestattet.

Von solchen "politisch besetzten" Gremien rät allerdings wiederum Umweltanwältin Pöllinger ab; in der Steiermark werde das angewandt, "das ist aber kompletter Schwachsinn, denn da wird kaum je aus raumordnungsfachlicher Sicht entschieden".

"Länder sind gefordert"

Nach dem Bedarf übrigens auch nicht: Ob eine Gemeinde ein Chaletdorf oder einen Supermarkt braucht, dürfen Raumplanungsbehörden nicht beurteilen, das ist eine rein politische Entscheidung der Gemeinden, sagt Kanonier. Für den TU-Professor sind nun in erster Linie die Länder gefordert, für einen strengeren Vollzug ihrer Gesetze – und die Beseitigung "zigtausender Ausnahmeregelungen" – zu sorgen. Wie hingegen die Bundesregierung mit ihrer kompetenzrechtlichen Nullposition beim Thema Raumplanung Pflöcke einschlagen will, ist ihm ein Rätsel. Er wäre schon froh, wenn der Bund beim Autobahnbau flächensparender vorginge.

Und Kanonier wirft auch eine interessante Frage auf: Wenn der Flächenverbrauch begrenzt wird – wer bekommt dann welchen Anteil daran? Die erwähnten Projekte in Raab und am Klippitztörl summieren sich auf etwas mehr als 13 Hektar – also ziemlich genau das, was pro Tag in Österreich verbaut wird. Wenn das 2,5-Hektar-Ziel gilt — darf Raab dann den Supermarkt bauen oder die Gemeinde Bad St. Leonhard ein paar Chalets?

Womit sich die Geschichte wieder zurück zur Frage dreht: Und wer soll das entscheiden? (Martin Putschögl, 5.6.2021)