Politikwissenschafterin Sieglinde Rosenberger geht in ihrem Gastkommentar zur Islamlandkarte auf die Verantwortung der Wissenschaft ein – und sieht jede Menge Kritikpunkte.

Die Islamlandkarte liegt an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik. Nach vielfach heftig geäußerter Kritik und rechtsextremer Aneignung fordern die verantwortlichen Islamwissenschafter nun auf einer Web-Seite mit Verweisen auf die Universität Wien eine sachliche Debatte über Islam und dessen Verbände, Vereine und Moscheen.

Tatsächlich liegen hier Probleme vor. Aber es reicht nicht, nur über die politische Ausrichtung der gelisteten Organisationen zu reden, es ist auch über die Qualität des Produkts Islamlandkarte sowie über die wissenschaftliche Verantwortung zu sprechen. Was gewinnt beziehungsweise verliert Wissenschaft, wenn sie sich beauftragen und gewinnen lässt, eine politische Agenda mit zu definieren, zu legitimieren und zu reproduzieren?

Ende Mai präsentiert, ebbt die Kritik an der Islamlandkarte der Dokumentationsstelle Politischer Islam nicht ab.
Foto: APA/Hochmuth

Über Inhalt und Ziel der Islamlandkarte sind sich die Proponenten nicht ganz einig: Die Religionswissenschafter betonen, Transparenz über islamisches Leben herzustellen, während die Integrationsministerin extremistische Organisationen und Gefahren öffentlich machen will. Unbestritten ist, dass die besagte Landkarte im Narrativ des politischen Islam verortet ist. Die Dokumentationsstelle Politischer Islam nennt es als ihre Aufgabe, sich wissenschaftlich mit der gefährlichen Ideologie des politischen Islam auseinanderzusetzen und Einblicke in Netzwerke zu liefern. In diesem institutionellen Setting Wissenschaft zu kommunizieren heißt, sie einem "politischen Islam-Blick" unterzuordnen.

Wohlwollend betrachtet liegt strategisch eine politische Doppelbotschaft vor. Die Auftrag- und Geldgeber betonen den Extremismus, die Wissenschafter die Transparenz. Aber Transparenz leistet das universitär verankerte und so aufgewertete Produkt "Islamlandkarte" allerdings nicht.

Klarheit fehlt

Zunächst ist die Skizze der Vereinslandschaft empirisch lückenhaft, und sie differenziert nicht zwischen Organisationen mit und ohne Nähe zum politischen Islam. Den Ausführungen fehlt die konzeptionelle Klarheit, die eine Differenzierung überhaupt erst erlauben würde. Es fehlen die analytischen Werkzeuge, die die ideologische und praktische Positionierung selbst im Horizont der von der Dokumentationsstelle verwendeten Definition des politischen Islam verorten ließen. Folglich gibt es kein Mehr an nachvollziehbarem Wissen für die Auseinandersetzung mit der existierenden religiös-extremen Ideologie und Praxis, die sich gegen liberale Werte und Demokratie richtet. Die Absenz der Differenzierung läuft geradewegs auf eine Generalisierung hinaus. Die häufig geäußerte Kritik des Generalverdachts hat hier ihre Wurzeln. Er verunmöglicht eine sachliche Diskussion, an die die Autoren aber appellieren.

Parteipolitischer Kontext

Verantwortung der empirischen Wissenschaft hat mehrere Gesichter. Eines betrifft die Herstellung nachvollziehbaren, auf Methoden und Daten basierenden Wissens. Die Islamlandkarte erfüllt diese basalen Erfordernisse aber nicht. Sie gibt weder Hinweise auf die Methoden der Datenerhebung noch darauf, ob die Ergebnisse bereits der wissenschaftlichen Community vorgestellt und ein qualitätsfeststellendes Verfahren durchlaufen haben.

Ein zweites Gesicht der Verantwortung betrifft den Umgang der produzierten Ergebnisse in der Phase der politischen Interpretation und Kommunikation. Im gegenständlichen Fall wurde das Wissen, genauer ein Produkt, unmittelbar der Politik zur Verfügung gestellt, die Präsentation erfolgte einzig im parteipolitischen Kontext einer Pressekonferenz der ÖVP-Integrationsministerin. Dieser Kontext ist wesentlich mit zu bedenken, da die Integrationspolitik der letzten Jahre der "anderen" Religion nicht nur viel mediale negative Aufmerksamkeit gab, sondern auch weniger von fördernden Maßnahmen als von Verboten und Kontrollen gekennzeichnet war.

Risiken abwägen

Wenn nun empirische Wissenschaft dezidiert im Auftrag einer politischen Partei arbeitet, die den religiösen Populismus pflegt, dann lädt sie sich auch Mitverantwortung für daraus resultierende Diskurse und Handlungen auf. Nicht naiv, sondern verantwortungsvoll hat sie mögliche Effekte zu antizipieren. Auch die empirische Religionswissenschaft, die sich auf das politische Terrain begibt, hat Risiken abzuwägen; dazu gehört, die der Politik übergebenen Produkte nicht nur robust zu erstellen, sondern die Dynamiken der Politisierung vorweg zu reflektieren. Anders gesagt, die auf der politischen Bühne als wissenschaftlich präsentierten Ergebnisse bedürfen bei der Herstellung besonderer Seriosität und Reflexion, um einer nichtintendierten Verwendung bestmöglich zu parieren.

Der religiös-motivierte Extremismus ist zu brisant, um mit ihm Machtspiele zu betreiben. Sachliche Diskussionen müssen aber möglich sein. Deshalb ist die Qualität der Islamlandkarte danach festzustellen, ob sie a) einen Beitrag zu Freiheit, Verantwortung und Demokratie leistet, b) der politischen Instrumentalisierung nicht auf den Leim geht, c) dem Risiko sowohl der rechtsextremen Nutzung als auch dem religiös-motivierten Extremismus entgegenwirkt. Die große Nähe zu Politik und medialer Öffentlichkeit verlangt eben nach großer Verantwortung für Konsequenzen. Das öffentliche Vertrauen, das Universitäten weithin genießen, sollte weder in willentlicher noch in naiver Weise für politische Machtinteressen riskiert werden. (Sieglinde Rosenberger, 10.6.2021)