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Letzte Ausfahrt Ukraine: Am Sonntag ist der Ex-Dumaabgeordnete Dmitri Gudkow über einen Grenzübergang im südwestrussischen Gebiet Brjansk aus Russland ausgereist. Am Abend trat Gudkow bereits in einer TV-Sendung in Kiew auf.

Seine Flucht begründete der Politiker mit politisch motivierter Strafverfolgung. "Einige nahe Quellen aus der Präsidialadministration haben mir mitgeteilt, dass das Fake-Strafverfahren bis zu meinem Arrest fortgesetzt werde, sollte ich das Land nicht verlassen", schrieb der 41-Jährige unmittelbar nach seiner Abreise.

Bis 2011 auf Kremllinie

Dabei galt Gudkow keineswegs als gefährlichster Widersacher von Russlands Präsident Wladimir Putin. Bis 2011 war Gudkow sogar auf Kremllinie. Nach dem Journalistik- und einem späteren Weltwirtschaftsstudium an der Diplomatischen Akademie des russischen Außenministeriums ging Gudkow in die Politik. Dort leitete er den Wahlkampf seines Vaters, des früheren KGB-Agenten Gennadi Gudkow, der später bei der kleineren Kremlpartei "Gerechtes Russland" zum Vizechef aufstieg.

Dmitri Gudkow mit seiner Frau Valeria nach seiner Freilassung am 3. Juni in Moskau.
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2011 wurde auch Gudkow junior auf der Parteiliste ins Parlament gewählt, allerdings beteiligte er sich anschließend an den Protesten gegen die Wahlmanipulationen. Nach dem Bruch mit der Kremlpolitik wurde er in der Duma isoliert. Vater Gennadi musste sein Mandat wegen illegaler kommerzieller Tätigkeit (Besitzer einer großen Wachfirma) abgeben, weitere aufsässige Abgeordnete verließen das Land, sodass Gudkow – aus der Fraktion ausgeschlossen, aber bis 2015 Abgeordneter – als "letzter Oppositioneller in der Duma" galt.

Antritt für Jabloko

Innerhalb der Opposition versuchte er sich als gemäßigte Kraft zu etablieren, fuhr eine Zeitlang auf dem Ticket der sozialdemokratischen Partei Jabloko, unterstützte dann die Pseudooppositionelle Xenia Sobtschak. Bei der Wahl zum Moskauer Bürgermeister 2018 konnte er sich nicht als Einheitskandidat der Opposition durchsetzen und scheiterte somit schon im Vorfeld am "munizipalen Filter", der Kandidaten verpflichtet, Unterschriften von Beamten zu sammeln. Bei der Dumawahl im Herbst wollte Gudkow erneut für Jabloko antreten.

Anfang Juni kam er dann für zwei Tage in U-Haft. Die Firma seiner Tante soll Räumlichkeiten bei der Stadt angemietet und dann nicht bezahlt haben. Gudkow bestreitet, etwas mit der Firma zu tun zu haben, und verbindet den Fall mit seinem Wahlantritt. "Es ist ihnen sehr wichtig, zu demonstrieren, dass sie bereit sind, selbst die gemäßigtste Opposition zu vernichten", sagte er.

Verwandte als Zielscheibe

Tatsächlich hat der Kreml sein Vorgehen gegen die Opposition heuer drastisch verschärft. Alexej Nawalny, Gesicht der außerparlamentarischen Opposition, sitzt seit Jänner in Haft, weitere Strafverfahren gegen ihn sind anhängig. Die Proteste förderten mehr als 100 weitere Straffälle gegen Demonstranten zutage. Immer öfter werden auch Verwandte von Oppositionellen zur Zielscheibe der Justiz.

Eine Reihe von Gesetzen erschwert die Tätigkeit von NGOs. Die Stigmatisierung von Medien und NGOs als "ausländische Agenten" oder "unerwünschte Organisationen" hat inflationäre Züge angenommen. Zudem haben sich die Behörden nun auch verstärkt des Internets angenommen und streiten mit Ressourcen wie Youtube oder Twitter um die Kontrolle der Inhalte.

Die Säuberung der politischen Arena diente zur Absicherung angesichts der gerade zu Corona-Zeiten auch in Russland hohen sozialen Unzufriedenheit. Zumindest derzeit kann der Kreml für sich in Anspruch nehmen, die Opposition enthauptet zu haben. Diese ist nach den Repressionen völlig desorganisiert und ungeordnet. Gleichzeitig haben die Zustimmungswerte zu Putin heuer wieder leicht zugenommen. (André Ballin, 7.6.2021)