David Bennent in "Liberté d’action": Sein Schatten war der einziger Gesprächspartner.

Foto: Nurith Wagner Strauss

Seine sprachmusikalische Dreiecksbeziehung Liberté d’action hat der deutsche Komponist und Regisseur Heiner Goebbels nicht explizit in Hinblick auf Corona und Lockdown konzipiert. Der Zusammenprall der Premiere bei den Wiener Festwochen mit der noch nicht wirklich aus dem Bewusstsein verschwundenen kollektiven Erfahrung (von Rückzug und Isolation) hebt sein szenisches Konzert allerdings auch in den Rang einer aktuellen Reflexion über die Konfrontation des Individuums mit sich selbst.

Es geht zwar um die Zusammenführung von Klangstrukturen mit Texten des Dichters und Malers Henri Michaux (1899–1984). Das Stück, in dem Schauspieler David Bennent einen abstrakten Monolog absolviert, ist in seiner eleganten Vieldeutigkeit allerdings durchaus eine Einladung zur subjektiven Auslegung dieser Begegnung zwischen einsamem Schauspieler und doppelt besetztem Klavier. Da mag sich der eine oder die andere mit kürzlich Erlebtem konfrontiert gesehen haben.

Schillernde Skulptur

Der Musikpart wirkt hier wie eine schillernde Klangskulptur, die aus zwei präparierten Klavieren besteht, in die sich geräuschhafte liveelektronische Verdichtungen mixen. Ueli Wiget und Hermann Kretzschmar (vom Ensemble Modern) traktieren das Innere ihrer Instrumente bisweilen mit Ketten und Milchaufschäumern, was zu subtilen perkussiven Effekten führt.

Zum anderen hat Goebbels, der den Klavierpart erimprovisierte, um ihn später notieren zu lassen, auch freitonale Impressionen ersonnen, die punktuell doch auch in Bewegung geraten. Bisweilen werden die zwei Instrumente dabei ganz eng aneinandergebunden; es wird eine musikalische Periode ungewöhnlich, aber synchron umgesetzt: Das eine Klavier zelebriert Tonhöhen, während das andere die melodischen Bewegungen nur rhythmisch im Unisono doppelt. Interessanter klanglicher Pas de deux.

Figur im Selbstgespräch

Tendenziell verstärkt die Musik aber vor allem die Atmosphäre des Unbestimmten und Absichtslosen, das dem Stück zu eigen ist. Der Advokat einer selbstgewählten "Ödnis", David Bennent, hört dabei nicht nur rezitierend zu. Er verschiebt die auf mobilen Plattformen ruhenden Klaviere, er stellt den Pianisten auch Lampen zur Seite. Seine Aktionen sind die einer Robinson-Existenz, welche nur mit ihrem Schatten zu sprechen scheint. Bennent ist die enigmatische Figur im Selbstgespräch, welche die Einrichtung ihres Aktionsraums permanent umgruppiert. Freiheit des Handelns nimmt hier denn auch nur die Form einer zwanghaften Selbstbeschäftigung an.

In Summe: Sound, Sprache (im französischen Original und in deutscher Übersetzung), Wortklang und Aktion ergeben ein Musiktheater abseits konkreten Erzählens. In den raren impulsiven Momenten wird allerdings auch offenbar, wie viel Intensität in Bennent wartet, mobilisiert zu werden. Da hat der Regisseur Goebbels womöglich doch zu sehr auf den vielschichtigen Komponisten Goebbels Rücksicht genommen. (Ljubiša Tošic, 5.6.2021)