Am 16. Juni werden Joe Biden und Wladimir Putin in Genf persönlich aufeinandertreffen.

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Wenn Joe Biden diese Woche nach Europa reist, um sich erst demonstrativ zur transatlantischen Allianz zu bekennen und dann mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu reden, ist das zwar seine erste Auslandsreise als US-Präsident, aber aus Sicht der Innenpolitik nur eine Art Nebenprogramm. Der wichtigere Test nämlich steht demnächst in Washington an.

Daheim findet sich der Präsident an einer Weggabelung wieder. Er muss entscheiden, welche Richtung er nimmt. Feilt er weiter an Kompromissen mit der Opposition, auch wenn diese sein Programm stark verwässern? Oder kämpft er mit hohem Einsatz – und hohem Risiko – für seine Agenda?

Als Mann des Kompromisses hat sich Biden in 36 Senatsjahren und später als Vize Barack Obamas profiliert. Im Wahlduell mit Donald Trump war er der Versöhner, der Brücken zu bauen versprach. Zum kühnen Reformer wurde er erst, nachdem er seinen Amtseid abgelegt hatte. Einem 1,9 Billionen Dollar schweren Corona-Hilfspaket, im März vom Kongress verabschiedet, folgte eine Skizze, mit deren Hilfe Amerikas veraltete Infrastruktur modernisiert werden soll. Und bald darauf eine dritte Blaupause mit dem Ziel, die Kinderbetreuung zu verbessern und Heranwachsenden aus einfachen Verhältnissen faire Bildungschancen zu bieten.

Immenser Kraftakt

Nimmt man alles zusammen, will Biden demnächst zusätzliche Staatsausgaben in Höhe von vier Billionen Dollar im Parlament durchsetzen. Es ist ein Kraftakt, wie es ihn seit Franklin Delano Roosevelt und dem "New Deal" der 1930er-Jahre nicht mehr gegeben hat.

Und nun schlägt die Stunde der Wahrheit. Denn was gerade stirbt, ist die Hoffnung, eine Republikanische Partei, die sich allmählich von Trump abwendet, könnte sich irgendwo in der Mitte mit dessen Nachfolger im Oval Office treffen. Zum einen ist die "Grand Old Party" eine Trump-Partei geblieben. Zum anderen haben die Konservativen die Haushaltsdisziplin wiederentdeckt, nachdem ausufernde Staatsschulden vier Jahre lang kein Thema für sie gewesen waren.

Bestätigt fühlen sie sich durch Ökonomen, die vor Inflation warnen, falls der schon auf Touren gekommene Wirtschaftsmotor im Zuge einer staatlichen Ausgabenoffensive überhitzt. Die Spitze der Republikaner hat deutlich gemacht, dass sie Biden, wenn überhaupt, nur minimal entgegenkommt.

"Wir konzentrieren uns zu hundert Prozent darauf, die neue Regierung zu stoppen", sagte Mitch McConnell, Fraktionschef der Partei im Senat. Das klang kaum anders als im Frühjahr 2009, als McConnell, schon damals die republikanische Nummer eins der Senatskammer, seine Fraktion auf eine Totalopposition einschwor. "Das Wichtigste, was wir erreichen wollen, ist, dass Präsident Obama ein Präsident für nur eine Amtszeit bleibt", erklärte er, eine Blockade begründend, die den Politikbetrieb so gründlich lähmte, dass Trump 2016 mit Erfolg den resolut Durchgreifenden geben konnte.

Zeit läuft davon

Zwar verhandeln die Republikaner, doch echte Zugeständnisse haben sie bisher nicht gemacht. Der linke Flügel der Demokraten wiederum fürchtet, der Präsident könnte sich im Ringen um eine Einigung zu weit von seinen Ursprungsentwürfen entfernen. Die Zeit laufe davon, man müsse handeln, mahnt Bernie Sanders, Wortführer der Progressiven. Die Menschen wollten "Action, keine endlosen ‚Verhandlungen‘", twitterte der Senatsveteran.

Sanders ist bei weitem nicht der Einzige, der Biden drängt, sich von der Illusion parteiübergreifender Kooperation zu verabschieden, wenn die Gegenseite nur mauert. Eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus und ein Patt im Senat – aus Sicht der Linken sollte das reichen, um ambitionierte Gesetze zu verabschieden, ohne zu große Abstriche zu machen.

Das Risiko: Demokraten aus konservativen Bundesstaaten könnten aus der Phalanx ausscheren und Biden mit ihrem Nein erst recht blamieren. Welchen Weg der Mann im Weißen Haus geht, wird er wohl erst nach seiner Rückkehr aus Europa entscheiden.

Nächste Woche treffen Joe Biden und Wladimir Putin in Genf zusammen. Die Außenpolitik scheint momentan ein leichteres Pflaster für den US-Präsidenten zu sein als die Innenpolitik. (Frank Herrmann, 8.6.2021)