Im Juni 2019 sprengte eine verheerende Gasexplosion Teile eines Gemeindebaus im vierten Wiener Gemeindebezirk an der Ecke Preßgasse/Schäffergasse in die Luft. Zwei Menschen kamen ums Leben (DER STANDARD berichtete).

Nachdem das Haus abgerissen werden musste, startet nun der Neubau der Wohnhausanlage. Geplant ist ein Gebäude in Niedrigenergiestandard mit vertikaler Fassadenbegrünung. Eine Photovoltaikanlage am Dach in Kombination mit einer Luft-Wärmepumpe soll für Heizung und Warmwasseraufbereitung sorgen. Zudem werden die Wohnungen barrierefrei und mit Balkonen ausgestattet sein. Außerdem verspricht Wiens Vizebürgermeisterin Kathrin Gaál (SPÖ) allen ehemaligen Mieterinnen und Mietern dieselben Mietvertrags-Konditionen wie zuvor.

An dem Standort in der Preßgasse wurden die Überreste des Gebäudes abgerissen, mit dem Neubau geht es nun los.
Foto: Telegram71

Im Erdgeschoß wird Wien Work als gemeinnütziges Unternehmen eine Konditorei betreiben, im Innenhof wird es einen Kinderspielplatz, Sitzgelegenheiten und Hochbeete zum gemeinsamen Garteln geben. Die Fertigstellung ist für das dritte Quartal 2023 geplant. Die Gesamtkosten betragen rund 8,6 Millionen Euro, die Fördermittel der Stadt voraussichtlich 2,5 Millionen Euro.

Wiederaufbau auch in der Mariahilfer Straße

Gasexplosionen, meist mutwillig von Bewohnern herbeigeführt, kommen leider immer wieder vor. Ein Gründerzeithaus, in dem die Bewohnerinnen und Bewohner eine ähnlich tragische Situation erleben mussten, befindet sich in der Äußeren Mariahilfer Straße im 15. Wiener Gemeindebezirk. Hier hat eine Explosion im Jahr 2014 Teile des Hauses zum Einstürzen gebracht. Ein 19-jähriger Bewohner hatte eine Gasleitung mit Suizidabsicht manipuliert und kam ums Leben, mehrere Bewohner wurden verletzt.

In der Äußeren Mariahilfer Straße mussten zwei Stockwerke und der Dachausbau nach der Explosion abgetragen werden.
Foto: ROLAND SCHLAGER

Und auch hier wurde die tragische Situation dafür genutzt, an dem Standort ein ökologisches Vorzeigeprojekt umzusetzen.

"Nachdem der Entschluss gefasst war, das Haus wieder aufzubauen, war für die beiden Eigentümerinnen klar, dass der Bau optisch genauso aussehen sollte wie zuvor", sagt Bauphysiker Helmut Schöberl, der sich seit mehr als 30 Jahren mit thermischen Sanierungen und Passivhäusern beschäftigt und an dem Projekt federführend beteiligt war. Allerdings sollte die Sanierung mehr Wohnkomfort und einen Dachausbau in Passivhaus-Neubau-Standard bringen.

Das Gründerzeithaus erreicht mittlerweile den sogenannten EnerPHit-Standard. "Das ist der Passivhausstandard in der Sanierung und das Beste, was wir momentan im Bereich der Gebäudehülle zustande bringen", erklärt der Bauphysiker. Trotzdem sind nicht alle Bewohner zufrieden. "Es ist zu laut. Die ganze Nacht höre ich den Verkehr, und alle Fenster sind in Richtung Straße ausgerichtet", beschwert sich eine Bewohnerin, während sie die Tür aufsperrt. Der Bauphysiker hört sich die Kritik etwas verdutzt an, erwidert jedoch nichts. Er hat für die thermische Sanierung des Hauses gemeinsam mit den Trimmel Wall Architekten den Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit gewonnen. Ganz so schlecht kann seine Arbeit also nicht sein.

Die Fassade

Diese begann vor drei Jahren mit der Fassade. "Wir hüllen uns im Winter gern in einen dicken Mantel, und dasselbe gilt beim Hausbau", sagt der Bauphysiker. Während der Neubau auf der vorderen Seite des Hauses in Richtung Mariahilfer Straße mit denselben Hanfdämmplatten wie zuvor gedämmt werden konnten, musste in Richtung Denglergasse etwas mehr getüftelt werden. Hier sollte die natürliche Struktur der Fassade inklusive Gesimsen und Stuck wiederhergestellt werden, was das Verlegen von Dämmplatten unmöglich machte. Schlussendlich fiel die Entscheidung auf den hochwärmedämmenden Aerogelputz, der in dieser Größenordnung bis dato noch nicht verwendet wurde.

Schöberl erklärt: "Vereinfacht sind in diesem Putz Kügelchen mit sehr viel Luft enthalten. Dadurch entsteht eine hohe Dämmleistung." Um den gewünschten Effekt zu erzielen, mussten die Arbeiter die Putzschicht 5,5 Zentimeter dick aufgetragen. Üblich waren bisher 2,5 Zentimeter. "So konnten auch die Gesimse gut nachgebildet und rundherum gedämmt werden", erklärt Schöberl.

Einzig an der Farbe ist ein unterschiedlicher Dämmstoff zu erkennen. Wer genau schaut, erkennt, dass die lila Fassadenfarbe in Richtung Denglergasse heller ist als im vorderen Bereich des Hauses.

An der Mariahilfer Straße wurde mit Hanfplatten, in Richtung Denglergasse mit Aerogelputz gedämmt.

Hitzeschutz wie anno 1779

Kälte- und Hitzeschutz bieten auch Passivfenster (Dreifachscheiben statt Einfachscheiben), die optisch wie Kastenfenster in Altbauten aussehen. Schöberls Lieblingsthema ist allerdings der Sonnenschutz. "Wir haben auf eine Technik zurückgegriffen, die bereits im Jahr 1779 in den Wohnhäusern am Stephansdom angewandt wurde. Das belegen Bilder, die wir gefunden haben. So konnten auch die strengen Auflagen des Bundesdenkmalamts erfüllt werden."

Die Rollos können mechanisch ausgefahren werden und biegen sich vom Fenster weg zu einer Schräglage. "Sie sind erstaunlich windfest und eingefahren kaum sichtbar. So konnten wir die unansehnlichen Kästen, in denen die Tücher der Rollos häufig versteckt werden, vermeiden."

Die Rollos sind windresistent und eingefahren kaum sichtbar.
Foto: trimmel wall architekten ztgmbh

Grünflächen für (fast) alle

"Gehen wir hinein", sagt Schöberl. Die mit ihrer Wohnsituation unzufriedenen Dame hält freundlich die Tür auf. Gleich rechts neben dem Eingang hängen Zertifikate wie der bereits erwähnte Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit, der Klimaaktiv-Gold-Standard oder der Ethouse-Award 2020 für energieeffizientes Sanieren. Die "Wall of Fame" beeindruckt die Bewohnerin nicht. Sie scheint sie nicht einmal zu bemerken. Bauphysiker Schöberl hat jedoch seine Freude damit. Er weist extra darauf hin.

Generell erinnert der Eingang kaum an ein früheres Gründerzeithaus. Rechts und links führen Türen zu ebenerdigen Müll- und Fahrradräumen. Ein Lichthof erhellt den Bereich. Der Blick aus der Fensterfront in Richtung Innenhof zeigt, dass Wohnungen ab dem ersten Obergeschoß mit Grünflächen und nach oben hin mit Balkonen ausgestattet sind.

Frischer Luftzug trotz geschlossener Fenster

Der Gang durch das Stiegenhaus führt durch eine verwinkelte Bauweise. "Hier mussten wir uns natürlich an die Gegebenheiten des Altbaus halten", sagt Schöberl. In manchen Stockwerken sind die Fenster gekippt. Dadurch kann in der Nacht zusätzlich kühle Luft durchziehen.

In den Wohnungen ist Lüften allerdings nicht nötig. "Eine Lüftungsanlage versorgt die Wohnräume mit Frischluft", erklärt Schöberl. Wer trotzdem auf offene Fenster besteht, kann diese ohne Bedenken öffnen. Schöberl: "Auch wenn ein Drittel der Bewohner die Fenster gleichzeitig geöffnet hat, hat das keine negativen Auswirkung auf das Passivhaus."

Eine thermische Solaranlage am Dach versorgt die Bewohner mit Strom und Warmwasser. "Im Winter sind uns einfach Grenzen gesetzt aufgrund der geringeren Sonneneinstrahlung und des zusätzlichen Warmwasserverbrauchs", erklärt Schöberl. Die Fußbodenheizung in den Wohnungen wird allerdings Gas gewärmt, da Fernwärme nicht zur Verfügung stand. Das hatte Schöberl nicht in der Hand. Sollten die Eigentümer allerdings auf erneuerbare Energie umsteigen wollen, sind alle Vorkehrungen dafür getroffen.

Wiedereröffnet wurde das Haus in der Äußeren Mariahilfer Straße im März 2018.
Foto: APA

Sanierung sollte wirtschaftlich sein

"Es wurden 19 Wohnungen verbessert und neun neu geschaffen", heißt es auf einer Plakette an der "Wall of Fame", die auch die Förderungsmittel des Landes Wien, Alt-Bürgermeister Michael Häupl und den damaligen Wohnbaustadtrat Michael Ludwig erwähnt. Konkret hat die Stadt das Projekt mit 4,4 Millionen Euro in Form eines Darlehens und eines nicht rückzahlbaren Zuschusses unterstützt. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 7,7 Millionen Euro. Ein Drittel davon bezahlte die Versicherung.

"Die thermische Sanierung hat allerdings nicht mehr gekostet, als in einen 'normalen' Wideraufbau des Hauses investiert worden wäre", so Schöberl." Mit diesem Zinshaus sollte gezeigt werden, dass eine thermische Sanierung auch wirtschaftlich ist.

Da die Baugenehmigung vor 1945 erteilt worden ist, fällt das Zinshaus – auch saniert – in den Vollanwendungsbereich des Mietrechtgesetzes. Somit unterliegen die Quadratmeterpreise einem Mietendeckel. Das befand auch die Bewohnerin für gut, die ansonsten wenig Positives über ihren frisch sanierten Gründerzeitbau zu sagen hatte. (Julia Beirer, 27.7.20021)