Im Gastkommentar widmet sich der Rechtsextremismusforscher Bernhard Weidinger den Gründen für Kickls Beliebtheit unter jungen rechten Männern.

Als ein "interessantes und unterstützenswertes Projekt" und "so etwas wie eine NGO von rechts" bezeichnete der designierte FPÖ-Chef Kickl die Identitären in einem Puls-24-Gespräch.
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Der Idealtypus des rechten Helden ist der soldatische Mann: groß, muskulös, kantiges Gesicht, zum Sterben und Töten gleichermaßen bereit und befähigt. Der Realtypus des rechten Helden sieht meist etwas anders aus, etwa wie Herbert Kickl. Dessen Parteibürokratenaura hielt Rechtsextreme freilich nicht davon ab, in den letzten Tagen bereits ein Meme zirkulieren zu lassen, das Kickl zum "Chad" adelt – dem von der misogynen Incel-Bewegung beschworenen Inbegriff des Alphamannes.

Kickl mag auch in Uniform nicht aussehen wie der Protagonist eines Cobra-Rekrutierungsvideos, bringt aber in den Augen seiner Fans durchaus soldatisch-männliche Qualitäten mit. Für Identitären-Führer Martin Sellner reicht "ein Blick in sein Gesicht", um zu wissen, dass Kickl "sich und seinen Körper unter Kontrolle hat" und seine Lebensführung von "Disziplin, Askese, Routine und Fleiß" geprägt ist.

Letztes Hindernis Hofer

Freilich hat Kickl aus Sicht der extremen Rechten mehr zu bieten als soldatische Sekundärtugenden und eine zur Schwärmerei animierende Physiognomie: Er erscheint ihr als der ideale Mann, um das von ihr angestrebte, oft als "Mosaik-Rechte" beschworene Bündnis von Parlament, Straßenaktivismus und "alternativen" Medien zu vollziehen, ja anzuführen.

Nun ist die FPÖ solcher Allianzbildung auch schon bislang nicht gänzlich abhold gewesen. Diverse Irritationen der türkis-blauen Ära, gipfelnd im Abrücken von den Identitären infolge des Christchurch-Attentats, haben am rechten Rand jedoch Verbitterung erzeugt. Der Bruch der Koalition leitete die Heilung ein, begleitet von einem wieder gesteigerten Inserateaufkommen in einschlägigen Gazetten. Ende November 2020 rief Generalsekretär Michael Schnedlitz das Ende jener "Distanziererei" aus, die ohnehin nie über rhetorische Bekenntnisse und einen faktisch folgenlosen Unvereinbarkeitsbeschluss für "identitäre" Führungskader hinausgelangt war. Als letztes Hindernis für den angestrebten Schulterschluss erwies sich somit Parteichef Norbert Hofer.

"Kickl hat in den letzten Monaten sein Möglichstes getan, die Erwartungshaltungen an ihn zu maximieren."

Ebendieser Hofer wird nun durch den Wunschkandidaten der extremen Rechten ersetzt. Kickl hat in den letzten Monaten bereits sein Möglichstes getan, die Erwartungshaltungen an ihn zu maximieren, von Inseraten mit Identitären-Banner in rechten Medien bis hin zu Social-Media-Postings à la "Wäre ich euer Kanzler ...". Seine Ankündigung von Ende Jänner, an einer Corona-Demonstration als Redner teilzunehmen, die Ausrichtung einer Ersatzveranstaltung für ebendiese Demonstration und schließlich sein großer Auftritt im Prater im März ließen die Meinungsführer des rechten Randes in Verzückung geraten: endlich verabschiede sich die FPÖ vom bloßen "Parlamentspatriotismus", suche das "Bündnis mit der Straße", verstehe sich nunmehr als "parlamentarischer Arm der Bewegung".

Für Kickl ist dieser Schulterschluss nichts Neues. Schon 2016 war er als Starredner auf einer rechtsextremen Tagung in Linz aufgetreten, wo er bekundete, sich auf diesem "Kongress der ganz normalen Leute" wohler zu fühlen als vor den "mieselsüchtigen Gestalten" im Nationalrat. Im heurigen Jänner verkündete er erneut, er werde "die engen Mauern des Parlaments verlassen", um sich den Corona-Demonstranten und -Demonstrantinnen anzuschließen.

Langfristiger Stratege

Kickl liebt die Provokation und den Tabubruch. Zusammen mit den Stärkeposen und der verbalen Aggression gegen Feindbilder sind sie wesentliche Gründe für seine Beliebtheit unter jungen rechten Männern, die daraus ebenso Lust beziehen wie er selbst. Seine Umbenennung der Aufnahme- in Ausreisezentren (für Asylwerber, Anm. d. Red.) sorgt bis heute für Schenkelklopfen unter seinen Jüngern, auch für die grundsätzliche Infragestellung von Menschenrechtskatalogen wird er gefeiert, als bester Innenminister aller Zeiten sowieso. Er ist einer, der sich "was traut", sich keinen "Denk- und Sprechverboten" beugt, der bewusst die Terminologie des rechten Randes bemüht, um sie zu normalisieren.

Die ihm von rechts außen schon länger zugedachte Rolle hat Kickl nun offensiv angenommen: die Rolle der Speerspitze einer Bewegung. Dazu qualifiziert ihn in den Augen seiner Fans nicht zuletzt der Nimbus des Weltanschauungspolitikers: Kickl wird als Überzeugungstäter gefeiert und damit als Gegenentwurf zu anderen freiheitlichen Archetypen (der Karrierist, der Korruptionist, der Kollaborateur mit dem politischen Gegner). Als einer, der nicht nur kurzfristig-taktisch denkt, sondern langfristig-strategisch.

"Der Kompromiss gilt rechten Recken als Ausdruck von Schwäche."

Kickl steht in den Augen seiner Jünger für eine grundsätzliche Wende und folgt dabei dem "metapolitischen" Ansatz der "Neuen Rechten". Demnach müssen erst die eigenen Begriffe und Narrative durchgesetzt werden, bevor ein realpolitischer Umbau angegangen werden kann. Nicht wenige am rechten Rand meinen, dass deshalb eine von entsprechender Wühlarbeit geprägte Phase der Opposition ohnehin notwendig sei, um in einer nächsten Regierungsperiode unbehindert von einer feindseligen "veröffentlichten Meinung" agieren zu können.

Gleichzeitig verheißt die Oppositionsrolle das ersehnte Ende der Kompromisse. Der Kompromiss gilt rechten Recken als Ausdruck von Schwäche – und nichts provoziert den soldatischen Mann, der jeden Anflug davon sich verbietet, mehr als diese. (Bernhard Weidinger, 11.6.2021)