Feiern im öffentlichen Raum geht auch friedlich: Beim Demo-Rave "Techno in Harmony", veranstaltet vom Kollektiv Ananas, tanzten vergangenen Sonntag 1.000 Menschen für mehr Freiräume. Zumindest bis 21.30 Uhr.

Foto: Reiner Riedler

Bevor letzten Freitag die Situation auf dem Karlsplatz eskalierte, hätte man Wien auch für Barcelona oder Lissabon halten können. (Junge) Menschen, die sich an öffentlichen Orten treffen, um anzubandeln, zu trinken und zu feiern: im Süden ein normaler Anblick. Das Virus aus China hat für mediterrane Stimmung gesorgt. Die innerstädtischen "great outdoors" mit den Hotspots Donaukanal, Karlsplatz oder Maria-Theresien-Platz vulgo "Zwidemu" ziehen die Jugend an. Nun ist das keine ganz rezente Entwicklung, bereits vor der Pandemie traf sich der Nachwuchs jahrelang zum Chillen an öffentlichen Plätzen wie im Museumsquartier. Doch konnte man da kaum von Menschenmassen sprechen, derer die Polizei nicht mehr Herr wurde. Was ist also passiert, und vor allem warum?

Die Antworten sind ganz einfach: Da gerade kein Clubbetrieb möglich ist, hat die Jugend aktuell keine Orte, um zu feiern. WG-Partys kommen ob der Ansteckungsgefahr für viele Jugendliche nicht infrage, wer halbwegs verantwortungsvoll feiern will, wird sich nicht in Innenräumen treffen. Dass es also in Ermangelung der Nacht-U-Bahn an zentral gelegenen Frischluftorten zu Ansammlungen kommt, ist nur logisch und spätestens seit dem ersten Pandemiesommer gut dokumentiert.

Viele junge Leute kommen zum Karlsplatz, um zu skaten, zu lernen, zu feiern. Was denken sie über die Ausschreitungen vom Wochenende? DER STANDARD hat nachgefragt.

DER STANDARD

Man kann die jungen Menschen nun als böllerwerfende Gefährder abstempeln, man kann aber auch die Frage stellen, warum es für eine Gruppe in der Bevölkerung, die seit März 2020 ihrer gewohnten sozialen Räume beraubt ist, kaum ein Angebot gibt und warum es auch so schwer ist, dass sie sich dieses Angebot selbst schafft.

Kompliziertes Open Air

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten in Wien, im öffentlichen Raum legal zu raven. Möglichkeit eins ist so voraussetzungsreich, dass die Vienna Club Commission zusammen mit der IG Kultur gerade einen Open Air Guide zusammengestellt hat, um Licht ins Dunkel des kürzlich novellierten Veranstaltungsgesetzes zu bringen. Sobald eine Veranstaltung im öffentlichen Raum bei der MA 36 anmeldepflichtig ist – und das ist sie ab 300 Besuchern automatisch –, wird es aufwendig. Veranstaltet darf nur an Plätzen mit Eignungsfestellung werden, wer also an einem "neuen Ort", für den es eine solche noch nicht gibt, Party machen will, braucht neben einem Konzept und Ablauf für die Veranstaltung in jedem Fall ein kostspieliges schalltechnisches Gutachten, das sicherstellt, dass Anrainer nicht gestört werden.

Je größer die Veranstaltung, desto höher sind die Auflagen, zum Beispiel müssen dann auch Abfall, Sicherheits- und Sanitätskonzepte vorgelegt werden. Wer bis zu 5000 Gäste erwartet, muss spätestens einen Monat vor der geplanten Veranstaltung einreichen, wobei viele Veranstalter das bereits viel früher tun, um sicherzustellen, dass sie überhaupt eine Genehmigung erhalten. "Würde ich etwas im August draußen veranstalten wollen, hätte ich gestern mit der Planung anfangen müssen", erzählt ein Veranstalter. Dem Gesetz sind Wetter oder Spontaneität herzlich egal. Am Wochenende einen Rave für 2000 Leute im öffentlichen Raum schmeißen? Das wird eher nichts werden.

Höchstens man wählt Möglichkeit zwei und zeigt eine Demonstration oder Kundgebung bei der LPD Wien an. Das ist grundsätzlich bis zu drei Tage vor der geplanten Versammlung möglich und relativ unkompliziert, solange "ein gemeinsames Wirken" dahintersteht. Demonstriert man also für den Erhalt der Clubkultur oder die gerechte Verteilung des öffentlichen Raums, können auch 1000 Menschen unter einer Donaubrücke friedlich feiern, wie es zum Beispiel letzten Sonntag auf dem Demo-Rave "Techno in Harmony" möglich war. "Manche empfinden, was wir machen, hat zu wenig Demonstrationscharakter. Aber wir setzen uns für öffentliche Freiräume ein. Wir hatten am Sonntag ein 18-köpfiges Awareness-Team, das nur dafür da war, dass die Maskenpflicht eingehalten wurde. Es ist mir wichtig zu zeigen, dass wir solche Räume verantwortungsvoll nutzen können, ohne eine Gefahr für die Allgemeinheit zu sein oder den Platz voll mit Müll zu verlassen", sagt Sascha Aringer vom Kollektiv Ananas.

Absehbare Situation

Auch wenn viele dieser Demo-Raves, die momentan stattfinden, auf den Betrachter wie normale Partys wirken, stehen politische Forderungen dahinter. Es geht um eine Teilhabe am öffentlichen Raum ohne Konsumzwang, darum, dass junge, kulturschaffende Menschen – und dazu gehören auch jene, die Techno verlegen – die Stadt mitgestalten.

Man wünscht sich von der Stadt die Schaffung von Orten, an denen es bereits Infrastruktur – und seien es nur Strom und Toiletten – gibt und die von mehreren Kollektiven kurzfristig bespielt werden können, "ähnlich wie einen Grillplatz, den man reservieren kann", so Aringer.

Auf Bundesebene hat man mit der Förderschiene "Frischluft" zwei Millionen Euro für Outdoorkulturprojekte zur Verfügung gestellt, die Einreichfrist lief bis 15. Mai. In Wien schien man eher untätig gewesen zu sein. Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr verwies am Dienstag auf die neugeschaffene Schiene für Clubkultur des Kultursommers, die den Jugendlichen im Sommer als Raumersatz dienen soll. Dass die Stadt nicht von heute auf morgen neue Orte für Veranstaltungen zur Verfügung stellen kann, ist richtig; auch sie hat sich an das Veranstaltungsgesetz zu halten. Doch war die Situation spätestens seit dem letzten Pandemiesommer absehbar. (Amira Ben Saoud, 9.6.2021)