Am 10. Juni protestierten Netanyahu-Anhänger vor dem Knesset – dem israelischen Parlament – gegen die neue Regierung.

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Jerusalem – Kurz vor der geplanten Vereidigung der künftigen Regierung in Israel haben alle acht Parteien die Koalitionsvereinbarungen unterzeichnet. Damit ist der Aufbau der künftigen Regierung, die nach zwölf Jahren den rechtskonservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu ablösen soll, abgeschlossen, wie die Koalitionäre am Freitag mitteilten. Die Vereidigung soll nach einem Vertrauensvotum am Sonntag im Parlament stattfinden.

Potpourri-Bündnis

Das Bündnis besteht aus acht Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum, darunter auch eine arabische Partei, und hat eine hauchdünne Mehrheit von 61 der 120 Abgeordneten. Der 71-jährige scheidende Regierungschef Netanyahu und seine Anhänger hatten in den vergangenen Tagen versucht, mit massivem Druck eine Ablösung zu verhindern.

"Die Unterzeichnung dieser Vereinbarungen beendet eine zweieinhalb Jahre andauernde politische Krise", sagte der designierte Ministerpräsident Naftali Bennett von der ultrarechten Yamina-Partei. "Die Regierung wird als eine Einheit für die gesamte israelische Öffentlichkeit arbeiten – religiös, säkular, ultra-Orthodox, arabisch – ohne Ausnahme."

Umstrittener Flaggenmarsch

Die politische Lage in Israel ist vor der Vereidigung der künftigen Regierung am Sonntag sehr angespannt. Wie auch am Freitag bekannt wurde soll der umstrittene Flaggenmarsch nationalistischer Israelis am Dienstag in Jerusalem stattfinden. Ein Teil der Route soll dabei auch durch das muslimische Viertel in der Jerusalemer Altstadt führen, wie die Veranstalter mitteilten und von der Polizei bestätigt wurde. Der zunächst für Donnerstag geplante Flaggenmarsch war am Montag aus Sicherheitserwägungen abgesagt worden.

Der Flaggenmarsch am "Jerusalem-Tag".
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Wegen des Flaggenmarschs gab es die Sorge vor einer neuen Eskalation der Gewalt. Der palästinensische Vize-Gouverneur Jerusalems, Abdullah Siam, hatte vor einer "Explosion" in der Stadt gewarnt. Der letzte Marsch anlässlich des Jerusalem-Tags war am 10. Mai wegen Raketenangriffen der im Gazastreifen herrschenden Hamas auf die Stadt abgebrochen worden.

Ende der Ära Netanyahu

Mit der Vereidigung eines neuen Kabinetts wiederum geht nun eine Ära zu Ende: Es wäre das erste Mal seit zwölf Jahren, dass eine Regierung ohne den rechtskonservativen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu gebildet wird. In den Koalitionsvereinbarungen der neuen Regierung geht es unter anderem um öffentlichen Nahverkehr am jüdischen Ruhetag Sabbat, um stärkere finanzielle Unterstützung für den arabischen Teil der Gesellschaft und illegale Bauten in den C-Gebieten im Westjordanland. In den C-Gebieten verfügt Israel sowohl über zivile als auch militärische Kontrolle. Die Palästinenser sehen das Westjordanland allerdings als Teil eines unabhängigen Palästinenserstaates. Zudem wollen die Bündnispartner die Amtszeit eines Ministerpräsidenten auf acht Jahre begrenzen. (APA, etom, 11.6.2021)