Im Gastkommentar kritisiert die Islam- und Erziehungswissenschafterin Lamya Kaddor das Verhalten der Grünen rund um die umstrittene Islamlandkarte.

Die rechten Umtriebe in Österreich bereiten mir zunehmend Sorge. Zur Zeit der türkis-blauen Koalition traten sie offenkundig zutage. Unter ÖVP und Grünen hat sich daran, ehrlich gesagt, nur wenig geändert. Aus dem benachbarten Deutschland heraus muss ich mich vielen kritischen grünen Stimmen in Österreich anschließen und konstatieren: Die grünen Parteifreunde setzen der ÖVP viel zu wenig entgegen. Meinem Verständnis von grüner Politik entspricht das zurzeit nicht.

Eine Ausgrenzungsministerin

Vor allem Susanne Raab, ÖVP-Politikerin und Vertraute von Bundeskanzler Sebastian Kurz, agiert seit Amtsbeginn mehr als Ausgrenzungs- denn als Integrationsministerin. Ihr Vorstoß zum Kampf gegen den sogenannten politischen Islam war schon mit der Etablierung der Dokumentationsstelle vergangenes Jahr ein Problem. Wo beginnt dieser politische Islam, und wo hört er auf? Der Begriff ist so wachsweich, man könnte bereits Muslime mit Zuwanderungsgeschichte, die einfach ihre Herkunftskultur pflegen wollen, darunter fassen.

Jetzt ist Raab noch einen Schritt weiter gegangen. Ihre Dokumentationsstelle vereinfacht die Stigmatisierung durch eine Islamlandkarte. Darauf kann jeder im Internet nachschauen, wo diese komischen Moscheen und islamischen Vereine im Land zu finden sind – teils mit Privatadressen. Dank dieser Dokumentationsstelle als Herausgeberin tragen sie alle den Stempel: potenzieller Hort des politischen Islams. Mit freundlichen Grüßen an die Islamfeinde.

Was ist das Ziel? An der Strategie der Grünen scheiden sich die Geister: Parteichef Werner Kogler.
Foto: der Plankenauer

Staatliche Diskriminierung

Mir ist es ein Rätsel, wie ein demokratischer Rechtsstaat derart mit einer Minderheit umgehen kann. Der Fingerzeig auf Muslime allein ist nichts anderes als staatlich betriebene Diskriminierung auf Basis eines strukturellen Rassismus: Muslime werden gesondert herausgestellt und als defizitär im Vergleich zum Rest der Bevölkerung gebrandmarkt. Der allgemeine Gleichheitssatz, der laut der Wiener Rechtswissenschafterin Magdalena Pöschl "in seiner praktischen Bedeutung in Österreich alle anderen Grundrechte bei weitem" überragt, wird mit Füßen getreten.

Da ist es einfach zu wenig, wenn der grüne Koalitionspartner verlauten lässt, er habe von der Islamlandkarte nichts gewusst. Schon bei der Etablierung der Dokumentationsstelle und ihrer Verengung auf einen politischen Islam hätten sie sich querstellen und auf das Regierungsübereinkommen pochen müssen, wo von der "Schaffung einer Forschungs- und Dokumentationsstelle für Antisemitismus, für den religiös motivierten politischen Extremismus (politischer Islam) und für den Rassismus im 21. Jahrhundert" die Rede war. Gegen eine so breit aufgestellte Einrichtung hätte niemand etwas haben können.

Grüne Hilfe

Und das ist längst nicht alles, bei dem die grünen Parteifreunde enttäuscht haben: Die Abschiebung gut integrierter Schülerinnen nach Armenien und Georgien im Jänner wurde durchgezogen, das Veto der Türkisen gegen die Aufnahme von Geflüchteten aus Moria beziehungsweise Kara Tepe hingenommen. Das Kopftuchverbot an Volksschulen, von ÖVP und FPÖ verabschiedet, vom Europarat kritisiert, vom österreichischen Verfassungsgerichtshof gekippt, sollte ursprünglich mit grüner Hilfe – ganz im Sinne der FPÖ – auf bis zu 14-Jährige erweitert werden, während Raab gleich nach Amtsantritt noch einen Schritt weiter ging und zusätzlich die einseitige Ausdehnung auf Lehrerinnen propagierte.

Sich auf Klimapolitik zu konzentrieren mag für die Grünen in Österreich richtig sein. Dafür wurden sie hauptsächlich gewählt. Sich aber darauf zu beschränken und bei gesellschaftlichen Gefahren für eine ganze Bevölkerungsgruppe die Augen zu verschließen lässt sich mit grüner Politik nicht in Einklang bringen. Eine gesunde Gesellschaft in einer zerstörten Natur kann ebenso wenig aufgehen wie eine zerstörte Gesellschaft in einer gesunden Natur. Nötig ist beides.

Handfestes Problem

Dabei liegt es mir fern, Partei für die Islamverbände Atib und Millî Görüş oder gar die Rechtsextremisten der Grauen Wölfe zu ergreifen. Deren türkischer Nationalismus, deren Nähe zur türkischen Regierung, deren in Teilen vertretener Islamismus und Antisemitismus sind ein handfestes Problem für eine vielfältige Gesellschaft. Das muss angegangen werden. Seit Jahr und Tag streite ich mich mit den Ablegern dieser Verbände in Deutschland. Gerade erst hat ausgerechnet der Unionskanzlerkandidat und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU), die Ditib, das Pendant zur Atib, leichtfertig wieder zum Kooperationspartner gemacht. Für mich absolut unverständlich.

Die Herangehensweise in Österreich an die Herausforderungen des Islamismus ist aber geprägt von rechter Ideologie und Stümperei. Das lässt sich schon an der Auswahl von Gesprächspartnern und Beratern der Regierung festmachen, bei denen es oft eine islamkritische Schlagseite gibt. Bei der FPÖ gehört Islamfeindlichkeit zum Grundgedanken, in der ÖVP sympathisieren einige damit. Es bestand die Hoffnung, Grün würde hier einen Unterschied machen. Davon ist bisher leider zu wenig zu sehen. Übrigens: Gegen eine Islamlandkarte, integriert in eine Religionslandkarte mit anderen Glaubensgemeinschaften, mit einer unverfänglichen Herausgeberin, wäre nichts einzuwenden gewesen. (Lamya Kaddor, 7.6.2021)