Während seiner Amtszeit als Innenminister war Herbert Kickl nie zu einem Interview mit dem STANDARD bereit. Als designierter FPÖ-Chef sagte er sofort zu. "Interveniert habe ich bei Ihnen aber auch nie", hält er sich zugute. Und Kickl schlägt vor: "Machen wir einen Neuanfang!"

Ortet eine "Änderung der Bevölkerungszusammensetzung": Herbert Kickl.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Als neuer FPÖ-Chef sagen Sie "den türkisen Karrieristen" rund um Kanzler Sebastian Kurz den Kampf an. Doch welchen Plan hegen Sie für das Land überhaupt außer "Kurz muss weg"?

Kickl: Die Frage ist unfair. Sie tun damit ja gerade so, als wäre "Kurz muss weg!" das ganze Programm. Das ist nur die Überschrift für eine Vielzahl an moralischen Problemen, für die Türkis verantwortlich ist. Angesichts der aktuellen Probleme der ÖVP-Spitze mit der Justiz braucht es eine Reinigung. Dazu kommt ihr Versagen bei den steigenden Asylanträgen, beim Corona-Management, hier regierte man ja monatelang mit schwarzer Pädagogik. All das summiert sich auf – und mein Schluss daraus lautet: Kurz muss weg.

STANDARD: Wegen Ihres rabiaten Stils vertreten mittlerweile alle anderen Parteien den Standpunkt, dass mit Ihnen kein Staat zu machen ist. Wie wollen Sie da etwas zum Besseren gestalten?

Kickl: Zur Frage der Regierungsfähigkeit, die mir immer wieder abgesprochen wird: Da stelle ich fest, dass der Herr Kurz nicht mehr regierungsfähig ist. Und für meinen Teil bin ich eben kein Politiker, den sich die politischen Gegner, so wie sie es wollen, etwa für ein Ministeramt zusammenkonfigurieren können. Ich würde mich auch nicht als rabiat bezeichnen, sondern als zielstrebig und als geradlinig.

STANDARD: Apropos Geradlinigkeit: Unter Ihnen als FPÖ-Chef gilt angeblich nach wie vor der Vorstandsbeschluss, dass FPÖ-Funktionäre keine Mitglieder bei den rechtsextremen Identitären sein dürfen. Im Handumdrehen bezeichnen Sie die rabiate Splittergruppe als unterstützenswertes Projekt, als eine Art rechte NGO. Was gilt denn jetzt: Sind die Identitären für Sie hui oder pfui?

Kickl: Wollen Sie jetzt schwarz-weiß malen? Ich sehe hier keinen Widerspruch. Es gibt für die FPÖ eine klare strukturelle und personelle Trennung von den Identitären. Aber es gibt natürlich inhaltliche Schnittmengen in einzelnen Bereichen – etwa wenn sich die Identitären gegen den Wahnsinn des UN-Migrationspakts engagieren. Schnittmengen mit ihnen gibt es auch bei der ÖVP, etwa beim Kampf gegen den Islamismus, siehe deren Islamlandkarte. Und jetzt wird’s noch komplizierter: Die FPÖ hat auch Schnittmengen mit Greenpeace – etwa beim Kampf gegen die Atomkraft.

STANDARD: Bei welchem Gedankengut ziehen Sie dann überhaupt eine Grenze?

Kickl: Das Kriterium ist für uns das Bekenntnis zur Heimat Österreich, zu seiner Verfassung, zu Rechtsstaatlichkeit und zu Demokratie. Eine wichtige Komponente kommt dabei noch dazu: die klare Ablehnung von Gewalt. Und wenn Sie mir zeigen, wo dagegen verstoßen wird, bitte gern.

STANDARD: Im Sommer 2017 haben sich Identitäre etwa mit einem Schiff im Mittelmeer aufgemacht, um vor der Küste Libyens Menschen auf ihrem Weg nach Europa zu stoppen.

Kickl: Noch einmal: Es gibt NGOs und politische Gruppen auf der rechten wie auf der linken Seite, die eben Aktionen setzen, so wie etwa auch die Frau Rackete (die damals als Kapitänin Bootsflüchtlinge rettete, Anmerkung). Die entscheidende Frage ist immer: Geht das gewaltfrei? Und da sage ich nicht, das eine darf sein, aber das andere darf nicht sein.

STANDARD: Zuletzt bekannten sich die Identitären dazu, Warnschilder vor heimischen Moscheen aufgestellt zu haben. Dazu rief ihr Chef Martin Sellner auf, Bürgerinitiativen gegen benachbarte Gebetshäuser zu gründen. Hier wird doch eindeutig gegen eine Religionsgemeinschaft aufgewiegelt, was an die dunkelsten Zeiten von Österreichs Geschichte erinnert.

Kickl: Wir dürfen unsere Augen vor einer Untertunnelung der Gesellschaft durch den politischen Islam nicht verschließen. Und die Assoziationen an die dunkelste Geschichte Österreichs habe ich gegenwärtig eher, wenn man Leute wegen Corona stigmatisiert, weil sie die gesundheitspolitischen Zwangsmaßnahmen der Regierung nicht mitmachen und damit zu Bürgern zweiter Klasse werden.

"Die Frage ist immer: Geht das gewaltfrei?": Herbert Kickl über Grenzen von Aktionismus.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Für Sie sind Warnschilder nicht stigmatisierend, wenn sie wahllos vor Moscheen angebracht werden?

Kickl: Damit wird ein Problem aufgezeigt – und diese Diskussion erscheint mir durchaus notwendig.

STANDARD: Mit dieser Form des Aktionismus kann aber Gewalt gesät werden, wo für Sie doch angeblich die Grenze liegt.

Kickl: Sind Sie von einer Zeitung, oder sind Sie von einer politischen Partei?

STANDARD: Von einer Zeitung mit Haltung. Glauben Sie wie die Identitären am Ende auch an einen Bevölkerungsaustausch?

Kickl: Schauen Sie: Ich gehe mit offenen Augen durch die Stadt Wien, in der ich lange Zeit gelebt habe, zum Beispiel im 16. Bezirk. Damals, als ich dort eingezogen bin, war die österreichische Bevölkerung im gegenüberliegenden Gemeindebau die Mehrheitsbevölkerung. Es hat nicht allzu lange gedauert, dann habe ich dort andere Zustände gesehen. Dann hat man dort kaum noch österreichische Kinder, keine österreichischen Staatsbürger gesehen. Ich habe dort einen starken Zuwachs von verschleierten und vermummten Menschen wahrgenommen. Das ist natürlich eine Änderung der Bevölkerungszusammensetzung, was denn sonst?

STANDARD: Die Identitären vertreten die Idee, dass alle Völker getrennt werden sollen. Durchmischung wird als Gefahr angesehen. Da gehen Sie also mit?

Kickl: Ich bin kein Verteidiger der Programmatik der Identitären, die ich nicht kenne. Aber natürlich sind wir Freiheitliche Verfechter der Nationalstaatsidee. Wenn Sie ein bisserl zurückdenken, haben wir unsere Politik mit dem Volksbegehren "Österreich zuerst" schon unter Jörg Haider gemacht. Da hat es noch gar keine Identitären gegeben.

STANDARD: Auch einige blaue Länderchefs hegen Sorge, dass die FPÖ unter Ihrer Führung endgültig zu einer oppositionellen Krawallpartei verkommt. Macht Sie das nicht nachdenklich?

Kickl: Was die vermeintliche Kritik aus den Bundesländern angeht: Das sehe ich als Diskussion, die im Parteipräsidium geführt wurde. Am Ende stand ein einstimmiger Beschluss.

STANDARD: Was schätzen Sie: Wie lange werden Sie sich als FPÖ-Chef halten?

Kickl: Zuerst muss ich einmal gewählt werden. Aber ich bin gekommen, um zu bleiben. (Jan Michael Marchart, Nina Weißensteiner, 11.6.2021)