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In Mandalay verbrennen Demonstranten die Flagge des asiatischen Verbandes Asean. Die Menschen fühlen sich international im Stich gelassen. Viele greifen zu den Waffen.

Foto: Reuters/Stringer

Was der ehemaligen Demokratie-Ikone genau vorgeworfen ist, wissen zum Teil nicht einmal ihre Anwälte. Aung San Suu Kyi, 75 und bis 1. Februar de facto Staatschefin von Myanmar, wurde am Montag in der Hauptstadt Naypyidaw zu ihrer nächsten Anhörung vor Gericht geführt. Seit mittlerweile mehr als vier Monaten ist sie in Hausarrest an einem unbekannten Ort in Myanmar – nämlich seit dem Tag, an dem das Militär beschlossen hat, die Zügel der Macht wieder allein in die Hand zu nehmen.

Seit dem Putsch gehen beinahe täglich Menschen auf die Straßen. Ihr friedlicher Protest wurde immer brutaler niedergeschlagen. In den vergangenen Wochen hat sich daher immer professioneller, bewaffneter Widerstand formiert, der das Land zunehmend in Chaos stürzt.

Dabei will die Armee, auch Tatmadaw genannt, bei ihrem Kampf um die Macht den Schein eines Rechtsstaates wahren: Ein Prozess gegen die unliebsame Suu Kyi wurde in die Wege geleitet. Seit den 1980er-Jahren ist sie in dem Land für Demokratie eingetreten und hat bereits 15 Jahre unter Hausarrest verbracht. Mit der demokratischen Öffnung durfte auch Suu Kyi wieder auf der Politbühne auftreten, ihre unglaubliche Beliebtheit im Land katapultierte ihre Partei sofort an die Macht. Das war dem Militär dann doch ein Dorn im Auge.

Illegale Funkgeräte und Covid-19-Verstöße

Insgesamt werden Suu Kyi mindestens sechs Vergehen vorgeworfen. Dazu zählt der Vorwurf, dass sie illegal Funkgeräte besessen und dass sie während des Wahlkampfes 2020 gegen Covid-Auflagen verstoßen habe. Und dazu gehören auch Verstöße gegen den sogenannten "Official Secrets Act".

Das Gesetz stammt noch aus der britischen Kolonialzeit. "Es wurde geschrieben, um Widerstand gegen den Staat zu brechen", erklärt der Historiker Georg Bauer von der Uni Wien. Das Gesetz wurde auch 2018 gegen jene zwei Reuters-Journalisten angewandt, die über ein Massaker in Rakhine berichtet hatten. Eine Ironie der Geschichte, dass damals Suu Kyi selbst die Verurteilung der beiden gefördert hatte.

Der schwerwiegende Verdacht kann mit 14 Jahren Haft enden. Anders als bei den anderen Vorwürfen gegen sie wird dieser direkt vom Obersten Gericht behandelt – und daher kann nicht dagegen berufen werden. Neben Suu Kyi ist unter anderem auch ihr ehemaliger australischer Berater Sean Turnell damit konfrontiert. Was ihnen aber genau vorgeworfen wird, ist nicht bekannt, gab einer ihrer Anwälte an. Einer ihrer Rechtsbeistände sagte zudem am Montag nach dem Verhandlungstermin: "Alle Fälle wurden als "einfach" eingestuft und sollen innerhalb von 180 Tagen abgeschlossen sein." Demnach könnten voraussichtlich bis Mitte August die Urteile verkündet werden.

Der aktuelle Prozess, so viel sei klar, sei ein Schauprozess, bei dem für Suu Kyi keine Freilassung am Ende stehen kann, solange das Militär an der Macht ist, schätzt Bauer ein. Und nicht nur viele der prominenten Gesichter der ehemaligen Regierungspartei von Suu Kyi sind mittlerweile inhaftiert: Insgesamt wurden bereits fast 5000 Menschen im Land festgenommen. Ihnen stehen ähnliche Prozesse bevor.

Milizen erneuern Kampf

Doch trotzdem reißen auch vier Monate nach dem Putsch die Proteste nicht ab. Nachdem die Militärs immer brutaler gegen Demonstranten vorgegangenen waren, sahen sich viele von ihnen zunehmend gezwungen, zum bewaffneten Widerstand überzugehen.

Eine Art Schattenregierung arbeitet daran, ihre eigenen Streitkräfte aufzubauen. Das Gremium, das von 2020 demokratisch gewählten Abgeordneten ernannt wurde, agiert dabei gezwungenermaßen aus dem Untergrund. Nebenbei fördert diese Schattenregierung die Errichtung von sogenannten "People’s Defence Forces" – kämpfende Oppositionelle, die vielerorts im Land neue Anti-Armee-Nester etablieren. Laut der britischen Zeitung "Guardian" haben sich landesweit 58 derartige Gruppen gebildet.

Foto: Der Standard

Diese neuen Gruppen kommen zu den existierenden Rebellenmilizen im Land hinzu, die über die Jahrzehnte gesehen ohnehin ständig mal mehr, mal weniger mit dem Militär im Clinch liegen. Auch diese Milizen haben teilweise ihren Kampf gegen die Tatmadaw erneuert. Besonders im Süden in Kayin, wo die Karen leben, kommt es zu Angriffen. Auch im Westen in Chin und vor allem im Norden in Kachin wird teils heftig gekämpft. Ein weiterer Schauplatz ist Kayah. Die Gewalt beschränkt sich aber nicht auf diese Regionen. Problematisch ist außerdem, dass die Reaktion der Armee oft überproportional zur Gegenwehr ist.

Ausbildungslager in den Rebellengebieten

Die kriegserprobten Truppen in den Rebellengebieten bilden außerdem Leute aus den Städten aus, die nach ersten Protesterfahrungen zunehmend unter Druck geraten waren, sich zu wehren beziehungsweise zu schützen.

Ein weiteres Ziel ist es, das Militär von Einsätzen in den Grenzregionen abzulenken. So kam es bis Ende Mai in Yangon zu über 300 Bombenanschlägen. Die Attacken in den Städten und an mehreren Fronten im Land bringt die Tatmadaw tatsächlich zunehmend unter Druck.

So bauen die Oppositionellen darauf, dass sich weitere Rebellenarmeen anschließen. Die Shan, wo es immer wieder zu Konflikten kam, haben sich bisher zurückgehalten. Auch die Arakan Army in Rakhine wartet ab. Die mächtige Wa-Armee, die ihre Region wie einen unabhängigen Staat führt, hat bisher noch keinen Grund, sich der einen oder anderen Seite anzuschließen.

Für die Zivilbevölkerung heißt das Aufflammen des Konflikts, dass Tausende ihre Heimat verlassen müssen, um sich etwa im Dschungel zu verstecken. Auch der Schulstart in der vergangenen Woche war holprig: Mancherorts wurden Kinder von Milizen zur Schule eskortiert. Oft blieben die Kinder den Schulen aber fern, auch aus Protest.

Die EU überlegt unterdessen, eine dritte Runde an Sanktionen zu erlassen. Ob das die richtigen Akteure vor Ort trifft, bleibt offen. (Anna Sawerthal 7.6.2021)