Christof Stein mit der Wiener Würfeluhr

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Die neuen "Normalzeit"-Uhren: Blackout und Time-to-Date (rechts). Bereits 2015 stand die Wiener Würfeluhr erstmals Pate für eine "Normalzeit"-Armbanduhr. Nach dem Geburtsjahr der Wiener Würfeluhr 1907 in nummerierter und limitierter Stückzahl von 1.907 Exemplaren mit Edelstahlgehäuse und Automatikversion angeboten, fand diese "Normalzeit"-Uhr weltweit reißenden Absatz. 2016 folgte die kleinere Schwester, die unlimitiert aufgelegte "Normalzeit Red 36" in Quarzversion mit rotem Silikonband in der Farbe des Wiener Wappens.

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Für das Design zuständig: Fredi Brodmann. Er erblickte die "Normalzeit" 2014 auf der International Contemporary Furniture Fair (ICFF). Über Messekojen hinweg leuchtete dem Zeichner und Cartoonisten, der 1985 seine erste Uhrenkollektion kreierte, in den vergangenen Jahrzehnten als Designer für Marken wie Puma, Bulova, Pierre Junod, 40NINE sowie seit 2018 am Relaunch des 1921 in New York gegründeten US-Ikonen-Brand Benrus arbeitete und aktuell Senior Watch Designer für Citizen ist, eine originale Wiener Würfeluhr aus seiner Geburtsstadt entgegen. Aussteller Christof Stein hatte sie nach New York mitgebracht. Unter Steins Ägide hatte Lichterloh zuvor die originalen Wiener Würfeluhren im Zuge ihrer Erneuerung aufgekauft.

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Achteck, Zifferblatt und der Schriftzug "Normalzeit" für einheitliche mitteleuropäische Zeit: Für manche war die Würfeluhr so etwas wie das heimliche Wahrzeichen Wiens. Die erste wurde im Jahr 1907 an der Ecke Opernring / Kärntner Straße installiert. 77 weitere sollten im gesamten Stadtgebiet folgen und das circa 1,2 Meter hohe würfelartige Ding zum bekanntesten unbekannten Stadtmöbel machen, das bis heute, etwa auf dem Stephansplatz, zum Treffpunkt für unzählige Verabredungen und Dates wurde.

Zweites Leben

Dass sich in Sachen Bekanntheitsgrad der Wiener Würfeluhr einiges änderte, lag an der Kunsthandelsgesellschaft Lichterloh, die seit mehr als 20 Jahren viele besondere Designstücke rettet, präsentiert, verkauft und irgendwann auch auf die Würfeluhr kam. Christof Stein, Mitbegründer und bis 2019 langjähriger Geschäftsführer von Lichterloh, hat den kultigen Wiener Würfeluhren 2015 erfolgreich ein zweites Leben eingehaucht – als Armbanduhren. Er ist jetzt sozusagen der amtliche "Hüter der Normalzeit". Vor kurzem präsentierte man zwei neue Modelle.

Wir erreichen ihn, als er gerade in der Wohnung einer alten Dame auf der Suche nach einem vermissten Sparbuch ist. Denn als Sachverständiger für Wiener Notariate nimmt er auch Verlassenschaften auf. "Die Übersterblichkeit während der Pandemie wird noch ein Thema sein", seufzt der Antiquitätenhändler und Designexperte. Allein im letzten Jahr habe er über 300 Gutachten geschrieben. Zu "normalen Zeiten" sind es rund 200.

STANDARD: Wünschen Sie sich die normalen Zeiten zurück?

Stein: Normalzeit ist global zum Sehnsuchtsbegriff geworden. Dementsprechend sind die Uhren auch zu verstehen, die ich mit meinem Freund und Uhrendesigner Fredi Brodmann neu gestaltet habe. Die "Blackout" zum Beispiel mit ihren leuchtenden Elementen soll symbolisieren, dass wir aus einer dunklen Zeit in eine neue, hell strahlende Zukunft unterwegs sind. In dieselbe Kerbe schlägt die "Time to Date" – wir sehnen uns danach, uns wieder ohne Einschränkungen treffen, uns in die Arme nehmen zu können. Oder uns einfach nur die Hand zu schütteln.

STANDARD: Quasi eine Corona-Gedenkuhr?

Stein: Ja, so könnte man sie bezeichnen. Als Erinnerungsstücke, die uns verändert in eine neue Zeit tragen sollen.

STANDARD: Hätte es die Uhren auch ohne Corona gegeben?

Stein: Die Uhren waren schon geplant. Nur die Optik hat sich geändert. Wir wollten eine Uhr mit Datum herausbringen und auch welche mit Handaufzug.

STANDARD: Die "Normalzeit"-Uhr war und ist ein Erfolg. Sie hat es unter anderem ins Moma in New York geschafft. Haben Sie damit gerechnet?

Stein: Das Projekt ist von Anfang an gut angekommen. Die ersten 500 Stück waren in kürzester Zeit ausverkauft. Dieser Erfolg hat uns überrascht und auch überfordert. Das Thema kam auch deshalb so gut an, weil es etwas Neues war, aber mit einer guten Geschichte dahinter. Es sind also nicht nur Nostalgiker, die sich für den Zeitmesser begeistern. Manche Jugendliche zahlen die Uhr auch in Raten von ihrem Taschengeld ab. Ich bekomme des Öfteren Selfies mit Normalzeit-Uhren aus aller Welt. Das ist verrückt und schön.

STANDARD: Die Uhren sind relativ günstig zu haben. Eine bewusste Entscheidung?

Stein: Diese Frage wurde mir auch schon von Schweizer Kollegen gestellt. Mein Zugang ist: Die Normalzeit-Uhr soll wie die Wiener Würfeluhren ein Zeitmesser für jeden sein. Gute Qualität, leistbar für alle.

STANDARD: Also wird es niemals eine Normalzeit-Uhr aus Gold geben?

Stein: Ich habe sogar noch die Prototypen aus Gold herumliegen. Dazu gibt es eine Anekdote: Fredi wollte mich mit einer Normalzeit-Uhr aus Gold überraschen. Ausgestellt werden sollte sie in Dubai. Ich meinte: Ist das dein Ernst? Du bist nach Amerika gegangen, weil du es als Jude hier nicht mehr ausgehalten hast mit den antisemitischen Lehrern usw., und du willst ernsthaft diese Uhr am Handgelenk eines Saudis sehen? Die Frauen diskriminieren? Die sollen die Normalzeit-Uhr aus Gold tragen? Also haben wir uns schnell wieder davon verabschiedet.

STANDARD: Wie fand die Uhr ihren Weg an das Handgelenk von Christoph Waltz?

Stein: Christoph Waltz und Fredi Brodmann haben in Wien gemeinsam die Schulbank gedrückt und nach der Schulzeit beschlossen, in die USA auszuwandern. Da war der Weg dann nicht weit. Wir wollten auch, dass Waltz die Uhr in den James-Bond-Filmen trägt.

STANDARD: Da gab's dann wahrscheinlich ein großes Veto von Omega, dem offiziellen Uhrenausstatter von Bond, nehme ich an?

Stein: Genau so war es. Aber privat hat er sie getragen, auch bei Empfängen zum Beispiel.

STANDARD: Fredi Brodmann ist mittlerweile Chefdesigner der japanischen Uhrenmarke Citizen. Aber er darf sich offensichtlich noch mit der Normalzeit beschäftigen …

Stein: Ja, das hat er sich so ausverhandelt. Fredi hat quasi darauf bestanden. Und die Japaner hatten dafür Verständnis. Das liegt auch daran, dass er einen guten Schmäh hat und ein Wortakrobat ist.

STANDARD: Sie haben Lichterloh 2019 verlassen. Wieso?

Stein: Die Trennung hatte unter anderem gesundheitliche Gründe, denn ich habe eine böse Diagnose erhalten. Da habe ich beschlossen, mir mehr Zeit für mich selbst und für meine Kinder zu gönnen. Ich musste loslassen, weil es mir auch zu viel wurde. Das Einzige, was ich mitgenommen habe, war die Normalzeit, weil das mein Lieblingsprojekt war.

STANDARD: Eine sehr persönliche Zäsur also. Wie hat das Ihren Zugang zum Thema Zeit beeinflusst?

Stein: Nach der Diagnose habe ich Zeit mehr als davor als kostbares Gut wahrgenommen. Etwas, das mir davonzulaufen scheint. Das sind die Gedanken, die einen nachts wachhalten.

STANDARD: Wie haben Sie die Pandemie vor diesem Hintergrund erlebt? Fühlten Sie sich besonders gefährdet?

Stein: Gar nicht. Die Diagnose bekam ich vor drei Jahren, und ich habe mich entschieden, dass ich keine Chemo, sondern eine neuartige Immuntherapie mache, die für einen längeren Zeitraum ausgelegt ist. Während der Pandemie wurden dann zwar Akutpatienten bevorzugt behandelt, aber ich hatte nie Angst. Auch weil die Therapie gut angeschlagen hat.

STANDARD: Womit haben Sie sich beschäftigt, außer mit Verlassenschaften?

Stein: Während Corona ist auch vieles entstanden. Ich bin einmal wöchentlich in der ORF-Sendung "Studio 2" als Experte für Altes und Schönes als Gast geladen und bin unter vielen anderen auf das Thema "Das neue Biedermeier" eingegangen. In meinem Wohnhaus habe ich gemeinsam mit meiner Frau ein Buchprojekt lanciert, in dem die Bewohner des Hauses ihre Erfahrungen und Eindrücke während der Pandemie niedergeschrieben, gezeichnet et cetera haben. Dies ging als Schenkung ins Wien-Museum im Zuge des Corona-Sammlungsprojekts. Mit Wien Energie haben wir daraufhin auch Filmchen gedreht, wo man Leute sieht, die in der Küche stehen und einfach kochen. Sogar Radio Burgenland hat mich eingeladen zu "Mahlzeit Burgenland". Ein Spaß.

STANDARD: Das klingt nach einem sehr ereignisreichen Jahr.

Stein: Unterm Strich war es eine arbeitsreiche Zeit. Wir haben auch ein Wollgeschäft übernommen mit circa 400.000 Wollknäueln. Da habe ich festgestellt, dass das Stricken, neben dem Kochen, eine Leidenschaft der Österreicherinnen und Österreicher ist. Man nimmt sich jetzt die Zeit dafür. Die Pandemie war eine Zäsur, ein Innehalten für uns alle. Es kommt jetzt darauf an, was wir daraus machen. Ich wünsche mir, dass wir die Zukunft positiv angehen. Nehmen wir all das Gute als Lehre aus der Pandemie mit: den respektvollen Umgang miteinander, die gegenseitige Hilfe, die Zeit, die wir uns für uns selbst und für andere nehmen. (Markus Böhm, 10.6.2021)