Wilhelm Brauneder – Jurist, Ex-FPÖ-Politiker und ehemaliger Dritter Nationalratspräsident – geht in seinem Gastbeitrag auf die momentane Situation der Freiheitlichen Partei ein und beschreibt, was ihm in seiner Fraktion fehlt.

Was fällt mir zur FPÖ ein? Spontan geantwortet: Historisches, und dies als Kontrast zur gegenwärtigen Situation. Da gab es vor allem den Atterseekreis, eine bewusst intellektuelle Runde, mit Konzepten etwa zum Agrarbereich, zum Thema Privatisierung, zur verstaatlichten Wirtschaft. Dieses Klima setzte sich fort in den Arbeitskreisen der Bereichssprecher im Parlamentsklub etwa zu Wissenschaft und Außenpolitik. Von einem Parteieintritt war hier nie die Rede. Zu diesem Umfeld gehörten Periodika wie insbesondere die Freien Argumente. Hier publizierten der Historiker Adam Wandruszka, der Soziologe Walter B. Simon. Insgesamt war das Bemühen um ein personelles Ausgreifen über den bisherigen "Personalstand" überaus deutlich und nicht erfolglos. Es galt insgesamt sichtlich, die FPÖ koalitionsfähig zu machen: Tatsächlich kam es 1983 zur SPÖ-FPÖ-Regierung.

Norbert Hofer war Parteivorsitzender und Nationalratspräsident. Keine ideale Kombination, findet man auch parteiintern.
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Mit Jörg Haider änderte sich vieles: der Stil der Politik vor allem. Aber intensiver als bisher und vielleicht auch ambitionierter wurde rekrutiert, Thomas Prinzhorn sei als Beispiel genannt. Zukunftsentwürfe wurden kühner, ohne an Sachlichkeit einzubüßen – wie der Entwurf einer "Dritten Republik", ein Etikett, das schon mehrfach verwendet worden war. Da dies nun auch die FPÖ tat, lag eine Gleichsetzung mit "Drittes Reich" nahe. Als ich zum Dritten Nationalratspräsidenten gewählt worden war, riet mir Haider, das FPÖ-Emblem abzulegen: Nun hatte ich neutral zu sein. Freilich: Arbeitskreise wie die zuvor erwähnten gab es kaum noch, aber das Jahrbuch des Freiheitlichen Bildungswerks bot genügend Intellektualität über Lagergrenzen hinweg, beispielsweise schrieb hier auch Anton Pelinka.

So weit die Geschichte, um zu veranschaulichen, was heute der FPÖ fehlt: Atterseekreis, Arbeitskreise, Konzepte, Publikationen, Mitarbeiter aus anderen "Lagern" von Rang, umfassende Rekrutierung, Suche nach Fachleuten. Wie allerdings in anderen Parteien auch, scheint nicht die Partei für Staat und Gesellschaft, sondern der Staat für Parteizwecke zu existieren. Unverständlich war unter diesem Aspekt die Kumulierung des neutralen Nationalratspräsidenten mit dem Parteivorsitzenden in der Person Norbert Hofers. Das hat sich nun entkrampft und gibt für die Träger der Funktionen auch neue Möglichkeiten.

"Wie allerdings in anderen Parteien auch, scheint nicht die Partei für Staat und Gesellschaft, sondern der Staat für Parteizwecke zu existieren."

Mal sehen, wie sie diese zu mehr Seriosität im Staatlichen und zu mehr Effizienz im Parteilichen nutzen werden. Letztere täte bitter not. Denn an einer sinnvollen Verknüpfung der Tätigkeit der örtlichen Funktionäre mit jener der Mitglieder in Landtag und Nationalrat herrscht Mangel. In manchen Landesparteien ist das Kritisieren "der Regierung" zum Hauptzweck geworden – doch der Wähler will mehr: den konstruktiven Gegenvorschlag, am besten bereits als Vorschlag kraft eigener Idee.

Vor Jahren kritisierte die FPÖ Niederösterreich das Verkehrskonzept des Landeshauptmanns, ohne aber ein eigenes vorzulegen. Aber ohne einen fachlich-intellektuellen Unterbau wird eine entsprechende Wende nicht zu schaffen sein. Die Zeitschrift mit dem Nostalgienamen Attersee Report ist beispielsweise von handfesten Konzepten, wie vom Ur-Atterseekreis einst betrieben, ziemlich entfernt, könnte und sollte dies aber leisten. Eher esoterische Themen suchen sich eine Leserschaft. Einen wissenschaftlichen Anstrich gibt sich das Dinghofer-Institut, aus der Taufe gehoben vom ehemaligen Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf. Zum Jahr 2018 steuerte es einen Band 100 Jahre Republik Österreich bei, der die Tendenz erkennen lässt, dem Burschenschafter Dinghofer, einem der damaligen Nationalversammlungspräsidenten, eine zentrale Rolle nahezu als Republikgründer neben Renner und Seitz einzuräumen.

"Der Wähler will mehr: den konstruktiven Gegenvorschlag, am besten bereits als Vorschlag kraft eigener Idee."

Im Großen gefragt: Welche sind die konkreten Folgen aus der Eigencharakteristik "soziale Heimatpartei"? Solche sind kaum wahrnehmbar. In Ortschaften an Oberösterreichs Seen entstehen Bauten in einem Stil, der an Jesolo und Caorle in den 1950er-Jahren erinnert. Dies, weil man selbst in der "Heimatpartei" den "Lederhosenstil" nicht mehr mag, aber trägt denn auch bei offiziellen Anlässen natürlich kurze Lederhosen.

Das alles ist freilich nicht unbedingt FPÖ-spezifisch. Hans Kelsen hatte schon 1925 die Rolle der politischen Parteien insofern skeptisch betrachtet, als es ihm angesichts der Stellung der Parteivorsitzenden an innerparteilicher Demokratie mangelte – ein aktuelles Thema? Dazu kommt nun noch der "Medienstaat", unter dem die FPÖ besonders leidet was deutlich der "Ibiza-Fall" beweist. Heinz-Christian Strache als "gutgelaunter" vollmundiger Oppositionspolitiker – und er tritt zurück, obwohl er als Vizekanzler nichts Derartiges angeleiert hatte.

Der Rücktritt Hofers als Bundesparteiobmann konnte mediengerecht abgefedert werden, was die Verwunderung über einen derart einsam-plötzlichen Schritt nicht aufhebt. Als große Frage bleibt natürlich gerade in einer Demokratie: Warum soll man die FPÖ wählen? Die Antwort sollte über das von der Tagespolitik Thematisierte hinausgehen, denn diese ändert sich eben, wie ihr Name schon sagt. (Wilhelm Brauneder, 11.6.2021)