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Gefangen in einem fast bewegungslosen Körper mit einem geistigen Horizont, der kaum Grenzen kennt – so wurde Stephen Hawking oft gesehen.

Foto: Reuters / Lucas Jackson

Am Ende ist da nur noch eine dunkle Steinplatte in der Westminster Abbey zwischen den Gräbern von Isaac Newton und Charles Darwin. "Hier liegt das, was an Stephen Hawking sterblich war. 1942–2018", steht darauf, dazu die Essenz seines Forscherlebens: Die Formel für die Hawkingstrahlung, die gemäß seiner Theorie eben doch der Schwerkraft eines Schwarzen Lochs entkommen kann.

Wer war dieser Hawking? "Gereizt, arrogant und gefühllos sowie warm, witzig und brillant. Komplex und faszinierend." So beschreibt ihn US-Autor Charles Seife in Hawking Hawking: The Selling of a Scientific Celebrity (Basic Books, 2021). Auf 400 Seiten porträtiert er den Menschen und Forscher mit Empathie, Fachkenntnis und der nötigen Distanz.

Hawking war ein Star. Er sah sich in einer Reihe mit den ganz Großen seines Fachs. So sagte er 1987 in einer Rede vieldeutig: "Ich wurde am 8. Jänner 1942 geboren, genau dreihundert Jahre nach dem Tod von Galileo. Ich schätze, dass an diesem Tag noch ungefähr zweihunderttausend andere Babys zur Welt kamen. Aber ich weiß nicht, ob sich eines von ihnen später für Astronomie interessierte." Diese Anspielung auf Galilei wiederholte er mehrfach, etwa in einem Playboy-Interview, mit vielsagendem Lächeln.

Mediale Logik

Der Geltungsanspruch war für seine frühen Arbeiten zu Urknall und Schwarzen Löchern berechtigt. Spätestens seit den 80er-Jahren aber nahm sein wissenschaftlicher Einfluss ab. In den Medien indes wuchs seine Popularität. Nach deren Regeln war Hawking attraktiv: ein Mann, der das Universum, den Ursprung allen Seins, erforschte und zugleich von einem schweren Schicksal getroffen war – das Genie, gefangen in einem zunehmend bewegungsunfähigen Körper.

Hawking genoss die Aufmerksamkeit und erfüllte die Erwartungen mit humorigen Einlassungen und provokanten Thesen, die von Gott ("braucht das Universum nicht") bis zu Außerirdischen und künstlicher Intelligenz reichten, die er für große Gefahren hielt. Er gab Interviews, wirkte in TV-Produktionen mit, besuchte Partys.

Das Publikum reagierte oft unbeholfen, wie Seife konstatiert: "Intellektuell wussten sie, dass er einer der bekanntesten Physiker der Welt war. Doch seine Behinderung war so tiefgreifend, dass sie ihn fast reflexartig wie ein Kleinkind behandelten und vor Freude und Erstaunen über alles gurrten, was er sagte oder tat." Hawking ärgerte dies. "Er wollte berühmt sein für seine Physik, nicht für seine Persönlichkeit, seinen Zustand oder irgendetwas anderes."

Krankheit

Dennoch ist es sein Zustand, der sein Leben prägt. Die ersten Symptome der Krankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) zeigen sich 1962. Er stürzt häufiger, bald gehorchten die Hände nicht mehr seinem Willen. 1965 heiraten er und Jane Wilde, wissend, dass sie vielleicht nur einige gemeinsame Monate haben werden. Zum Glück kommt es anders.

In den frühen Siebzigern erlebt Hawking die erfolgreichsten Jahre als Wissenschafter. Als Familienvater leidet er unter dem Verfall seines Körpers, der ihm nicht einmal ermöglicht, mit seinen drei Kindern zu spielen.

Auch seine Ehe leidet unter der Krankheit. "Was ich für ihn tat, war eher mütterlich als ehelich", schrieb Jane in ihren Memoiren: "Ich fütterte ihn, ich wusch ihn, ich zog ihn an, ich putzte ihm die Zähne." Es sei ihr schwergefallen, den Menschen, den sie pflegte, auch zu begehren.

"Ich fürchtete, dass die Anstrengung, die mit sexuellen Aktivitäten verbunden ist, Stephen in meinen Armen töten könnte." So tritt Jonathan Hellyer, ein befreundeter Musiker, in das Leben der Hawkings und wird zu einem Teil der Familie.

Polizeiliche Ermittlungen

1990 trennt sich Stephen von Jane und heiratet später seine Pflegerin Elaine Mason. Diese Verbindung wird von schwerwiegenden Vorwürfen begleitet. Elaine soll sehr temperamentvoll gewesen sein, das Paar habe häufiger gestritten. Mehrere Personen aus Hawkings Umfeld berichteten Seife, sie hätten Angst um seine Gesundheit gehabt.

Um die Jahrtausendwende treten bei ihm mysteriöse Verletzungen auf – ein gebrochenes Handgelenk, eine verletzte Lippe –, worauf polizeiliche Ermittlungen beginnen. Hawking will nicht mit der Polizei kooperieren, die Untersuchung wird beendet. Die Vorwürfe gehen weiter. Elaine soll ihn einen Krüppel genannt, ihn grob in seinen Rollstuhl verfrachtet und zudem mit eingenässter Hose vor seiner Mutter sitzen gelassen haben. So berichtet es eine Krankenschwester britischen Medien.

Hawking lehnt die Anschuldigungen gegen seine Frau öffentlich "entschieden und von ganzem Herzen" ab. Sein Sohn Tim, seine Ex-Frau Jane und weitere Gefährten glauben das nicht und äußern sich sehr besorgt um ihn. 2006 wird auch diese Ehe geschieden.

Geldsorgen

Bis zu seinem Tod ist Hawking dennoch nicht allein, zumindest nicht physisch. Er musste rund um die Uhr betreut werden. Die Pflege war enorm teuer, erst recht Reisen mit einem speziellen Ambulanzflieger, die schnell einige Hunderttausend Dollar kosten. Hawking hat daher immer wieder Geldsorgen, wie sein langjähriger Agent Albert Zuckerman bestätigt.

Linderung verschafft neben Honoraren – etwa für ein Video, das die Rockband U2 auf Konzerten abspielt – vor allem sein Buch Eine kurze Geschichte der Zeit, das 1988 erscheint. Ein Bestseller. Und das Ergebnis harter Arbeit. Der erste Entwurf besteht aus Vorlesungsmaterial und ist fürchterlich trocken. Sein Lektor und ein engagierter Wissenschaftsjournalist beginnen das Manuskript zu kneten, dann arbeiten auch einige von Hawkings Studenten mit.

25 Millionen Bücher werden verkauft. Wie viele davon gelesen und verstanden wurden, ist nicht bekannt. Der Theoretiker Paul Steinhardt von der Universität Pennsylvania hat den Inhalt natürlich verstanden, aber nicht, warum Hawking ihn darin bloßstellt und angreift. Er und sein Doktorand hätten eine Idee zur kosmischen Inflation von Andrei Linde geklaut und als ihre eigene ausgegeben – so liest es ein Massenpublikum in der "Kurzen Geschichte".

Der US-Forscher ist entsetzt. Er kennt den Vorwurf, wonach er angeblich Hawkings Erläuterungen zu Lindes Konzept in einem Seminar Ende 1981 aufgeschnappt habe. Steinhardt hatte damals an Hawking geschrieben und erklärt, dass dies nicht stimme. Hawking reagierte nicht, erneuerte aber Jahre später die Anschuldigung in seinem Buch. Das hat Folgen: Steinhardts Bemühungen, eine Förderung der National Science Foundation zu erhalten, scheitern.

Zusammenarbeit nicht einfach

Er treibt einen Videomitschnitt des Seminars auf. Dieser belegt, dass Hawking nichts über Lindes Konzept berichtet hatte. Die Passage wird fortan nicht mehr gedruckt. Hawking vermeidet eine persönliche Entschuldigung und veröffentlicht eine Erklärung in einem Fachmagazin: Er bedauere es, wenn Leser diesen Absatz falsch interpretiert hätten, und er sei sich schon immer sicher gewesen, dass die beiden ihre Idee unabhängig von Linde entwickelt hätten.

Auch andere Wissenschafter berichten, dass die Zusammenarbeit nicht einfach war. Es dauert ewig, bis der Sprachcomputer einen Gedanken des Forschers hörbar macht, und nicht immer sind diese völlig verständlich.

Beiträge von Kollegen habe Hawking nicht gerade herausgestellt, zitiert Seife den Theoretiker Andrew Strominger. Der hatte 2016 Stephen Hawking für eine Kooperation gewonnen. "Er vereinfachte, was wir bereits erarbeitet hatten, und sagte irgendwann: Wir haben das Problem gelöst." Damit nicht genug, fügt Strominger an, er habe das "wir" noch häufiger durch "ich" ersetzt.

Bereits vor drei Jahrzehnten hatte Steinhardt formuliert: "Hawking ist ein herausragender Physiker, aber er ist kein Gott. Er ist ein Mensch." Wie wir alle. (Ralf Nestler, 10.6.2021)