Joe Biden steigt in die Air Force One, um seine erste Europareise als US-Präsident anzutreten. Die erste Station ist Großbritannien, gefolgt von Brüssel (Nato-Gipfel) und Genf, wo er Wladimir Putin treffen wird.

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US-Präsident Joe Biden hat zum Auftakt seiner Europareise zur Verteidigung der Demokratie aufgerufen und den Führungsanspruch der Vereinigten Staaten unterstrichen. "Ich glaube, wir befinden uns an einem Wendepunkt der Weltgeschichte", sagte Biden am Mittwoch vor US-Soldaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Mildenhall in Ostengland, der vom US-Militär genutzt wird.

Bidens erste Europareise als Präsident steht zunächst einmal im Zeichen dringend notwendiger Reparaturarbeiten. In den vier Jahren, in denen Donald Trump regierte, haben die Verbündeten gelernt, dass sie sich auf Dauer wohl nicht auf Amerika verlassen können. Es genügte ein einziger Machtwechsel im Weißen Haus, um das Netz internationaler Allianzen, das die USA nach 1945 knüpften, einer extremen Belastungsprobe auszusetzen. Indem Trump die Existenzberechtigung der Nato infrage stellte, machte er deutlich, dass das Bekenntnis zur transatlantischen Brücke in einem politisch so gespaltenen Land wie den USA nicht garantiert ist.

Biden ist angetreten, die Scherben zusammenzukehren und den Europäern neues Vertrauen einzuflößen. Das ändert nichts an Zweifeln, die er nicht ausräumen kann. Steht der 78-Jährige lediglich für eine Art Intermezzo? Wählen die Amerikaner 2024 einen zweiten Trump, einen nationalistischen Populisten, der Allianzen eher als Bürde empfindet und über die damit verbundenen Kosten klagt? Tritt Trump selbst noch einmal an? Es sind Fragen wie diese, die wie ein Schatten über der sorgfältig vorbereiteten Gipfel-Choreografie liegen.

Wettbewerb mit China

Eine – mindestens – ebenso zentrale Baustelle ist das Verhältnis zu China. In der Volksrepublik sehen die Amerikaner den großen Rivalen des 21. Jahrhunderts. Das ist nicht neu, aber Bidens Regierung macht es noch unmissverständlicher klar als ihre Vorgänger. Sowohl der Präsident als auch sein Außenminister Antony Blinken sprechen von einem Wettbewerb der Gesellschaftsmodelle zwischen amerikanischer Demokratie und chinesischer Techno-Autokratie.

Auch in Bezug auf die Verbündeten wird vieles durch die Brille des Wettlaufs mit Peking gesehen. Noch vor seinem Amtsantritt hatte Biden einen Gipfel der Demokratien angepeilt, um China in die Schranken zu weisen. Er sollte in diesem Frühjahr über die Bühne gehen, ist aber verschoben worden, wobei niemand weiß, wann er stattfinden soll.

Die Zerschlagung der Demokratiebewegung in Hongkong, die Unterdrückung der Uiguren, drakonische Härte gegenüber Dissidenten – das alles prangert Biden an, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, während Trump offen mit Diktatoren sympathisierte. Seine Strategen wissen aber auch um die Differenzen mit den Europäern, in deren Exportbilanz der chinesische Markt stärker ins Gewicht fällt. Man werde die Alliierten nicht zwingen, sich nach dem Motto "Wir oder sie" zwischen Washington und Peking zu entscheiden, sagte Blinken im April.

Klartext und Dialog

Russland: Einen demonstrativen Neustart hin zu besseren Beziehungen, wie ihn Barack Obama 2009 anstrebte, dürfte es kaum geben. Biden übt scharfe Kritik an Wladimir Putins Umgang mit Oppositionellen, den er, unter anderem wegen des Giftanschlags auf Alexej Nawalny, als "Killer" bezeichnete.

Es hindert ihn nicht daran, sich in Genf mit Putin zu treffen. Man könne Klartext reden und zugleich den Dialog suchen, begründet er seinen Ansatz. Allein schon die Atommacht Russland ist für das Weiße Haus zu bedeutsam, als dass es eine Alternative zum Gespräch mit dem Kreml sähe. In fünf Jahren läuft der New-Start-Vertrag über die Reduzierung strategischer Nuklearwaffen aus. Schon jetzt müsse man anfangen, über eine Nachfolgeregelung zu verhandeln, mahnt Michael McFaul, ein ehemaliger US-Botschafter in Moskau.

Fast alles andere, von Nawalny über die Ukraine bis hin zu Belarus, stehe im Zeichen konträrer Ansichten. Mit dem Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 hat sich Bidens Kabinett offenbar widerstrebend abgefunden. Die Pipeline sei eine "schlechte Idee", aber da sie zu 95 Prozent fertig sei, könne man wenig tun, um sie zu verhindern, erklärte Blinken diese Woche im Kongress.

Konflikt zwischen Israel und Hamas

Nahost: Eigentlich wollte Biden nach den ernüchternden Erfahrungen der vergangenen zwei Dekaden einen großen Bogen um die Region machen, um sich stärker auf Ostasien konzentrieren zu können. Doch wieder einmal hat sich bewahrheitet, dass eine plötzliche Krise jedes Konzept durchkreuzen kann. Im Konflikt zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas musste sich Washington für eine Waffenruhe einsetzen, was es anfangs eher halbherzig und – angesichts der Bilder zerstörter Hochhäuser in Gaza – nach einigen Tagen entschlossener tat. Ob Biden in einem nächsten Schritt Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern vermittelt, bleibt unklar.

Der bislang letzte amerikanische Vermittlungsversuch ist 2014 krachend gescheitert, was Biden allein schon zögern lässt, nochmals Anlauf zu nehmen. Den Hoffnungsschimmer amerikanischer Nahostpolitik bildet die Aussicht, nach dem von Trump verfügten Ausstieg wieder in das Atomabkommen mit dem Iran einzusteigen. Hinter den Kulissen wird gerade um Details gerungen.

Kurskorrektur bei Corona

Globale Themen: Nach dem Wechsel im Oval Office hat der Klimaschutz wieder höchste Priorität, was vor Wochen ein virtueller Klimagipfel in Washington unterstreichen sollte. Dabei wurden ehrgeizigere Klimaziele verkündet: 2030 wollen die USA 50 Prozent weniger klimaschädliches CO2 ausstoßen, als es 2005 der Fall war.

Im weltweiten Kampf gegen Corona steht eine Kurskorrektur an. Lange hielt es Biden mit der Devise "America first", auch wenn er die Parole seines Amtsvorgängers nie benutzte. De facto galt ein Exportverbot für Impfstoffe. Inzwischen liefern die USA Vakzine ins Ausland, wenn auch nicht in den Mengen, wie es Fürsprecher einer globalen Großoffensive verlangen. Beobachter halten es für möglich, dass Biden auf dem G7-Gipfel zusätzliche Verpflichtungen eingeht. (Frank Herrmann aus Washington, 10.6.2021)