Rituelle Handlungen, die zur meditativ-repetitiven Orgelmusik von Kali Malone einen Lebensbogen begleiten: "Ihr seid bereits eingeschifft" am Landestheater Vorarlberg.

Foto: Anja Koehler

Blick frei auf den Bodensee, auf Bregenz und die Berge. Boote dümpeln vorbei, Schwäne, Passanten, Wolkengebirge. Sie werden Teil von Silvia Costas Performance, die innen im Festspielhaus vor der großen Fensterfront vor sich geht. Ein Holzpodest, ein Schiffstau, ein Leichensack. Von der Decke hängt ein verlorener Heiligenschein. Vier Frauen in schwarzen Talaren läuten die Totenglocken.

Die italienische Regisseurin, Bühnenbildnerin, Autorin und Performerin Silvia Costa, 1984 in Treviso geboren, bringt eine vierteilige Bühnenarbeit zur Uraufführung: Ihr seid bereits eingeschifft. Der Titel ist dem Ausruf "Vous êtes embarqué" des französischen Philosophen Blaise Pascal entlehnt. Gemeint ist damit: Wir alle sind an Bord des Lebens. Wie gehen wir mit dieser Zeit um? Bleiben wir im sicheren Hafen, oder segeln wir hinaus? Und was ist, wenn wir von Bord gehen (müssen)?

Natur als Ereignis

Costa, viele Jahre künstlerische Mitarbeiterin von Starregisseur Romeo Castellucci, hat 2007 ihre eigene Theatercompagnie gegründet und inzwischen Performances in halb Europa gezeigt. Sie hat an der Staatsoper Stuttgart inszeniert, am Residenztheater München, beim Festival d’Automne in Paris oder am The´a^tre Nanterre-Amandiers. Seit dem Vorjahr ist sie an der Comédie de Valence engagiert. Ihr seid bereits eingeschifft ist ihre zweite Arbeit in Bregenz und damit in Österreich. 2019 war sie mit der von Becketts Play inspirierten choreografisch-musikalischen Installation Wry Smile Dry Sob am Vorarlberger Landestheater erstmals zu sehen, samt Gastspiel in Wien.

Die Arbeit in Bregenz hinterließ Spuren. Der Bodensee "mit seiner unglaublichen Kraft und Schönheit" hat sich der Künstlerin eingebrannt und ein Bewusstsein geschaffen für die Trennung zwischen sich und dem Panorama. Das täglich wechselnde Schauspiel der Natur, die Abfolge von Leben und Tod, von Tag und Nacht etc. löste in Costa die Frage aus, wie man sich in der Realität, die man betrachtet, bewegt. Ihr seid bereits eingeschifft ist die erste Koproduktion zwischen den Bregenzer Festspielen und dem Vorarlberger Landestheater. Costa bespielt dafür vier Räume, die das Naturpanorama einzufangen versuchen: Festspielhaus, Landestheater, Vorarlberg-Museum und das Kunsthaus Bregenz.

Costa erschafft ein visuelles Theater, das verschiedene Disziplinen berührt. In ihren Arbeiten verschmelzen Tanz, installative Kunst und Schauspiel zu außergewöhnlicher bildnerischer Intensität. Im Festspielhaus hat die Natur einen Jüngling verschluckt. In einer meditativen Zeremonie erwecken ihn vier ätherische Wesen zum Leben. Hier wird auch jenes Ritualhafte und jene Feierlichkeit spürbar, die ihre Verwandtschaft zur enigmatischen Kunst Castelluccis nicht leugnen können.

Skulpturale Schönheit

Im Panoramaraum des Vorarlberg-Museums sitzt ein knochiges Mädchen auf einem schwarzen, unförmigen Sack. Der scheint die ganze Umgebung, die Vergangenheit und die Zukunft in sich zu bewahren. Im Kunstmuseum schaut man einer Bregenzer Familie (Großmutter, Mutter und Tochter) einfach dabei zu, wie sie Pinselstrich um Pinselstrich ihr eigenes Panorama erschafft. In der kleinen tiefschwarzen Spielstätte des Landestheaters kämpfen Lautsprecher und Schauspieler Luzian Hirzel gegen die Unerbittlichkeit des Schicksals an, das Prometheus widerfährt.

Silvia Costa öffnet Assoziationsräume, schafft Bilder von skulpturaler Schönheit. Obwohl jede der vier Arbeit ihren ganz eigenen Rahmen hat, sind alle miteinander durch eine unheimliche, textarme Poesie verbunden. Und während man von einem Spielort zum nächsten schlendert, arbeitet unweigerlich die Frage in einem: Bin ich Betrachter oder Teil dieser Landschaft? Und welche Verantwortung geht damit einher? (Julia Nehmiz, 8.6.2021)