Die Erkrankung istkomplex, die Forschung sehr aufwendig. Wie bei vielen Erkrankungen ist noch nicht zu hundert Prozent klar, warum die eine Person erkrankt, die andere dagegen nicht.

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Zuerst sind da nur Vergesslichkeit und Erinnerungslücken, später Orientierungslosigkeit, Sprachstörungen und eine Veränderungen der Persönlichkeit. Im späten Stadium einer Alzheimer-Erkrankung können Patientinnen und Patienten kaum noch sprechen, das Schlucken und Atmen wird immer mühsamer, Blase und Darm können nicht mehr kontrolliert werden.

Die Diagnose "Alzheimer" ist für Betroffene wie Angehörige ein schwerer Schlag. Schätzungen zufolge sind weltweit etwa 50 Millionen Menschen von dieser Form der Demenz betroffen, die meistens ab einem Alter von etwa 65 Jahren beginnt. Bis heute ist die Krankheit nicht heilbar. Die Behandlung konzentriert sich lediglich auf das Aufrechterhalten der Selbstständigkeit.

Die US-Arzneimittelbehörde FDA ließ kürzlich aber ein Medikament mit dem Wirkstoff Aducanumab zu. Es soll den Ausbruch von Alzheimer womöglich hinauszögern oder sogar stoppen können – seine Wirkung ist aber umstritten.

Antikörper gegen Alzheimer

Bei Aducanumab handelt es sich um sogenannte monoklonale Antikörper, die von der Firma Biogen entwickelt wurden. Aducanumab soll Eiweißablagerungen im Hirn abbauen und damit das Fortschreiten von Alzheimer verlangsamen, erklärte die Geschäftsführerin von Biogen Österreich, Astrid Müller, in einem Interview mit dem STANDARD im November 2019.

Lange bevor Sprach- und Denkstörungen auftreten, lagern sich im Gehirn von Betroffenen Eiweißmoleküle ab. Die Beta-Amyloid-Hypothese geht davon aus, dass diese Eiweißablagerungen, genannt Beta-Amyloid-Plaques, die Ursache für Alzheimer sind. Mit fortschreitender Erkrankung verklumpen diese Eiweißmoleküle und zerstören Nervenzellen im Gehirn. Die körpereigene "Müllabfuhr" schafft es nicht mehr, die abgestorbenen Zellen abzutransportieren – es bilden sich die für die Krankheit charakteristischen Ablagerungen im Gehirn, die letztlich die Signalübertragung behindern.

Eindeutig bewiesen ist das aber noch nicht. Dagegen spricht etwa, dass es Menschen mit Eiweißablagerungen gibt, die keine Symptome zeigen.

Zwei Studien, zwei Ergebnisse

Biogen forscht bereits seit Jahren am Wirkstoff Aducanumab. Im Jahr 2015 startete man mit zwei Studien, um die Effekte des Mittels nachzuweisen. 2017 begann gemeinsam mit dem japanischen Pharmaunternehmen Eisai die Testung für die Markteinführung.

Zwei Jahre später dann die Enttäuschung: Die Antikörpertherapie konnte den geistigen Verfall nicht maßgeblich aufhalten – die Studien der Phase III, in der es um Wirksamkeit und Sicherheit geht, mussten abgebrochen werden. Kurz darauf präsentierte das Unternehmen aber überraschend weitere Auswertungen, die der Arznei in einer der beiden Studien doch eine Wirksamkeit bescheinigten.

Das Ergebnis: Der Verlust von Gedächtnisleistung, Orientierung und Sprachvermögen verringerte sich bei höherer Dosierung bei Patienten, die sich noch in einem sehr frühen Stadium der Erkrankung befanden. So standen sich die Ergebnisse von zwei nicht zu Ende geführten Studien gegenüber – die Zulassung durch die FDA kam damit überraschend.

"Vorteile überwiegen Risiken"

Noch im November hatte ein Beratergremium der FDA gegen das Medikament gestimmt. Am Montag erklärte Patrizia Cavazzoni, Leiterin des FDA-Zentrums für Arzneimittelbewertung und -forschung, anlässlich der Zulassung hingegen: Es bestehe weiterhin eine gewisse Unsicherheit hinsichtlich des klinischen Nutzens, die Behörde sei aber zu dem Schluss gekommen, dass "die Vorteile des Mittels die Risiken überwiegen". Denn Alzheimer-Patienten stehe mit der Zulassung eine "wichtige und neue Behandlung zur Bekämpfung dieser Krankheit zur Verfügung".

Nach Angaben der FDA zeigten die klinischen Studien mit dem Mittel, das unter dem Namen Aduhelm vermarktet werden soll, eine erhebliche Verringerung der Ablagerungen. Bei einigen Patienten trat aber eine potenziell gefährliche Hirnschwellung auf.

Die Zulassung von Aducanumab hält der Nervenarzt Peter Dal-Bianco, Präsident der Österreichischen Alzheimergesellschaft, für eine hoffnungsvolle Sache und "sehr gute Nachricht" für alle Alzheimerpatinnen und Patienten weltweit: "Erstmals seit fast 20 Jahren ist wieder ein neuer Wirkstoff gegen Alzheimer zugelassen. Im Gegensatz zu den bereits bewährten symptomatisch wirkenden Medikamenten ist nun der lang ersehnte kausal wirkende "Impfstoff" Aducanumab zugelassen", erklärt Dal-Bianco. Wird dieser im Frühstadium eingesetzt, in dem die Krankheit kaum oder nur wenige Symptome macht, soll die klinische Verschlechterung verzögert werden. Das zugelassene Mittel setzt nämlich erstmals bei der Ursache der Alzheimer-Erkrankung an – so der Experte.

In Europa hat Biogen ebenfalls bereits eine Zulassung bei der Arzneimittelbehörde EMA beantragt. (Eja Kapeller, Julia Palmai, 9.6.2021)