Das gute Stück steht im Hinterzimmer. Die Künstlerin Anna Riess zeigt auf den Brennofen, den sie sich im vergangenen Jahr angeschafft hat. Aus zweiter Hand für einen guten Preis, die gebürtige Grazerin ist stolz auf ihre Neuanschaffung. In dem hellen, luftigen Atelier, das sie sich im Wiener Stuwerviertel mit ihrem Mann, einem Architekten, teilt, sind ihre Keramikobjekte wie farbenfrohe Tupfer verteilt: Im Regal stehen bunte Vasen oder mit rosafarbenen Brustwarzen verzierte Schälchen, die mittlerweile auch zum Inventar des Wiener Café Kandl gehören. Eine ganze Reihe glasierter Frauenkörper hat Riess für die Wiener Designerin Laura Karasinski gefertigt, gerade probiert sie sich an Kerzenständern.

Dass Riess’ Objekte gut ankommen, mag auch damit zu tun haben, dass die Künstlerin sich und ihre Keramik in den Social-Media-Kanälen in Szene zu setzen und die richtigen Netzwerke zu nutzen weiß. Auf Instagram zeigt sie sich in Kleidungsstücken befreundeter Modedesignerinnen wie Christina Seewald oder Jana Wieland, man kooperiert miteinander, verlinkt und unterstützt sich. Die Objekte von Anna Riess und ihre modische Inszenierung treffen den Zeitgeist.

Ihre "Titti-Objekte" fertigt Anna Riess im Wiener Stuwerviertel. Während der Pandemie hat sich die Künstlerin einen Brennofen zugelegt, ihre Stücke verkauft sie vor allem online.
Foto: Maria Ritsch für Anna Riess

All ihren Stücken, die als Plastik wie als Gebrauchsgegenstand funktionieren, gemein: der Charme des Handgemachten. Kein Stück sieht wie das andere aus, Dellen machen die Objekte besonders, eine Botschaft haben sie auch im Gepäck: Mit ihren "Titti-Objekten" will die Künstlerin die Schönheit des weiblichen Körpers, mit den unebenen Oberflächen das Nichtperfekte feiern, demnächst bietet sie wieder Workshops für Frauen an. Anna Riess, die Architektur und Kulturanthropologie studiert und dann eine Schmuckausbildung gemacht hat, mag sich nicht auf ein Material festlegen, sie fertigt auch Objekte aus Textil und Metall. Daran, dass sie gerne mit den Händen arbeite, sei "wohl die Waldorfschule schuld", grinst sie.

Bunte Instagram-Keramik

Keramik, die Unregelmäßigkeiten aufweist, ist bereits seit einigen Jahren in Designshops und Restaurants präsent. Doch mit der Pandemie erlebt sie über die Plattform Insta gram noch einmal einen zusätzlichen Popularitätsschub. Dort feierten Influencerinnen die neue Häuslichkeit und rückten Tassen, Teller und Kerzenständer mit bunten Glasuren oder Blumenmustern ins Bild. Die Objekte sahen aus, als seien sie im Kinder-Töpferkurs entstanden, sie schienen zu rufen: "Ich bin ein Einzelstück, ein Unikum!"

Die begehrtesten der charmant-windschiefen Objekte stammen von der Dänin Betina Jørgensen, auf Instagram folgen ihrer Marke Bettunika mittlerweile rund 103.000 Menschen. Die Ware verkauft Jørgensen in Sekundenschnelle über die Social-Media-Plattform, ihre Tochter Marie Wibe Jedig ist eine international bekannte Influencerin und berät sie. Es geht aber auch anders: Annemette Klit von The Clay Play bietet ihre pastellfarbenen Tassen für 40 Euro über die Plattform Etsy an.

Ins Geschäft mit der Keramik einzusteigen kann sich derzeit lohnen. So manche Kollektion ging in den vergangenen Monaten so schnell weg wie rare Sneaker-Editionen: Die Keramikerin Lalese Stamps vom 2017 gegründeten Unternehmen Lolly Lolly Ceramics erklärte unlängst der New York Times, sie verkaufe 250 Tassen in weniger als einer Minute. Die dänische Firma Hay wiederum sprang mit einer Kooperation mit der Keramikkünstlerin Jessica Hans auf den Trend auf: Ihre organisch geformten Vasen sehen aus, als seien sie in Kleinstauflage entstanden und gerade erst aus dem Brennofen gekommen.

"Es gibt eine äußerst starke Tendenz zum Handmade und zur frei geformten Keramik, ich interpretiere das auch als Gegenbewegung zum Digitalen", bestätigt Rainald Franz. Er betreut im Museum für angewandte Kunst die Sammlung Glas und Keramik und beobachtet "einen Rohheitstrend, der von japanischen Vorbildern beeinflusst wird". Selbst Manufakturen wie Nymphenburg sprängen auf ihn auf. Viele Keramiker und Keramikerinnen gingen ganz bewusst nur so weit in der Bearbeitung, "wie es die Hand zulasse", erklärt Franz. So wie der Keramikkünstler Matthias Kaiser, der sich für seine mit Sprüngen und Schlieren versehenen Stücke schon lange von der japanischen Keramikkultur beeinflussen lässt.

Ganz schön groß und bunt: Die Keramikobjekte der ausgebildeten Modedesignerin Onka Allmayer-Beck sollen gute Laune machen.
Foto: privat

Vom Stoff zum Ton

Der Kurator weiß, wovon er spricht. Eben erst hat er mit Alice Stori Liechtenstein in Schloss Hollenegg die Schau Earth + Fire betreut. In der Ausstellung zeigte auch Onka Allmayer-Beck ihre Stücke. Die ausgebildete Modedesignerin und Illustratorin erlernte das Töpfern an der Drehscheibe, dann entdeckte sie im Rahmen eines Kunstaufenthalts in der Nähe von Moskau die Aufbautechnik, in der sie seit rund drei Jahren ihre farbenfrohen Vasen und kunstvoll schiefen Kerzenständer herstellt.

Dass Allmayer-Beck einmal mit Keramiken ihr Geld verdienen würde, war nicht vorhersehbar. Den Brennofen leistete sie sich von ihrer Abfindung bei Armani, für das italienische Edel-Label hat sie einige Jahre als Designerin gearbeitet. 500 bis 2000 Euro legen die Kunden für ihre organischen Schüsseln und Ständer hin. Mittlerweile ist sie bei Objekt Nummer 105 angekommen. Es läuft so gut, dass die Wienerin mit dem Kauf eines größeren Ofens liebäugelt. "Mich hat der Erfolg überrascht", gibt sie zu. Allmayer-Becks Galerie Seeds sitzt in London, ihre Stücke verkauft sie aber großteils über ihren Instagram -Account "Onxydizzyfingers" – weniger in Österreich als ins Ausland, nach Italien, Frankreich und England. Es gebe so viele Anfragen, dass sie kaum hinterherkomme, sagt die Designerin, die ihre Produktion nun intensivieren will.

Erst einmal aber ist sie umgezogen. Lange stand der Brennofen in ihrer Wohnung im "dritten Stock ohne Lift auf dem Parkett", vor kurzem hat das gute Stück eine ebenerdige Werkstatt in Wiens erstem Bezirk bezogen.

Zum Glück gebe es da kein Internet und sonstige Ablenkungen, so könne sie sich endlich voll und ganz auf ihre Arbeit konzen trieren, seufzt Allmayer-Beck. "Für Keramik muss man sich Zeit nehmen, da darf man nicht hudeln."