Um eine Feier von Jugendlichen zu beenden, marschierten Polizisten am Wochenende auf dem Karlsplatz auf.

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Es ist Freitagabend, und mehr als tausend Jugendliche haben sich vor der Wiener Karlskirche versammelt, um zu feiern. "You can dance, you can jive, having the time of your life", singen sie und schwenken Feuerzeuge zu Abbas Dancing Queen. Kurze Zeit später werden die Jugendlichen "Ganz Wien hasst die Polizei" in Richtung der anwesenden Beamten skandieren. Am Samstag wird dann schließlich ein Platzverbot folgen, das auch die rot-pinke Stadtregierung empört. Dazwischen liegt ein Polizeieinsatz, der Fragen aufwirft.

Glasflaschen und Pfefferspray

Darüber, wieso die Situation auf dem Karlsplatz eskaliert ist, gibt es unterschiedliche Erzählungen. Fest steht, dass immer wieder Personen auf die Sockel der Statuen klettern, die bei den Treppen zur Karlskirche stehen. Etwa um ein Uhr beginnen Polizisten mit Schildern, die Menschenmenge vom Platz zu drängen. Gegen Jugendliche wird Pfefferspray eingesetzt. Mehrere Glasflaschen werden danach auf die Beamten geworfen, eine Polizistin erleidet eine Gehirnerschütterung.

Der Einsatz wird etwa eine halbe Stunde dauern. Am Tag danach begründet die Polizei das erste Einschreiten mit "drohenden Sachbeschädigungen und anderen strafbaren Handlungen". Wie in Videos in sozialen Netzwerken ersichtlich ist, spricht die Polizei per Lautsprecherdurchsage auch bereits vor Ort schon von Ersterem. In ihrer Bilanz wird die Polizei jedenfalls folgende Beschädigungen anführen: vier entfremdete Kennzeichen von Dienstfahrzeugen sowie ein beschädigtes Polizeiauto. Später wird die Exekutive auch darauf verweisen, dass es "seit geraumer Zeit eine Vielzahl von Anrainerbeschwerden" aufgrund von Lärmbelästigung gebe.

"Aus Situation vorläufig zurückziehen"

"Es schaut hilflos aus", sagt Menschenrechtsexperte Philipp Sonderegger, der seit Jahren Polizeieinsätze beobachtet und analysiert, zum Vorgehen der Polizei. Eine derartig kleine Menge an Polizisten habe schlicht nicht die Mittel, um mit so einer großen Menge umzugehen. Noch mehr Polizei im öffentlichen Raum sei trotzdem nicht die Lösung: "Es offenbart sich, dass jedes gesellschaftliche Problem von der Polizei gelöst werden soll." Vielmehr könne man sich überlegen, wie man öffentlichen Räume gestalte. Es sei immerhin absehbar gewesen, dass sich Jugendliche treffen werden. "Die Polizei ist zwar in der Pflicht, Straftaten zu verfolgen. Wenn Gefahr aber nur wegen der Konfrontation mit der Polizei besteht, dann ist es besser, diese zieht sich in so einer Situation vorläufig zurück."

"Amtsbekannte linke Aktivisten"

Bereits am Samstag betont die Polizei, dass die Stimmung auch von "amtsbekannten linken Aktivisten" angeheizt worden sei. Polizeipräsident Gerhard Pürstl betonte das auch am Sonntag erneut in einem ORF-Interview. Doch um welche Gruppen es sich genau handeln soll, ist noch immer unklar: Es ist weder ein einschlägiger Aufruf im Vorfeld zu finden, noch ist ein politischer Hintergrund der jugendlichen Feier ersichtlich. Am Montag heißt es auf STANDARD-Anfrage seitens der Polizei, dass man aufgrund datenschutzrechtlicher Gründe keine genauen Angaben zu den amtsbekannten Personen machen könne.

Ebenfalls am Samstag kündigt die Polizei dann schließlich ein Platzverbot auf dem Karlsplatz an, das Sonntagfrüh wieder aufgehoben wird. "Der wichtigste Aspekt war die Abwehr von Gefahren und die damit verbundene Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Ruhe. Daher wurde es verhängt, und es hätte auch die Mitsprache an dieser Entscheidung nichts geändert", heißt es dazu seitens der Polizei.

Verzögerte Stellungnahme

Es geht um Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), der nicht in die Entscheidung eingebunden war und sich davon wenig begeistert zeigt. Er pocht auf eine "verantwortungsvolle Politik und Maßnahmen, die das Miteinander unterstützen". Jede Form der Polarisierung sei "fehl am Platz". Bis es diese Stellungnahme von Ludwig gibt, vergehen allerdings viele Stunden. Erst als das Platzverbot am Sonntag wieder aufgehoben wird, meldet er sich zu Wort. Auch der für Jugend zuständige Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) schaltet sich dann in die Diskussion ein. Davor glühten offenbar die Telefonleitungen.

Nun sehen beide Handlungsbedarf. Das vorläufige Ergebnis einer Besprechung am Montag: Dienstagvormittag soll im Rathaus ein runder Tisch stattfinden, dem Vernehmen nach mit Vertretern der Politik, Polizei und mit Jugendarbeitern.

"Jedes Verständnis für Jugendliche"

Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) kündigt eine bessere Abstimmung und Kommunikation der Stadt mit der Polizei an. Weil im weiteren Verlauf des Sommers mit Ansammlungen von Feiernden zu rechnen sei, brauche es andere Deeskalationsmechanismen. Er habe "jedes Verständnis" für Jugendliche, die sich jetzt wieder treffen und feiern wollen.

Um zu verstehen, wie es zu der aufgeheizten Stimmung kam, muss man wohl auch die letzten Monate betrachten: Die Schulen waren geschlossen, Feiern nicht möglich, auch die Angebote der Jugendarbeit waren auf ein Minimum reduziert. Zusätzlich fühlten sich Jugendliche im öffentlichen Raum immer wieder drangsaliert. Seit Februar gab es etwa Schwerpunktkontrollen in der Innenstadt, in deren Fokus vor allem jugendliche Kleingruppen gerieten. Die Polizei bilanzierte nach wenigen Wochen mit tausenden Identitätsfeststellungen und Anzeigen.

In den vergangenen Wochen folgte die Diskussion um den Donaukanal. Denn nicht nur der Karlsplatz, auch die Uferpromenade im zweiten Bezirk ist in Sachen feiernder Jugendlicher zum Hotspot geworden. Alexander Nikolai (SPÖ), Bezirksvorsteher in Wien-Leopoldstadt, hofft allerdings, dass sich die Lage mit der Verlegung der Sperrstunde auf 24 Uhr entspannen werde, weil die Feiernden dann länger in den Lokalen bleiben. (Vanessa Gaigg, Rosa Winkler-Hermaden, 8.6.2021)