Wien – Dass der designierte FPÖ-Chef Herbert Kickl im STANDARD-Interview sowohl bei der FPÖ als auch bei der ÖVP inhaltliche Schnittmengen mit den rechtsextremen Identitären ausgemacht hat, sorgt nun für ein politisches Nachbeben. Am Freitag reagierte ÖVP-Klubchef August Wöginger prompt mit einer Aussendung, in der er Kickls Befund als "ungeheuerlich" zurückweist: "Wir in der Volkspartei lehnen extremistische und radikale Strömungen grundlegend ab und weisen jedweden Berührungspunkt mit den Identitären auf das Schärfste zurück!", hält er darin fest. Dazu höhnt Wöginger: Offenbar sei Kickl die nun immer stärker werdende Sommersonne bei den Ausflügen mit seinen Bergkameraden "nicht sonderlich bekommen" – anders ließen sich "derartige Meldungen" nicht erklären.

Lässt Identitären-Vergleiche mit der ÖVP nicht zu: ÖVP-Klubchef August Wöginger.
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Konkret hatte Kickl zuvor eine blaue Übereinstimmung mit den Identitären bei ihrem Engagement gegen "den Wahnsinn des UN-Migrationspakts" ausgemacht – und dabei relativiert, dass es Schnittmengen mit der rabiat-aktionistischen Splittergruppe auch bei der ÖVP gebe, "etwa beim Kampf gegen den Islamismus, siehe deren Islamlandkarte".

"Schwere Schäden durch Radikalinski-Politik"

Wöginger prophezeit Kickl, dass er mit seinen Ansichten nicht nur als blauer Innenminister, sondern auch als Parteichef bald scheitern werde. Für den ÖVP-Klubchef drifte dieser nun "endgültig in seine eigene, kleine Scheinwelt aus Corona-Leugnerei und Hetze ab". Dazu verweist Wöginger auf erste Parteiaustritte, seit Kickl das Kommando in der FPÖ übernommen habe: Im steirischen Spielberg sei etwa ein Gemeinderat mit acht weiteren FPÖ-Mitgliedern aus Protest aus der Partei ausgetreten. Wögingers Fazit: "Die Radikalinski-Politik à la Kickl hat bereits seiner Partei schwere Schäden zugefügt. Wir werden aber jedenfalls zu verhindern wissen, dass eine Kickl-FPÖ unserem Land und den Menschen Schaden zufügt."

FPÖ kontert Wöginger

FPÖ-General Michael Schnedlitz konterte wiederum umgehend auf "Wögingers Wutanfall", wie er es ausdrückte: Im Interesse der verbliebenen Türkis-Wähler stelle sich angesichts der Worte des ÖVP-Klubchefs nun die Frage, ob der einst gemeinsam mit der FPÖ abgelehnte UN-Migrationspakt demnächst von Kanzler Kurz und Co doch unterstützt werde. Dazu spottete Schnedlitz: "Scheinbar laufen die in den letzten Jahren zahlreich gezogenen Kopien freiheitlicher Forderungen bei der ÖVP gerade durch den Schredder."

"Verharmlosung des Rechtsextremismus"

Doch auch SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried stößt sich an diversen Passagen von Kickls Ausführungen. So setzte Kickl etwa eine Aktion der Identitären von 2017, als diese ein Boot charterten, um im Mittelmeer Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa zu stoppen, mit jener von Carola Rackete gleich, die als Kapitänin Bootsflüchtlinge rettete. "Es gibt NGOs und politische Gruppen auf der rechten wie auf der linken Seite, die eben Aktionen setzen", erklärte Kickl dazu. Dass der designierte FPÖ-Chef die Identitären als normale NGO tituliere, sei eine "gefährliche, inakzeptable Verharmlosung des Rechtsextremismus", sagt Leichtfried. "Die öffentlichen Abgrenzungsversuche von den Identitären sind in der FPÖ unter Kickl offenbar vorbei." Die SPÖ stehe jedenfalls dafür, "rechtsextremistische Tendenzen in allen Formen zu bekämpfen und zu ächten".

"Grundkonsens verlassen"

Für die Neos bewahrheitet sich angesichts Kickls Aussagen die Befürchtung, "dass die FPÖ mit ihm als Obmann "einen gefährlichen Krawallkurs fährt und innerhalb der FPÖ Platz für rechte Extremisten gemacht wird", wie Neos-Generalsekretär Nick Donig erklärt. Dass sich die Identitären und ihr antidemokratisches Gedankengut außerhalb des verfassungsrechtlichen Verständnisses befänden, sei bisher für alle Nationalratsparteien klar gewesen. Donig: "Es ist sehr bedauerlich, dass die Kickl-FPÖ diesen demokratischen Grundkonsens nun verlässt."

Vergleich von Greenpeace unerwünscht

Die NGO Greenpeace hält wiederum zu Kickls Erklärungen, wonach die FPÖ auch inhaltliche Schnittmengen mit der Umweltschutzorganisation – etwa beim Kampf gegen Atomkraft – habe, fest: Man trete in mehr als 50 Ländern seit 50 Jahren für den Schutz von Umwelt und Klima ein, dabei seien "friedlicher Protest sowie politische und ideologische Unabhängigkeit" das Herzstück des Erfolgs. Daher weise Greenpeace "jeden Vergleich mit politisch motivierten und vom österreichischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Gruppierungen aufs Schärfste zurück".

Die Kopie zivilgesellschaftlicher Protestformen begründe "längst keine demokratische Grundhaltung", so Greenpeace weiter. Die Inhalte, die bei Aktionen wie jenen der Identitären verbreitet würden, stünden "im direkten Gegensatz zu den Werten" der Umweltschutzorganisation. Denn man stehe für eine Gesellschaft, in der auch universelle Werte wie Demokratie und Menschenrechte hochgehalten werden. Das Fazit der Umweltschützer: "Viele rechtsextreme Gruppen streben jedoch eine Gesellschaftsform an, die keine organisierte Zivilgesellschaft zulässt, die diese Werte vertritt." (Jan Michael Marchart, Nina Weißensteiner, 11.6.2021)