Fast täglich ermorden Männer Frauen oder versuchen es zumindest. Meist sind es (Ex-)Partnerinnen und Verwandte. Im internationalen Diskurs spricht man von Femizid in Abgrenzung zum geschlechtsneutralen Homizid. Der Begriff geht auf die südafrikanische Aktivistin Diana Russel zurück (1976) und hat sich in der feministischen Kriminologie, aber auch der feministischen Gegenwehr wie der lateinamerikanischen Kampagne "Ni una menos" (Nicht eine weniger), etabliert. "Es geht darum, deutlich zu machen, dass es um Morde an Frauen geht, weil sie Frauen sind", begründet die Feministin Alexandra Wischnewski die Verwendung des Begriffes.

Ein Femizid im engeren Sinn ist die vorsätzliche Tötung einer Frau aufgrund eines angeblichen Verstoßes gegen die sich aus Traditionen und sozialen Normen ergebenden Rollenbilder von Männern und Frauen. Das grenzüberschreitende Verhalten hängt demnach vom sozialen Umfeld ab, in dem das Verbrechen stattfindet. Es geht um das Individuum, das meist aus der Perspektive des Täters etwas "falsch" gemacht hat, aber auch um das Individuum als Repräsentatin der geschlechtlich markierten Gruppe "Frauen", die entweder insgesamt oder in der ganz bestimmte Typen gehasst werden – oder in Einzelfällen als Repräsentant "falscher Mann", beispielsweise wenn es sich in den Augen des Täters um "verweichlichte" oder "verweiblichte" Männer handelt.

Hinzu kommt die Dimension der Straflosigkeit und Verantwortung des Staates. In einigen Debatten umfassen Femizide, auch Feminizide genannt, geschlechtsspezifische Todesarten von Frauen, an denen der Staat Mitverantwortung trägt, beispielsweise wenn Frauen an den Folgen illegalisierter und damit medizinisch gefährlicher Schwangerschaftsabbrüche sterben oder wenn sie von Frauenhäusern trotz akuter Gefährdung abgewiesen werden – beispielsweise aus Mangel an Kapazitäten und staatlichen Geldern. Diese begriffliche Ausweitung erschwert allerdings quantitative Erhebungen und internationale Vergleichbarkeit.

Mühevolle Statistiken

Da sich eine kontinuierliche kriminalstatistische Erfassung von Gewalt gegen Frauen erst langsam durchsetzt, gibt es weder in Deutschland oder Österreich noch im internationalen Bereich valide Statistiken. Chroniken und Sammlungen wurden und werden in mühevoller Zeitungsrecherche von NGOs und Aktivistinnen, Aktivisten geführt. Eine öffentliche Problematisierung von Morden und Mordversuchen, bei denen die Motivlage komplexer ist – das heißt, bei denen die getötete Person im Rahmen von Beziehungsgewalt als Individuum, bei gesellschaftlicher Diskriminierung aber als Repräsentantin, Repräsentant angegriffen wird –, findet so gut wie nie statt. Ebenso ist "Beziehungsgewalt" in nicht-heterosexuellen Beziehungen weitestgehend unerforscht.

Beziehungsgewalt von Frauen gegen Männer hingegen wird gleichermaßen berücksichtigt, unterliegt allerdings aufgrund vorherrschender Geschlechterrollenbilder einer großen Stigmatisierung und dürfte eine hohe Dunkelziffer aufweisen. Unbestreitbar bleibt, dass die statistischen Prozentzahlen dieser Art von Gewalt, Tötung und Mord im einstelligen oder niedrigen zweistelligen Bereich liegt, lediglich bei sexuellem Missbrauch von Kindern und Minderjährigen erreicht der Anteil der männlichen Opfer ansatzweise die Hälfte. Einheitliche Begrifflichkeiten für statistische Erfassungen existieren nicht.

Österreich erzielte schon im Jahr 2017 den "Europarekord" an Frauenmorden im Verhältnis zur Gesamtzahl der Tötungsdelikte und der Einwohnerzahl: In den meisten Ländern werden Männer häufiger Opfer von tödlichen Gewalttaten, generell also Mord, Totschlag und Körperverletzung mit Todesfolge, lediglich in Österreich (2017: 31 von 55 Toten, 2018 sogar 41 von 70 Toten), Norwegen (2017: 14 von 25 Toten) und Slowenien (2017: 9 von 17 Toten) ist das Geschlechterverhältnis bei vollendeten Morden und Totschlag umgekehrt.

Demonstration gegen Femizide im Oktober 2020 in Wien.
Foto: Presse Service Wien

Das Politische ist nicht privat

Besonders auffällig in der medialen Berichterstattung des weißen, deutschsprachigen Mainstream-Diskurses ist die Bezeichnung als "Eifersuchtsdrama" oder "Familientragödie". Wenn sich der Täter danach selbst umbringt, wird es oft "erweiterter Suizid" genannt. Diese Wortwahl blendet nicht nur die für die Verbrechen verantwortliche toxische Männlichkeit, die auch durch ein antifeministisches, rechtes Weltbild bedingt sein kann, und die strukturellen Machtverhältnisse aus, sie verschleiert sogar das Delikt der Tötung eines anderen Menschen oder des Mordes.

Während bei nicht-weißen Tätern oft ausschweifend spekuliert wird, ob sie Muslime sind oder gar dem IS nahestehen, fragt sich bei weißen Tätern die Öffentlichkeit selten, ob und welche politische Gesinnung und/oder Religionszugehörigkeit sie haben könnten. Das ist fatal, denn die politische Ideologie der Täter kann sowohl zu jenen antifeministischen Taten gegen Frauen als Repräsentantinnen ihres Geschlechts motivieren, als auch Beziehungsgewalt gegen (Ex-)Partnerinnen begünstigen.

Wenn allerdings der Täter nicht weiß und deutsch ist, wird, sofern es eine Beziehung zwischen Opfer und Täter gab, oft ein "Ehrenmordmotiv" unterstellt und sowohl das Delikt als auch eine verkürzte, imaginierte Motivlage genannt. Dies bedient zum einen rassistische Stereotype, zum anderen bagatellisiert es den antifeministischen Mord als "Notwendigkeit" zur Wiederherstellung einer "Ehre", übernimmt also unhinterfragt die frauenverachtende Rechtfertigung. Femizide sind die Spitze des Eisberges, eines strukturellen Machtverhältnisses, das wir Patriarchat nennen, ausgeübt von Tätern, die eine spezifische Form von Maskulinität verkörpern und ihr entsprechend handeln.

Demo in Wien.
Foto: Presse Service Wien

Sexualisierte und sogenannte häusliche Gewalt

Vergewaltigung hat nichts mit Sex, sondern nur mit Macht und Kontrolle zu tun, so die zentrale These von Susan Brownmiller. Die Journalistin und Feministin half 1975 mit ihrem Buch "Gegen unseren Willen" der weißen amerikanischen Frauenbewegung, mit bis dahin unhinterfragten Tabuisierungen und Mythen über Vergewaltigungen aufzuräumen und den Grundstein für erfolgreiche Anti-Rape-Kampagnen zu legen. Sex sei die Waffe, nicht aber die Motivation einer Vergewaltigung, Vergewaltigung die systematische Einschüchterung "aller Frauen" durch "alle Männer", also das zentrale Moment des Patriarchats und seiner Besitzansprüche. Bei aller Kritik an Brownmillers naturalistischer Verkürzung, an ihrer Reproduktion von Zweigeschlechtlichkeit sowie anderer gesellschaftlicher Unterdrückungsverhältnisse entlang von Ethnizität und Klasse, so ist in ihrer Betrachtung deutlich geworden, dass Vergewaltigung das Verbrechen ist, das uns am meisten gendert.

Sexualisierte Gewalt beinhaltet nicht nur – oder nicht in erster, sondern erst in zweiter Linie – physische Gewalt, sie ist gesellschaftlich so aufgeladen, dass sie eben nicht ein "normales" Gewaltverbrechen darstellt. Vielmehr bedeutet ihre Verknüpfung mit Schande, Scham und Ehrverletzung eine unwiederbringliche psychische Verletzung, ein Trauma, quasi einen "Seelenmord" für das Opfer und schreibt ihm damit eine prolongierte passive, verletzliche, entmündigende Rolle zu. Dass sie ein Mittel im Kampf gegen den Feminismus ist, erscheint logisch, wenn man von der Idee des zu kontrollierenden Frauenkörpers ausgeht.

Sexualisierte Gewalt, sogenannte häusliche Gewalt oder auch Beziehungs- oder Partnerschaftsgewalt dienen der Wiederherstellung der verloren geglaubten patriarchalen Rollenaufteilung und Geschlechterhierarchie. Dabei ist das eigene Nahumfeld und die eigene Wohnung für eine Frau der gefährlichste Ort. Und dennoch wächst sie seit ihrer Kindheit mit der Angst vor dem Draußen auf: vor dem Mann im dunklen Park, vor dem eigenen Kontrollverlust im Beisl, vor dem Parkhaus, vor dem Treffen zu zweit mit dem Kollegen. (Anna O. Berg, Judith Goetz, Eike Sanders, 25.6.2021)

Anna O. Berg ist Historikerin und Mitglied im Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus. Sie arbeitet freiberuflich in der politischen Bildung. Ihre thematischen Schwerpunkte sind Antifeminismus und Antisemitismus.

Judith Goetz ist Literatur- und Politikwissenschafterin, Mitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit sowie des Forschungsnetzwerks Frauen und Rechtsextremismus. Ihre Interessenschwerpunkte liegen bei Rechtsextremismus und Gender sowie Antifeminismus. Zuletzt erschienen die von ihr mitherausgegebenen Sammelbände "Untergangster des Abendlandes. Ideologie und Rezeption der rechtsextremen 'Identitären'" (2017) und "Rechtsextremismus, Band 4: Herausforderungen für den Journalismus" (2019) mit mehreren Beiträgen von ihr.

Eike Sanders forscht, publiziert und führt Bildungsarbeit zum Thema extreme Rechte und Gender durch. Ihre Schwerpunkte sind die "Lebensschutz"-Bewegung, Antifeminismus sowie der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU). Sie ist Mitglied im Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus. 2018 veröffentlichte sie gemeinsam mit Kirsten Achtelik und Ulli Jentsch das Buch "Kulturkampf und Gewissen. Medizinethische Strategien der 'Lebensschutz-Bewegung'".

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um Ausschnitte aus dem Buch "Frauen*rechte und Frauen*hass. Antifeminismus und die Ethnisierung von Gewalt", das Anna O. Berg, Judith Goetz und Eike Sanders gemeinsam als Autor*innen-Kollektiv "Feministische Intervention" (AK Fe.In) verfasst haben.

Judith Goetz diskutierte am 23. Juni 2021 mit Marcela Torres und Carina Maier über die Politisierung von Feminiziden als Zuspitzung patriarchaler Gewalt. Die Veranstaltung kann hier nachgesehen werden.

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