Lange Zeit rangierte die Möglichkeit, seine Tätigkeit tageweise von zu Hause aus erledigen zu können, ganz oben auf der Liste der gewünschten Benefits.
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Eine Gehaltserhöhung von 30.000 US-Dollar oder die Möglichkeit, nach Belieben weiter von zu Hause aus arbeiten zu können? Diese Frage hat die US-Karriereplattform Blind im März 3.000 Beschäftigten in 45 Unternehmen gestellt, darunter Apple, Amazon, Microsoft, Google, Facebook, Goldman Sachs und JPMorgan. Zwei Drittel der Befragten entschieden sich für das Arbeiten im Homeoffice. Nur die Mitarbeitenden des Finanzinstituts JPMorgan und des Technologiekonzerns Qualcomm hatten sich eher für die Gehaltssteigerung entschieden.

Daraufhin hat das berufliche Netzwerk Linkedin eine ähnliche Umfrage durchgeführt, an der mehr als 20.000 Personen teilnahmen. Auf die Frage, ob sie lieber eine Gehaltserhöhung von 25.000 Euro bekommen möchten oder die Möglichkeit erhalten, dauerhaft von zu Hause aus arbeiten zu können, entschieden sich 63 Prozent für mehr Gehalt, 30 Prozent für Homeoffice, und sieben Prozent gaben an, sich nicht entscheiden zu können.

Was sagen uns die Ergebnisse? Sind die Linkedin-User geldgieriger oder schlichtweg sozialere Wesen als die Angestellten besagter US-Firmen und wollen lieber wieder zurück an ihren Arbeitsplatz? Weder noch – das einzig Sinnvolle, was man aus diesen Umfragen herauslesen kann: Das verfügbare Gesamtjahresgehalt beeinflusst ganz erheblich die Antwort.

Höhe des Einkommens

Laut glassdoor.com liegen die US-Gehälter für Software-Ingenieure bei Amazon, Microsoft, Apple, Google und Co bei 105.000 bis 125.000 US-Dollar und kommen inklusive Boni und Aktienpaket sogar auf 152.000 bis 180.000 US-Dollar. Bei JPMorgan liegt das durchschnittliche US-Gehalt bei 89.000 US-Dollar und 9.000 Dollar Bonus. Und das sind auch für USA stattliche Zahlen, denn das Mediangehalt lag 2020 laut dem staatlichen Statistikamt Bureau of Labor Statistics bei 51.168 Dollar. Hätte man bei Blind also nicht die Beschäftigten besagter Unternehmen befragt, sondern einen Querschnitt der amerikanischen Angestellten, wären die Umfrageergebnisse sicher anders ausgefallen.

Zum Vergleich: Das mittlere Bruttojahreseinkommen aller unselbstständig Erwerbstätigen in Österreich lag im letzten Jahr laut Bericht des Rechnungshofs bei 29.458 Euro brutto. Und dabei sollte man nicht vergessen, dass Österreich eines der reichsten Länder in der EU ist.

Linkedin hat in 2021 756 Millionen User weltweit, knapp drei Viertel außerhalb der USA und insgesamt 198 Millionen in Europa – davon 16 Millionen in der Dach-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz). Wenn also 20.000 Personen auf Linkedin ihre Entscheidung abgegeben haben, werden wohl ähnlich wie in den USA, wo 51 Prozent der Linkedin Mitglieder einen College-Abschluss haben, die wenigsten am unteren Ende der Gehaltsskala rangieren. Nichtsdestotrotz entscheidet sich jemand mit durchschnittlich 30.000 Euro oder 51.000 Dollar Jahreseinkommen ganz anders für oder gegen eine Erhöhung, die das eigene Gehalt fast verdoppeln würde, als jemand, bei dem die Erhöhung nur 20 bis 30 Prozent ausmacht.

Homeoffice – wer spart wirklich?

Die Pandemie hat gezeigt, dass dauerhaftes Homeoffice Investitionen des Einzelnen in einen geeigneten Arbeitsplatz nötig machen, was mittlerweile in Österreich in Form von Steuererleichterungen honoriert wird. Man kann auch davon ausgehen, dass viele Unternehmen über kurz oder lang Bürofläche reduzieren können, wenn ein Großteil der Beschäftigten von der Möglichkeit des Homeoffice Gebrauch macht.

Vor Corona rangierte die Möglichkeit, seine Tätigkeit tageweise von zu Hause aus erledigen zu können, ganz oben auf der Liste der gewünschten Benefits. Mittlerweile ist das Homeoffice normaler Bestandteil der pandemiebedingten Arbeitsrealität. Um weiter als nichtmonetärer Vorteil empfunden zu werden, müssen Firmen nicht nur die Themen Performance, Leadership und Vertrauen, sondern auch Bürokonzepte grundlegend neu andenken.

Außerdem: Ob Beschäftigte ihrer Tätigkeit von zu Hause aus oder im Büro nachgehen, verändert nicht die Arbeitsleistung oder Verantwortung im Job – und es hat folglich auch keine Relevanz für den Marktwert einer Position. Die Frage nach mehr Gehalt oder Homeoffice sollte sich daher gar nicht stellen. Denn dadurch entsteht der Eindruck, man würde von zu Hause aus eine minderwertigere Arbeitsleistung abliefern. (Martina Ernst, 8.6.2021)