Dmitri Medwedew droht die nächste Degradierung.

Foto: Imago

Drei Monate sind es noch bis zur Duma-Wahl in Russland, und die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Während Justiz und Behörden mit aller Macht möglichen Kandidaten der außerparlamentarischen Opposition den Weg zur Abstimmung versperren, fokussiert sich die Kremlpartei Einiges Russland auf die Erstellung der eigenen Wahlliste.

Auf regionaler Ebene findet dort eine Vorauswahl innerhalb der eigenen Partei statt, die Einiges Russland nach US-Vorbild Primaries nennt. Die Plätze sind begehrt, auch wenn das demokratische Prozedere teilweise zweifelhaft ist. So gab es Meldungen, dass Bürger zur Abstimmung bei den Primaries genötigt wurden. In der Regel betrifft dies Beamte und staatliche Angestellte wie Lehrer oder Ärzte.

Doch diese Aktivität reicht nicht aus, um das Interesse an der Partei zu fördern. Deren Rating ist für den Kreml unbefriedigend. Medienberichten zufolge fordert die Präsidialadministration nämlich das Erreichen der Zweidrittelmehrheit. Jedoch ist selbst nach Angaben des kremlnahen Umfrageinstituts WZIOM Einiges Russland schon längst kein einigender Faktor mehr für die Russen. Laut der jüngsten Umfrage würden nur 29,7 Prozent der Russen die Partei wählen.

Kampf um die Mehrheit

Zum Vergleich: Die drei handzahmen Oppositionsparteien in der Duma, KPRF, LDPR und Gerechtes Russland, kommen zugleich auf 13,2, 10,2 und 7,3 Prozent. Damit muss Einiges Russland selbst um die Mehrheit kämpfen.

Der Parteivorsitzende Dmitri Medwedew ist dabei keine Hilfe. Die Mehrheit der Russen lehnt den Ex-Präsidenten ab. Nur 23,3 Prozent der Befragten vertrauen Medwedew, während ihm gleichzeitig zwei Drittel der Bürger misstrauen.

Darum basteln die Polit-Technologen im Kreml an verschiedenen Wahllisten. Erstmals seit 2003 werden dabei wohl mehrere Spitzenkandidaten die Partei in den Wahlkampf führen. Ein einziger Spitzenkandidat käme nur infrage, wenn sich Putin dazu bereiterklärte, doch dessen Sprecher Dmitri Peskow reagierte bisher ablehnend.

Frau gesucht

Medwedew, der die Partei 2011 und 2016 anführte, wird es heuer allein nicht richten. Womöglich fehlt er sogar ganz auf der nationalen Wahlliste. Andere Politiker sind populärer. So sind Interna zufolge Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Außenminister Sergej Lawrow als Führungsduo im Gespräch. Gesucht wird zudem noch eine Frau mit Kompetenzen im Sozial- und Kulturbereich als komplementäres Element. Alternativ denken die Polit-Technologen auch über Ärzte nach, die sich während der Covid-Krise ausgezeichnet haben.

Bereits zu Jahresbeginn tauchten Gerüchte auf, der Oberarzt des wichtigsten Covid-Krankenhauses in Moskau, Dennis Prozenko, könnte für Einiges Russland antreten. Prozenko wäre ein geeigneter Kandidat – medial präsent und für seinen Einsatz gegen Covid hochdekoriert. Allerdings war schon seine Unterstützung für die Verfassungsänderung zur Verlängerung von Wladimir Putins Amtszeit eher lauwarm, und auch auf die Gerüchte einer Duma-Kandidatur reagierte er mit dem in Moskau bekannten Filmzitat: "Lesen Sie keine sowjetischen Zeitungen."

Das Gesicht wahren

Für Medwedew würde die Nichtberücksichtigung auf der Wahlliste ein weiteres Zurücksetzen nach seiner Demission als Premierminister Anfang 2020 bedeuten. Immerhin ließe sich das einigermaßen gesichtswahrend verkaufen. So könnte er als Parteichef den Wahlkampf hinter den Kulissen leiten und argumentieren, dass er als Vizechef des nationalen Sicherheitsrats ohnehin kein Duma-Mandat beansprucht. Gleiches träfe freilich auch auf die kolportierten Schoigu und Lawrow zu. (André Ballin aus Moskau, 10.6.2021)