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Ausblick von der Sommerresidenz der Habsburger, Schloss Schönbrunn, auf die Gloriette.

Foto: Picturedesk.com / APA / Herbert Neubauer

Habsburg – und kein Ende. Habsburgs Bauten. Habsburgs Mehlspeisenküche. Habsburgs Gartenkunst. Die Habsburger im Mittelalter. Ihre private Welt. Ihre Ehepolitik. Ihr Glanz und Untergang. Ihre Krankheiten. Sisis Welt und Welten. Habsburg-Nostalgie. Oder auch Habsburg als Gegenverkehr.

Dies widerfuhr Stefan Zweig Ende März 1919 buchstäblich, als ihn der Zug des Ex-Kaisers Karl Richtung Schweiz passierte. "Die ruhmreiche Reihe der Habsburger," schrieb er später, "die von Jahrhundert zu Jahrhundert sich Reichsapfel und Krone von Hand zu Hand gereicht, sie war zu Ende in dieser Minute. Alle um uns spürten Geschichte, Weltgeschichte in dem tragischen Anblick." Und: "In diesem Augenblick war die fast tausendjährige Monarchie erst wirklich zu Ende. Ich wusste, es war ein anderes Österreich, eine andere Welt, in die ich zurückkehrte."

Nun erschien zuletzt 2017 mit Pieter M. Judsons Habsburg eine große gelungene, gelehrte Geschichte Habsburgs zwischen 1740 und 1918, von Maria Theresia bis zu Karls Dethronisation. Wieso nun also eine neue, die ganze Dynastie abhandelnde Darstellung aus der Feder des lange an der University of London lehrenden Mitteleuropa-Ordinarius Martyn Rady? Weil er noch früher ansetzt. Und alles erzählen will. Und dies auch vermag.

Erbe des Enlightenment

Martyn Rady, "Die Habsburger. Aufstieg und Fall einer Weltmacht. Übersetzung Henning Thies. 35,– Euro / 624 S. Rowohlt Berlin, 2021
Cover: Rowohlt

Der im Ressort "Austriaca" bisher gänzlich unverdächtige deutsche Rowohlt-Berlin-Verlag hat nun Radys Habsburger-Big-History-Buch gut von Henning Thies ins Deutsche übertragen lassen. Er schildert lesbar wie lesenswert Aufstieg, Machtsicherung, Fast-Absinken auf eine subalterne Stufe und Versinken in Machtlosigkeit, dann neuen Aufschwung, Herrschaftsentfaltung, Pracht, Pomp und Kriege, Rankünen, Niederlagen und den ruckhaften Übergang in die Moderne, schließlich von Franz Joseph I., Franz Ferdinand und Karl dem Letzten.

Kurioserweise erstrahlt im Finale kaum ein Habsburger derart starkpositiv wie Otto von Habsburg (1912–2011), Karls Sohn, der niemals regierte und sein langes Leben lang ein überzeugter kosmopolitischer Europäer war.

Dass Rady für seine 29 Kapitel die jeweilige Herrschergestalt als Zentral- und Angelpunkt wählte, ist dramaturgisch naheliegend, wenn auch hie und da so manche Entwicklung verkürzend. Dafür vergisst er ab der Frühen Neuzeit nicht auf parallel sich vollziehende globale spannende Entwicklungen.

Ein Jahrtausend

Der zeitliche Umfang von fast einem Jahrtausend, abgehandelt auf 553 Seiten Fließtext plus 70 Seiten Anhang, bedingt im Umkehrschluss, dass vieles nur peripher vorkommt, die Kultur etwa. Auch Militärgeschichte ist ihm fremd, so gerät Rady der Erste Weltkrieg zur hingetupften Aquarellskizze.

Musik oder Film kommen gar nicht vor, ebenso wenig Technik-, Industrie-, Arbeiter-, Sozial- oder Mentalitätsgeschichte. Und wenn er sich, angelangt im Fin-de-Siècle-Wien, daran versucht, unterlaufen ihm hie und da kleinere Fehler. Aufklärung und katholische Kirche – bis heute Pole, die sich real nur gering berühren. Tatsächlich?

Franz Leander Fillafer: "Aufklärung habsburgisch. Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750–1850." 56,50 Euro / 632 Seiten. Wallstein, 2021
Cover: Wallstein

Franz Leander Fillafer vom Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zu Wien und vormals lehrend und forschend in London und Konstanz, Florenz und in Cambridge aktiv, zeigt in seiner schwergewichtigen Studie Aufklärung, habsburgisch auf: Das Erbe des Enlightenment wurde über den Tod des Kaisers und Radikalaufklärers Joseph II. (1741–1790) hinweg getragen durch und via Bürokratie, Universitäten, Rechts- und Naturwissenschaften und, auch das, den katholischen Klerus.

Der Ausnahmezustand der Napoleonischen Kriege, Restauration nach dem Wiener Kongress und das biedermeierliche System waren keineswegs die flächendeckend übergroß repressiven Hindernisse für Rationalismus.

Ein immenses Pensum

Immerhin wurde 1811/12 das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch eingeführt, das statt eines vermeintlichen "Absolutismus" verbindliche Normen für den Gesamtstaat einführte. Freier Wirtschafts- und Warenverkehr wurde immer rastloser vorangetrieben.

Die Gesellschaft wurde dynamischer, ab Mitte des 19. Jahrhunderts setzte eine "Kommunikationsrevolution" ein. Von einer Rekatholisierung konnte unter Franz I. kaum eine Rede sein, eher von Merkantilismus. Ein immenses Pensum hat sich Fillafer aufgeladen und bewältigt es souverän und hochgebildet.

Monika Czernin (Anna Sacher und ihr Hotel), die am Starnberger See in Oberbayern lebt, hat einen anderen Zugang zur Periode der Aufklärung. Sie konzentriert sich ausschließlich und exklusiv auf Joseph II. und schildert ausgewählte Reisen des weltanschauungsmanischen Regenten.

Nach Frankreich. In die österreichischen Niederlande. Nach Böhmen. Nach Siebenbürgen. Nach Galizien. Nach Russland. Nach Italien. Sie sieht in Joseph einen, nein: ihren Heros, will im 18. Jahrhundert zwanghaft ein Ebenbild der Gegenwart erblicken und stuft gleich zu Beginn das Säkulum der Aufklärung und Reformen, der Renitenz und des Konservatismus als Spiegel aktueller Verwerfungen ein.

Monika Czernin, "Der Kaiser reist inkognito. Joseph II. und das Europa
der Aufklärung". 22,70 Euro / 384 Seiten. Penguin, 2021
Cover: Penguin

Blick durch das Teleskop

Dabei wäre eine viel präzisere und reichhaltigere Frage, die man stellen müsste: Wie ist das Fernrohr nun zu halten? Richtig oder falsch herum?

Blickt man mit einem Teleskop auf das 18. Jahrhundert, ist diese Zeit zwischen später Früher Neuzeit, den Ausläufern des barocken Dreißigjährigen Kriegs, und erster Frühmoderne, bürgerlichem Biedermeier und einsetzender Industrialisierung, uns nun fern – oder ist sie erstaunlich nah, ist sie eine des unaufhaltsamen Aufstiegs der Menschheit zum Glück, oder sind die noch heute in Gesellschaftsdebatten, etwa der Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen, reklamierten philosophischen Grundlagen von Rousseau, Diderot und weitere weit in den Hintergrund dieser langen Epoche zu rücken, weil Aufklärung ein Minderheitenprogramm für Kaffeehäuser und Drucker in der Schweiz war, viel stärker aber dafür diese Jahrzehnte dominiert wurden von Adelspolitik und höfischen Intrigen zwischen Wien und Berlin, Paris und St. Petersburg, Kopenhagen, London und Warschau?

Czernin schreibt lebendig anstrengungslos. Gar nicht wenig, wenn auch wenig Überraschendes hat sie gelesen und verarbeitet. Was allerdings ihre nur überschaubar originell akzentuierten Einsichten relativiert bis nahezu wertlos macht, ist die Manier, die sie wählte. Denn eine seriöse Geschichtsdarstellung ist ihr Buch nicht. Und ein historischer Roman ist es noch nicht, dafür gehen ihr Sprachmächtigkeit und Wortgewalt ab.

Das Buch würde so gern Stefan Zweig werden – und verharrt in einem Genre-Dazwischen, in einem vieles detailverliebt auspinselnden, nicht selten oft fragwürdig falsch, weil modern (wer sprach bitte schön im 18. Jahrhundert von "Identität?") dahinplätschernden und Dialoge erfindenden Erkenntnis-Nirgendwo mit Stilbrüchen und auffällig vielen sorglos übersehenen Satzfehlern. Am Ende angekommen, ist klar, wieso dieses Buch in einem Unterhaltungsverlag erschienen ist. (Alexander Kluy, ALBUM, 12.6.2021)