Eine Aufnahme vom Karlplatz in der Nacht auf Samstag.

Foto: APA/CHRISTOPHER GLANZL

30 Minuten vor der Platzsperre war alles recht normal am Karlsplatz: Hier ein paar Skater, da ein paar Jugendliche die trinken, dort ein paar Plauderer. Wäre da nicht die Hand voll Polizeibusse, die neben der Karlskirche bereitsteht. "Platzverbot Resselpark gültig ab heute, 19:00 Uhr" steht da auf einem. Und wäre da nicht diese blecherne Stimme, die via Lautsprechanlage durchgibt, dass um sieben alles leer sein muss.

Was ist passiert? Der Karlsplatz war spätestens in der Pandemie zu einem Hotspot für junge Leute geworden, die zum aller größten Teil eigentlich nur feiern wollten. Doch in der Nacht auf Samstag eskalierte die Situation: Über 60 Anzeigen und acht verletzte Polizisten lautete die Bilanz am Tag darauf. Darüber, wer schuld ist, scheiden sich die Geister: "Die Polizei", sagen die Einen, "die Linksextremen" die Anderen – wobei "die Anderen" Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) miteinschließt.

Am frühen Sonntagmorgen teilte indes die Polizei Wien via Twitter mit, dass das Platzverbot um 8 Uhr wieder außer Kraft tritt – die Gefahreneinschätzung ergab demnach, dass "momentan keine Gefährdungen zu befürchten sind."

Platzverbot wegen Gefahr für "Leben oder Gesundheit"

Am Samstagnachmittag war diese Aufhebung noch nicht absehbar, als die Polizei ein Platzverbot für den Resselpark erteilte: "Aufgrund der jüngsten Angriffe gegen Einsatzkräfte der Polizei und die damit verbundenen strafbaren Handlungen im Bereich des Resselparks, wurde eine Gefahreneinschätzung durchgeführt", hieß es in der Aussendung dazu. Diese hätten ergeben, dass es "auch weiterhin in diesem Bereich zu einer allgemeinen Gefahr für Leben oder Gesundheit mehrerer Menschen oder einer allgemeinen Gefahr für Eigentum oder Umwelt in großem Ausmaß kommen kann".

Zwanzig Minuten vor der Platzsperre rollen die nächsten Polizeibusse an. "Komplett unnötig" sei das, sagt eine junge Frau, die angibt, öfter hier zu sein. Gestern allerdings nicht. "Es macht einfach keinen Sinn", sagt der junge Mann daneben, "in der Politik überbietet man sich mit Öffnungsschritten und hier am Karlsplatz darf man nicht sitzen?"

Pfefferspray und Aktivisten

In der von Nacht zuvor waren hunderte Leute hier – nach der Sperrstunde hatten sie sich getroffen, um zu feiern. Zunächst war die Rede von Sachbeschädigungen, in einer Aussendung der Polizei hieß es dann, die Polizei schritt ein, "um drohende Sachbeschädigungen sowie andere strafbare Handlungen zu verhindern".

Es eskalierte: Im Zuge des Einsatzes wurden Flaschen und pyrotechnische Gegenstände auf Polizisten geworfen, so ein Polizei-Sprecher am Samstag, acht Polizeibeamte seien verletzt worden. 67 Anzeigen seien ausgesprochen wurden, außerdem seien vier Kennzeichen der Polizei gestohlen und ein Auto beschädigt worden, darüber hinaus seien Personen auf Statuen geklettert.

Die Gruppe Sofortmaßnahmen der Stadt Wien zeigte laut Polizei außerdem zwei Personen nach dem illegalen Verkauf von Getränken an. Insgesamt seien 70 Getränke sichergestellt worden. Laut Polizei kam es auch zum Einsatz von Pfefferspray. Videos auf Twitter zeugen von dem massiven Polizeiaufgebot und der angespannten Stimmung.

Kritik an Nehammer und der Polizei

Fünf Minuten vor der Platzsperre dreht eine Gruppe Jugendlicher "Sound of da Police" an, allerdings nicht so laut, dass die Polizeibeamten auf der gegenüberliegenden Seite des Teiches es hören können. "Irgendwie beklemmend", meint eine junge Frau, die gerade erst ergoogelt hat, was am Vortag los was.

So ganz klar ist das nämlich auch am Samstag noch nicht. Die Polizei berichtete von Provokationen "bekannter linker Aktivisten", die die Eskalationslage bewusst geschürt hätten. In der Aussendung wurde dazu Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) zitiert: "Darüber hinaus haben die gestrigen Angriffe auf die Polizistinnen und Polizisten gezeigt, dass Aktivistinnen und Aktivisten aus dem linksextremen Bereich als Drahtzieher dieser Attacken fungieren. Dieses Verhalten ist strafbar, antidemokratisch und ein Zeichen mangelnder Solidarität mit jenen in unserer Gesellschaft, die nach wie vor besonders geschützt werden müssen." Details zu den linken Extremisten stehen bislang aber aus.

Presseservice Wien, ein Medienprojekt zur Dokumentation sozialer Bewegungen und (extrem) rechter Mobilisierungen, veröffentlichte Fotos des Abends und schrieb davon, dass die Polizei ihrerseits eskalativ gegen feiernde Jugendliche vorgegangen sei.

Kritik am Vorgehen der Polizei kam auch von der Grünen Nationalrats-Abgeordneten Ewa Ernst-Dziedzic. Sie teilte eines der Videos auf Twitter und meinte: "Was war das bitte? Wieso diese bedrohliche Eskalation gegen junge Leute? Niemand sagt, Flaschen werfen ist ok, aber es ist euer Job nicht mit Gegenangriff zu reagieren!"

Politikwissenschaftlerin Natascha Stobl hingegen meinte, man würde "ein paar hundert trinkende und feiernde Jugendliche" zum "organisierten linksextremen Mob" machen, das Konzept dahinter sei wohl, dass man "ja die Extremismustheorie weiter bemühen muss", nachdem man bei Corona-Demonstrationen eher zurückhaltend agiert habe. Das würde langfristig zu einer Unterschätzung der Rechtsextremen führen, so Strobl.

Vier Minuten vor der Platzsperre läuten die Glocken der Karlskirche, ein Geistlicher kommt heraus, einen Tabernakel in der Hand. Die Letzten, die noch rund um den Teich sitzen, stehen auf und verlassen den Platz. Als die Glocken wieder aufhören zu läuten ist es nach Sieben. Mittlerweile sind über ein Dutzend Busse da – Grund zum Einschreiten gab es bislang nicht.

"Was ist denn da los", fragt eine Passantin auf ihrem Fahrrad, "warum ist niemand da"? Als sie die Geschehnisse nacherzählt bekommt, meint sie: "Die tun mir leid, die Jugendlichen". Nachdem sie wegradelt, sind mehr Journalisten am Karlsplatz als Passanten. Und noch viel mehr Polizeibeamte. (elas, 5.6.2021)