Die Wiener Autorin Silvia Pistotnig treibt ihre Teresa an diverse körperliche und geistige Grenzen.

Foto: Milena

"Ich mag es, wenn die Leute sich über mich ärgern, das sorgt für schlechtes Karma, und das schlechte Karma, das bin ich." Es ist ja nicht so, dass die Literaturgeschichte unbedingt vollgeräumt wäre mit Protagonisten, die die Leserschaft mit ihrem Liebreiz, ihrer Herzensgüte, einer reinen Seele oder ihrer geradezu kitschigen Gescheitheit betören würden. Eigentlich reicht es ja schon, sich außerhalb heiliger Schriften von den faden Menschen draußen im Leben langweilen zu lassen.

Sprich Abgründe ließen sich auch dort sonder Zahl finden, so man sich für Menschen wirklich näher interessieren würde. Aber so genau wollen wir es dann doch lieber nur in Büchern lesen. Stell dir vor, man hätte Unsympathler mit einem richtig festen Klescher zu Hause herumsitzen. Lieblos, zart-psychotisch. Gefühlskalt, zynisch, misanthropisch. Was fehlt noch? Ach ja, verbiestert. Das wollen wir lieber nicht haben! Der somit ungefähr ziemlich genau beschriebenen Titelfigur aus Silvia Pistotnigs neuem Roman Teresa hört auf hören wir allerdings interessanterweise sehr gern zu, wenn sie durchaus unterhaltsam mit ihrem Leben hadert.

Pistotnig gelingt nach ihrem Debüt Tschulie ein weiteres Mal ein ziemlich böses Porträt einer jungen Frau, die man wegen ihrer zahllosen Störungen und Verstörtheiten bezüglich fragmentierter Selbstwahrnehmung und getrübter Reflexion natürlich unbedingt lieb haben muss. Man leidet ja auch als Elternteil mit den schwierigen bockigen Kindern mehr mit als mit den ewigen Aufzeigern und Klassenbesten.

Selfies mit "Arschlochkindern"

Teresa, die in einer Agentur für Maturareisen jobbt, mit deren Chef sie ein kurzes, absolut gefühlsfernes Techtelmechtel verbindet, ist aufgrund ihrer oberflächlichen Umwelt – Stichworte: Sommer, Sonne, Sangria und Selfies – verbittert geworden: "Märtyrer sind (aus)gestorben. Es gibt nur noch Selbstmordattentäter." Deshalb ist in dieser Geiz-ist-geil-Welt voller "Arschlochkinder" jedweder private Kontakt mühsam geworden.

Teresa hat sich in sich selbst zurückgezogen und verfolgt von dort aus wohl auch aus Abscheu vor ihrem eigenen Körper verschiedene, jeweils auf drei Monate befristete und zeichnerisch akribisch dokumentierte "Projekte" des Verfalls. Monatelanger Schlafentzug, tägliche Solariumbesuche, schließlich auch noch die Verweigerung von Körperhygiene und die weitgehende Einstellung sämtlicher körperlicher Aktivitäten: Projekt tote Fliege.

Aktuell hält Teresa bei Fress- und Brechsucht: "Bulimie passt wie ein perfektes Outfit zu mir, es ist eines meiner Lieblingsprojekte. Ich bin immer hungrig und finde mich zum Kotzen, ist das nicht lustig?" Ihre im Gegenzug wie ein Germteig aufgehende und dementsprechend von Teresa distanziert-sarkastisch beschriebene Freundin Nicole ist der einzige Mensch, der sie diesbezüglich zu verstehen scheint.

Spät-Twen Teresa hat die wesentlich ältere Frau am Kühlregal im Supermarkt bei der Eindeckung mit dem jeweiligen Tagesbedarf kennengelernt. Nicole stellt keine Fragen. Es fehlen ja auch etwaige Erklärungsversuche. Es ist, wie es ist.

Humor spielt eine Rolle

Teresas Mutter ist übrigens Psychotherapeutin, sie hat aber schon lange aufgegeben. Das ist vielleicht in diesem Roman ein wenig zu viel des Guten. Allerdings handelt es sich bei unserer Protagonistin ja auch um eine junge Frau, die der Engländer mit "She is quite a character" umschreiben würde.

Silvia Pistotnig sucht das sogenannte richtige Leben mit ihrer Protagonistin Teresa mit knapper, oft knochentrockener Sprache. Auch Humor spielt eine Rolle. Teresas Mutter fragt, warum die Tochter bei all ihrer Verstrahltheit nicht Künstlerin geworden sei. Teresa antwortet: "Die Wirklichkeit: Das bin ich." (Christian Schachinger, 8.6.2021)