Für die verbliebenen sechs KZ-Überlebenden sei die Klarstellung sehr wichtig gewesen, dass man Mauthausen-Befreite nicht ungestraft als "Landplage" und "Massenmörder" bezeichnen dürfe, betonte Anwältin Maria Windhager.

Foto: Rudolf Gigler

Es ist das vorläufige Ende eines langen Rechtsstreits: Am Freitagvormittag gab der Oberste Gerichtshof (OGH) zehn Holocaustüberlebenden, die sich gegen einen Artikel der rechtsextremen "Aula" gewehrt hatten, nach sechs Jahren recht. In zwei Artikeln des Mediums hatte man 2015 und 2016 aus dem KZ Mauthausen befreite Häftlinge unter anderem als "Kriminelle", "Massenmörder" und "Landplage", die "raubend und plündernd, mordend und schändend" durch das Land gezogen seien, bezeichnet.

Beide Urteile zugunsten der mittlerweile eingestellten "Aula", jenes am Landesgericht in Graz im September 2016 sowie jenes am Oberlandesgericht in Graz im Juli 2017, wurden am Freitag vom OGH als "rechtsfehlerhaft" beurteilt. Es waren medienrechtliche Verfahren gewesen. Ein zivilrechtliches Verfahren wegen Ehrenbeleidigung und Kreditschädigung und auf Unterlassung hatte die Gruppe der Holocaustüberlebenden hingegen gewonnen. Unterstützt wurden diese vom Grünen-Politiker Harald Walser.

Bitterer Beigeschmack

Der Erfolg für die zehn Antragsteller, die von der Medienanwältin Maria Windhager bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geführt wurden, hat einen bitteren Beigeschmack. Erstens können sich vier der Betroffenen nicht mehr freuen: Rudolf Gelbard, Aba Lewit, Ljubomir Zečević und Pavel Branko sind mittlerweile verstorben. Zweitens bleibt der Sieg für die sechs noch lebenden Kläger ein rein symbolischer, denn es gibt für sie keine Ansprüche mehr. Die Verfahren können nicht erneuert werden.

Wie DER STANDARD berichtete, wurde die Republik Österreich schon vor der Entscheidung des OGH am Freitag in Straßburg vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt (EGMR). Dorthin zog Aba Lewit nach den erfolglosen Versuchen, in Österreich zu seinem Recht zu kommen, mit Anwältin Windhager. Der EGMR erkannte offenbar, dass es aufgrund der hohen Alters der Kläger pressierte, und kam schnell, nämlich 2019, zur Auffassung, dass die Republik Lewit vor der Verleumdung durch die "Aula" hätte schützen müssen. Lewit starb im November 2020.

"Schwerwiegende Begründungsdefizite"

Die Urteilsbegründung des OGH am Freitag lässt auch keine Fragen offen: Die beiden Grazer Urteile hätten das "Gesetz in vielfacher Weise verletzt". Denn schon das erste Urteil hatte "schwerwiegende Begründungsdefizite", etwa weil man hätte prüfen müssen, wie groß der Kreis der Mauthausen-Überlebenden 2016 noch war, nämlich überschaubar.

Zweitens hätte man auch "die Rezipienten, an die sich die Publikation richtet", also jene der rechtsextremen "Aula", als Kriterium auswerten müssen, so begründete Senatspräsident Kurt Kirchbacher das Urteil. Wie der einschlägig bekannte "Aula"-Autor, der seine Aussagen sogar in einem zweiten Artikel bekräftigt hatte, diese gemeint habe, dürfte wohl bekannt gewesen sein. Auch das Berufungsgericht "hat diese Fehler nicht beanstandet", wie Kirchbacher ausführte.

Entsetzen über Einstellung

Zur Erinnerung: Der Klage der Holocaustüberlebenden ging eine Anzeige der Grünen voran, die seinerzeit aber überhaupt schon von der Staatsanwaltschaft Graz eingestellt wurde – mit einer Begründung, die über Österreich hinaus für Entsetzen sorgte: Man meinte, es sei nachvollziehbar gewesen, dass sich die österreichische Bevölkerung 1945 von den befreiten KZ-Häftlingen belästigt gefühlt habe.

Auch wenn den zehn Antragstellern bzw. ihre Nachfahren keine rechtlichen Ansprüche durch die Entscheidung des OGH zukommen, könnte das Urteil doch weitreichende Folgen haben. Denn dass es nach geltendem Gesetz unmöglich ist, in rechtskräftige, aber rechtsfehlerhafte Entscheidungen zum Nachteil eines Beschuldigten einzugreifen, schreit für Experten nach einer Gesetzesreparatur. Die Sprecherin für Vergangenheitspolitik und Rechtsextremismus der Grünen, Eva Blimlinger, die am Freitag im Gerichtssaal zuhörte, versprach, dass sich ihre Partei hier sofort für eine Gesetzesänderung starkmachen werde.

Eines ist der Republik natürlich schon jetzt möglich: den noch lebenden Antragstellern von sich aus eine Wiedergutmachung anzubieten. (Colette M. Schmidt, 11.6.2021)