Den Status als Österreichs erste Fußballkommentatorin hat Anna-Theresa Lallitsch bereits seit 2019, jetzt kommt noch das Debüt bei einer Herren-EM dazu.

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Wien – Sie ist für viele ein Segen, für manche aber womöglich auch ein Fluch: die STANDARD-Kommentarfunktion. Anna-Theresa Lallitsch liebt sie zum Beispiel, aber auch nicht uneingeschränkt: "Nicht bei meinen Themen. Bei mir oder über mich werde ich das nicht lesen." Was sie aber wohl lesen wird, ist der Eintrag in die Geschichtsbücher, der ihr in Bälde winkt. Denn die 28-jährige Grazerin ist Österreichs erste Fußballkommentatorin, die bei einem Herren-Großevent ein Spiel kommentiert.

Mehrere Premieren bei Finnland gegen Dänemark

Die Tragweite dieses Ereignisses, dass die Männerbastion durchbrochen wird, spiegelt das Spiel selbst nur bedingt wider. Es lautet Finnland versus Dänemark, wird am Samstag, 12. Juni, um 18 Uhr angepfiffen und gehört zwar zu den interessanteren Begegnungen der Vorrunde, nicht aber zu den ganz großen Heulern der Fußball-Europameisterschaft. Neben Lallitschs EM-Debüt gibt es eine weitere Premiere zu feiern: Finnland bestreitet sein erstes Spiel bei einer Fußball-EM. Am 16. Juni ist Lallitsch auch bei der Partie Finnland gegen Russland im Einsatz und liefert am 21. Juni die Zusammenfassung von Finnland gegen Belgien.

Die neue Normalität?

Dass Fußball von vielen Männern immer noch als ihre Domäne empfunden wird, davon kann Lallitschs deutsche Kollegin, die ZDF-Sportkommentatorin Claudia Neumann, ein Lied singen. Sie wurde bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 übel und sexistisch beschimpft, als sie für das ZDF Spiele kommentierte. Nun: Österreich ist nicht Deutschland, und drei Jahre sind auch im Fußball eine lange Zeit, deswegen beschäftigt sich Lallitsch gar nicht mit solchen Szenarien: "Ich gehe nicht mit der Erwartungshaltung rein, dass ein Shitstorm oder Flowerrain kommen wird", sagt sie im Gespräch mit dem STANDARD: "Für mich fühlt es sich so an, und das sagen mir viele Leute, dass es egal ist, ob eine Frau oder ein Mann kommentiert. Ich bin ja nicht nur Fußballkommentatorin, sondern ein Mensch, eine Freundin, eine Bekannte, eine Tochter."

Familie und Freunde

Anna-Theresa Lallitsch ist die Tochter sportverrückter Eltern: "Bei uns werden Familientreffen nach Formel-1- und Skirennen organisiert, damit die Mama das ja schauen kann. Der Papa hat uns auf den Fußballplatz mitgenommen, und die Tante hat mit uns im Garten gekickt." Die Leidenschaft für Sport hat familiäre Wurzeln, aber nicht nur: "Ich war immer mehr mit Burschen befreundet. Wenn du dich mit denen unterhalten möchtest, solltest du dich mit Fußball auseinandersetzen." Passiv und aktiv: "Ich habe mit den Burschen in der Hofpause gekickt oder bei Schulturnieren. Wir hatten nur fünf Burschen in der Klasse, und ich war dann bei 5+1 das Plus 1, wenn sich von der Nachbarklasse niemand bereiterklärt hat."

Lallitsch hat sich aber nicht nur mit Fußball auseinandergesetzt, sondern eine Affinität zu allen Sportarten entwickelt: "Ich schaue alle Sportarten wie Rugby, Tennis, Snooker oder Volleyball und Handball, aber Fußball ist für mich das Größte. Das ist wie Heimkommen, wenn man etwa zwischendurch Rudern oder was auch immer bei den Olympischen Spielen kommentiert, wie ich das für den Zweikanalton gemacht habe."

200 Livespiele für Zweikanalton kommentiert

Lallitsch ist zwar erst 28 Jahre alt, blickt aber dennoch bereits auf viel Erfahrung zurück: Seit sie 19 ist, kommentiert sie Fußballspiele für Blinde und Sehbehinderte im Zweikanalton des ORF sowie für Bundesliga On Ear, das Stadionradio für sehbehinderte Menschen. An die 200 Spiele dürften es im Lauf der Jahre gewesen sein. Zu den Fußballpartien kommen noch andere Highlights wie Olympische Sommer- und Winterspiele, Ski alpin oder die Nordische WM dazu.

Anna-Theresa Lallitsch.
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Cup-Finale als Sprungbrett

Den Sprung in die ORF-Sportredaktion verdankt Lallitsch dem Cup-Finale 2018 in Klagenfurt zwischen Salzburg und Sturm Graz, das sie für den zweiten Tonkanal, also die Audiodeskription, kommentiert hatte: "Der RTL-Sportchef hat den ORF-Sportchef angerufen und gefragt: Seit wann habt ihr eine Fußballkommentatorin? Sie macht das super, sie redet aber ein bisschen zu viel." Wie man das halt bei Audiodeskription so macht, um Bilder für den Kopf zu liefern. ORF-Sportchef Hans Peter Trost habe sie danach angeredet und gesagt: "Wir wollen Sie für den ersten Tonkanal." Lallitsch hat nicht lange überlegen müssen. Dann sei alles sehr schnell gegangen: "Ich bin im April 2019 gekommen und habe dann bereits im Sommer die ganze Frauen-WM kommentiert, die Fifa-Klub-WM und Zweitligaspiele."

Außerdem moderiert sie auf ORF Sport Plus noch das Frauenfußballbundesliga-Magazin, das sie auch redaktionell betreut, und gestaltet etwa Bundesliga-Zusammenfassungen für ORF 1. Die ORF-Sportredaktion sei keine große Männerdomäne, sagt Lallitsch: "Es überwiegt zwar der Männeranteil, aber es ist nicht so eklatant."

"Bei Frauenfußballspielen ist man näher dran"

Beim Frauenfußball schätzt Lallitsch das Naheverhältnis zwischen Kommentatorin und den Vereinen: "Ich spreche mit Trainern und Trainerinnen, Spielerinnen und mit Leuten aus dem Betreuerstab. Wenn du Zeit und Lust hast, kannst du lange philosophieren und alle Fragen stellen, die dir einfallen. Bei Frauenfußballspielen ist man näher dran." Denn: "Wann hast du sonst die die Möglichkeit, lange und immer wieder mit Bundesligatrainerinnen zu telefonieren?" Etwa mit Irene Fuhrmann, der Teamchefin der Fußballnationalmannschaft der Frauen, und den Trainern der zweiten Liga, deren Spiele Lallitsch für ORF Sport Plus kommentiert. "Ich weiß nicht, ob sich der finnische Nationaltrainer so darum reißt, dass ich anrufe. Kann sein, ich habe es noch nicht probiert", sagt sie und lacht.

Nicht überanalysieren

Der finnische Nationaltrainer heißt übrigens Markku Kanerva. Das weiß Lallitsch längst, viele andere womöglich noch nicht, darum sei es hier erwähnt. Denn die Vorbereitung auf ihr erstes EM-Match hat für Lallitsch längst begonnen und sieht so aus: "Ganz viel einlesen in die Materie. Über die Nationalteams, die Spieler, Regel-Taktik-Schulung und -Auffrischung, Videos anschauen, Gespräche führen." Bei aller Akribie und Recherche warnt sie aber davor, ein Opfer der Informationsflut zu werden: "Man kann überanalysieren. Wenn man nur mehr über Statistiken spricht, nicht mehr auf das Spiel eingeht und die Freude für Details verliert." Denn: "Was wir alle wollen, ist letztlich Unterhaltung. Und dafür sollte das Spiel sorgen."

Kritik gerne, aber mit Respekt und im Rahmen

Vorbilder hat sie keine, "authentisch bleiben und nichts imitieren" ist die Devise, ihre eigene Vorreiterrolle nehme sie aber sehr ernst, sagt Lallitsch: "Am Anfang war mir gar nicht bewusst, dass ich in eine Vorbildrolle reingekommen bin. Es haben mir junge Mädchen und Frauen gesagt, dass ich ihr Vorbild bin: Du machst das, was viele von uns machen möchten. Aber es sind auch Männer, die zur Vorbildrolle gratulieren." Die bisherigen Erfahrungen seien auch der Grund, warum sie bei ihrer EM-Premiere nicht mit allzu viel Aufsehen rechnet: "Negative Reaktionen hat es bis jetzt noch nicht gegeben. Dass sich zum Beispiel jemand eine andere Stimme wünscht oder etwas anders beschrieben haben möchte, okay, als Fußballkommentatorin bin ich natürlich vergleichsweise exponiert. Aber unterschiedlichste Präferenzen gibt es ja überall und in allen Berufen." Kritik und Feedback seien immer willkommen: "Aber so wie bei meinen männlichen Kollegen. Fachlich, gerne hart, aber es muss in einem respektvollen Rahmen sein."

Fußball an der Wurzel

Welche Ziele steckt sie sich als ORF-Kommentatorin? "Ich mache den Job wahnsinnig gerne und bin ehrgeizig, aber solche Ziele wie das Kommentieren eines WM-Finales setze ich mir nicht." Sie lehne solche Kategorisierungen ab wie: "Das ist die WM, das ist das Höchste, Wichtigste und Beste. Nein, ich freue mich genauso, wenn ich wieder ein Frauenfußballbundesligaspiel wie Neulengbach gegen Sturm kommentieren kann. Und ich dort in einem einfachen Stadion sitze. Das ist für mich Fußball, da kommt er her." Aber sollte jemand anklopfen und sie fragen, ob sie ein Champions-League Finale kommentieren möchte? "Dann bin ich natürlich bereit." (Oliver Mark, 11.6.2021)