Wieder einmal stolpert der Kanzler über eines seiner vollmundigen Versprechen. "Wir wollen nicht auf die Umsetzung auf europäischer Ebene warten", sagte Sebastian Kurz noch im März im Bezug auf den digitalen Impfnachweis. Das war nach dem Kaufhaus-Österreich-Desaster eine recht überhebliche Ansage in Richtung Brüssel. Doch Kurz wollte wieder einmal schneller und besser sein als alle anderen in Europa. Sich in der Corona-Krise in einer permanenten Rangliste mit anderen Ländern zu sehen, ist man vom Kanzler gewöhnt. Dann muss man aber auch liefern. Am Ende gehört Österreich beim grünen Pass zu den Langsamen, wurde etwa von Ländern wie Dänemark, Bulgarien oder Litauen längst überholt.

Österreich gehört beim grünen Pass zu den Langsamen.
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In aller Not wird nun ein digitaler Nachweis bloß für Getestete und Genesene präsentiert. Das Zertifikat für knapp vier Millionen Erstgeimpfte fehlt vorläufig auf unbestimmte Zeit.

Der Treppenwitz: Am 1. Juli kommt, auch leicht verspätet, der digitale Impfnachweis der EU. Bis dahin will auch Österreich seine Variante fit bekommen. Anders geht es auch nicht, wenn das Projekt nicht in völliger Peinlichkeit versinken soll. Immerhin ist der grüne Pass ein Schlüsselstück für den Sommertourismus. Vorerst bleibt der Impfnachweis in Österreich ein Zettelwerk.

Eile des Kanzlers

Seit Wochen läuft man der Eile des Kanzlers hinterher. Ein grüner Pass für Getestete wurde eigentlich schon für April in Aussicht gestellt. Das klappte nicht. Eine Vollversion mit Juni gibt es nun auch nicht. Man kämpfe noch mit der technischen Umsetzung, etwa mit der Verquickung der unterschiedlichen Systeme in den neun Bundesländern, erklärt das Ministerium. Die IT-Services der Sozialversicherung mussten auch datenschutzrechtliche Probleme auflösen.

Diese waren wohl auch wesentlich ausschlaggebend dafür, warum sich das Projekt verzögerte. Es brauchte mehrere Anläufe, um den grünen Pass legistisch auf den Weg zu bringen. Die Pläne des Gesundheitsministeriums mussten nachgebessert werden. Aufregung gab es vor allem, als ein Entwurf vorsah, den Impfnachweis auch mit Daten zu Einkommen, Arbeitslosigkeit oder Krankenständen zu verknüpfen. Nach reichlich Kritik ruderte das Ministerium zurück.

Das Gesundheitsministerium mag zwar für die Umsetzung des grünen Passes zuständig sein. Druck, schneller als alle andere zu sein, machte aber der Kanzler, wobei ihm Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober nicht widersprach. Es ist aber nicht das erste Mal, dass eine große Ankündigung des ÖVP-Chefs am Ende nicht mehr ist als heiße Luft.

Am Anfang der Pandemie inszenierte sich Kurz mit anderen Ländern als "First Mover", die im Frühjahr 2020 besser durch die Krise kamen. Im Herbst entglitt ihm und Anschober die Lage völlig. Im November forderte Kurz ohne Absprache Massentests, die lange Zeit nicht funktionierten. Für den von ihm angekündigten Sputnik-Deal will er nun nicht mehr zuständig sein. Dass alle Impfwilligen wie angekündigt im Juni einen Erststich erhalten, wird nicht eintreten. Und nun wird die Entstehung des grünen Passes zur Peinlichkeit.

Das müsste nicht sein. Es würde reichen, wenn der Kanzler seinen Drang, ständig der Beste sein zu wollen, endlich zurückschraubt. Wir haben von einem digitalen Nachweis nur etwas, wenn er auch funktioniert. Die nutzlose Stopp-Corona-App sollte uns eine Lehre sein. (Jan Michael Marchart, 9.6.2021)