"Gelungene Integration ist für mich die Teilhabe an allen gesellschaftlichen Bereichen – am Bildungsbereich, am Arbeitsmarkt – und dass man sich auch mit dem Herzen in Österreich zu Hause fühlt", sagte Ministerin Susanne Raab im September im STANDARD-Interview.

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Die Pandemie hat auch beeinflusst, wie es zugewanderten Menschen in Österreich im letzten Jahr ergangenen ist und was sich im Bereich Integration getan hat. Das geht aus dem mittlerweile elften Integrationsbericht hervor, den Frauen- und Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) am Donnerstag gemeinsam mit der Vorsitzenden des Expertenrats für Integration, Katharina Pabel, und dem Generaldirektor der Statistik Austria, Tobias Thomas, präsentierte.

In Begegnung treten war 2020 nicht möglich

"Dass Menschen zueinander kommen und in Begegnung treten, macht Integration aus", meinte Raab eingangs. Das sei im Jahr der Pandemie natürlich nicht möglich gewesen, wenngleich es viele neue Formate gegeben habe und Onlinekurse ein Erfolg gewesen seien. Der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) veranstaltete seit April 2020 über 1.000 Onlinesprachkurse mit über 75.000 Teilnehmenden, außerdem fanden über 720 Onlineseminare mit rund 17.000 Teilnehmenden statt.

Nun gelte es, das "Comeback nach Corona" einzuläuten. Drei Punkte sind für Raab demnach entscheidend: die Arbeitsmarktintegration, der Kampf gegen "ehrkulturelle Gewalt" und die Stärkung des Ehrenamts in ländlichen Gebieten.

Stärker von Arbeitslosigkeit betroffen

Am Arbeitsmarkt bekamen Menschen mit Migrationshintergrund die Auswirkungen durch die Pandemie besonders stark zu spüren: Laut Bericht sank die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte 2020 um knapp 2,9 Prozent, gegenüber einem Rückgang bei inländischen Arbeitskräften um 1,9 Prozent. Sowohl bei den inländischen als auch bei den ausländischen Arbeitskräften ist die Zahl der arbeitslosen Frauen stärker gestiegen (+47 Prozent im Vergleich zu 2019) als die der Männer (+45 Prozent). In Folge stieg die Arbeitslosenquote der ausländischen Frauen auf knapp 17 Prozent, 2019 waren es noch 11,8 Prozent. Die der ausländischen Männer stieg auf 14,3 Prozent, im Jahr davor waren es zehn Prozent.

Frauen mit bulgarischer oder rumänischer Staatsangehörigkeit seien dabei besonders stark betroffen gewesen, wird im Bericht spezifiziert. Ihre Arbeitslosenquote stieg um sieben Prozentpunkte auf 19,7 Prozent, gefolgt von weiblichen (+5,3 Prozentpunkte auf 21,8 Prozent) und männlichen (+ fünf Prozentpunkte auf 20,4 Prozent) Drittstaatsangehörigen.

Fokus auf "Zukunftsbranchen"

Wesentlich stärker als im Schnitt waren auch ausländische Jugendliche von Arbeitslosigkeit betroffen: Hier gab es ein Plus von 49,5 Prozent. Insbesondere in der Gruppe der 20- bis 24-Jährigen gab es Zuwächse (+55 Prozent).

Katharina Pabel zufolge wäre die stärkere Betroffenheit vor allem branchenbedingt (der Migrantinnenanteil im Beherbergungs- und Gastronomiesektor liegt beispielsweise bei 45 Prozent).

Der Expertenrat regt an, den Fokus auf die Qualifizierung zu richten. Besonderes Augenmerk sollten demnach auf Zukunftsbranchen gerichtet werden – Pabel nennt Technik und IT sowie den Gesundheitsbereich. Sie betont, dass Menschen mit Migrationshintergrund dabei nicht als günstiges Reservoir an Arbeitskräften gesehen werden dürfen, etwa 24-Stunden-Pflegerinnen. Es gelte, die Berufsbilder für alle zu attraktivieren und Anreize zu Umschulungen und Fortbildungen zu setzen. Da Frauen im Integrationsprozess als Multiplikatoren gelten, müsse deren Förderung besondere Beachtung finden, führt dir Expertin aus. Denn die Integration diene nicht nur ihnen selber, die gesamte Familie könne profitieren.

Kindergarten als Bildungseinrichtung

Auch in der Bildung habe Corona freilich Spuren hinterlassen. Genaue Aussagen dazu, wie sehr Bildungsverläufe beeinflusst wurden, ließen sich aber erst 2022 mit der Pisa-Studie treffen, meint Pabel. Homeschooling habe jedenfalls ein sprachliches Niveau vorausgesetzt und familiäre Unterstützung, die in vielen Situationen nicht gegeben gewesen sei. Bildungsrückstände gebe es aber unabhängig von der Pandemie, sagt Pabel, und diese würden dazu führen, dass weniger Jugendliche mit Migrationshintergrund eine Lehre abschließen oder maturieren. Der Anteil jener Jugendlicher, die weder in Ausbildung sind noch einen Job ausüben, ist in dieser Gruppe doppelt so hoch.

Was man laut Pabel unternehmen sollte: Einerseits würden spezifische Mentoringprogramme in solchen konkreten Problemsituationen helfen. Längerfristig schlägt die Expertin aber einen Fokus auf den Kindergarten vor. Gerade Kinder aus zugewanderten oder sozial benachteiligten Familien sollten ab drei Jahren den Kindergarten besuchen müssen und auch die Nachmittage dort verbringen, unabhängig von der Berufstätigkeit der Eltern. Ganz allgemein solle man den Kindergarten noch mehr als Einrichtung frühkindlicher Bildung ansehen, da seien andere europäische Länder schon weiter.

Nichtdeutsche Umgangssprache "nicht gleichzusetzen" mit mangelnden Deutschkenntnissen

Apropos Kindergarten: Hier kam die Integrationsministerin auf Deutschkenntnisse der Kinder zu sprechen. 30 Prozent hätten hier eine andere Umgangssprache als deutsch, in Wien "sogar" 60 Prozent. "Das ist nicht gleichzusetzen mit mangelnden Deutschkenntnissen, aber wir sehen, dass 70 Prozent dieser Kinder einen Förderbedarf haben", führt Raab aus. Von den 1,12 Millionen Schülerinnen und Schülern hatten 2020 knapp 27 Prozent (299.900) eine nichtdeutsche Umgangssprache, in Wien waren es 126.400 (52,7 Prozent, 2018/19 waren es 52,2 Prozent).

In Wien ist der Anteil von Schülern mit nichtdeutscher Umgangssprache am höchsten in der Mittelschule (76,6 Prozent), gefolgt von Polytechnischen Schulen (75,2 Prozent) und Sonderschulen (63,4 Prozent) – bei den österreichweiten Zahlen ist der Anteil hier im höchsten (40,3 Prozent). Bei den außerordentlichen Schülerinnen und Schülern, also jenen, die dem Regelunterricht nicht folgen können, gab es einen Rückgang von 13,2 Prozent. Der Anteil außerordentlicher Schülerinnen und Schüler an allen Schülern eines Herkunftslandes verringerte sich erneut von 15,2 auf 12,6 Prozent.

Ohne Migration kein Wachstum mehr

Raab zufolge ist es dringend notwendig, weiterhin die Eltern in die Pflicht zu nehmen: Bildungspflichten vermitteln, Ausbildungswege für Kinder aufzeigen. All das werde nun breiter ausgerollt, man arbeite dafür mit konkreten Schulstandorten zusammen und könne die Kurse vor Ort anbieten.

Statistik-Austria-Chef Tobias Thomas lieferte die Zahlen zur Zuwanderung. Die wichtigste Botschaft: Österreich wächst in den kommenden Jahren ausschließlich aufgrund von Zuwanderung, denn die Geburtenbilanz werde laut Prognosen ab 2025 negativ sein. Ohne Migration würde Österreich im Jahr 2080 nur 6,7 Millionen Einwohner haben und damit auf das Niveau der 50er-Jahre zurückfallen. Mit Migration werde man dann bei 9,9 Millionen Einwohnern liegen.

Woher die Zugewanderten kommen ...

Derzeit haben 24,4 Prozent der Menschen in Österreich Migrationshintergrund, wurden also entweder selber im Ausland geboren oder haben Eltern, die im Ausland geboren wurden. In dieser Gruppe habe es ab 2010 vor allem bei Menschen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan starke Steigerungen gegeben. Stagniert ist seit 2015 die Anzahl der Menschen mit türkischem Migrationshintergrund. Die größten Gruppen sind aber nach wie vor die deutschen (209.000), gefolgt von rumänischen (132.000) und serbischen (122.000) Staatsangehörigen.

... und ob sie sich heimisch fühlen

Thomas präsentierte auch Daten zum subjektiven Integrationsgefühl, das unter den Zugewanderten grundsätzlich hoch sei. 86 Prozent der Zugewandertengruppe mit längerer Migrationsgeschichte aus den Ländern Bosnien und Herzegowina, Serbien und Türkei fühlen sich in Österreich demnach völlig oder eher heimisch. Mit 19 Prozent fühlen sich türkische Migrantinnen und Migranten am häufigsten nicht oder eher nicht in Österreich heimisch. Die Zugewandertengruppe mit jüngerer Migrationsgeschichte aus den Ländern Syrien, Afghanistan und Tschetschenien fühlt sich sogar zu rund 93 Prozent in Österreich heimisch. Gleichzeitig geben 69 Prozent der Zugewandertengruppe mit längerer sowie 79 Prozent jener mit kürzerer Migrationsgeschichte an, sich eher Österreich als dem Herkunftsland zugehörig zu fühlen. Personen aus Bosnien und Herzegowina sowie Serbien fühlen sich mit 33 Prozent am ehesten stärker dem Herkunftsland zugehörig.

Von Österreicherinnen und Österreichern wird das Zusammenleben mit Zugewanderten hingegen mehrheitlich kritisch bewertet. Befragt nach dem Beitrag von Migrantinnen und Migranten zur Bewältigung der Corona-Pandemie, äußerten sich jedoch 45 Prozent der Befragten positiv.

Raab: Dahin, wo die Jobs sind

Aus diesem Bild heraus gebe es Hoffnung auf viele gute Integrationschancen, sagt Thomas. Dennoch würden Herausforderungen bleiben – Stichwort Arbeitsmarkt. Da sei man schon noch "ein ganzes Stück" von völliger Entspannung entfernt.

Zahlen dazu, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund Mindestsicherung beziehen, wurden bei der Präsentation nicht genannt. Raab betonte allerdings, der Anteil sei "noch immer hoch". Sie könne nicht nachvollziehen, wieso man in der Hauptstadt in Mindestsicherung lebe und nicht nach Tirol oder Vorarlberg gehe, wo Arbeitskräfte in bestimmten Bereichen gebraucht werden.

Neue Förderungen im Bereich "ehrkultureller Gewalt"

Wie bereits bei der Pressekonferenz zu Femiziden in Österreich brachte Raab auch am Donnerstag Migrationshintergrund in Zusammenhang mit Gewalt an Frauen. Im Bericht heiße es, dass patriarchale Strukturen Mädchen und Frauen im Weg stünden und diese oft zu Gewalt führen würden. "Ich schließe mich zu 100 Prozent dieser Feststellung an." Sie freue sich, dass es in dem Bereich gerade zwei Förderaufrufe für Projekte gebe.

Förderungen werde es ab sofort auch für "kleinteilige, regionale Initiativen", die Integrationsarbeit leisten, geben, kündigte Raab an. Kleine Initiativen, Gemeinden oder Vereine können sich beim ÖIF um Förderungen von bis zu 2.500 Euro bewerben.

SPÖ-Vorschlag "völlig verfehlt"

Auch zu einer aktuellen Entwicklung wollte Raab noch Stellung beziehen: Den Vorschlag der SPÖ zum Staatsbürgerschaftsrecht halte sie für "völlig verfehlt". So würden auf einen Schlag mindestens eine halbe Million Menschen eingebürgert werden. "Eine Staatsbürgerschaft muss Endpunkt einer gelungenen Integration sein und ist kein Willkommensgeschenk, das man am Anfang bei Zuzug gibt."

Die SPÖ schlägt aktuell vor, dass es nach sechs Jahren rechtmäßigen Aufenthalts einen Rechtsanspruch auf die Staatsbürgerschaft geben soll und nicht wie bisher nach zehn Jahren. Außerdem sollen in Österreich geborene Kinder automatisch die Staatsbürgerschaft bekommen.

Reaktionen der Opposition

Die SPÖ kritisiert, dass die ÖVP ohnehin den Empfehlungen für den Inteegrationsbereich nicht folgen würden: "Würde Raab auf ihren Expertenrat hören, müsste sie in der ÖVP für unsere Anträge zur Arbeitsmarktförderung für Frauen und für die Pflege-Offensive kämpfen", meinte Integrationssprecherin Nurten Yilmaz in einer Aussendung.

Der freiheitliche Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer nannte es "bezeichnend", dass in der Pressekonferenz kaum darauf eingegangen worden sei, dass insbesondere die "zügellose Zuwanderung aus den islamisch geprägten Regionen" viele gefährliche Strömungen mitbringe: "Ein paar Sprach- und Wertekurse werden dieses Problem nicht lösen." Neos-Integrationssprecher Yannick Shetty meinte, Raab täte gut daran, nicht immer nur die Probleme aufzuzeigen, sondern stattdessen lieber an Lösungen zu arbeiten, etwa in Sachen frühkindlicher Sprachförderung. (Lara Hagen, APA, 10.6.2021)