Italien, Sommer, Sonne, Herzinfarkt: Die Schauspielerin Liselotte Pulver zeigte sich schon um das Jahr 1980 restlos begeistert.

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Auf die Frage, warum denn nun die Menschen schon früh im Jahr wieder verstärkt in den kühl temperierten Süden reisen würden, um dort im Anorak über die menschenleeren Strände zu flanieren, antwortete eine Urlauberin im deutschen Fernsehen: "Wir haben ein Jahr lang genug gelitten!" Das war zu Ostern. Die grassierende Pandemie, die scheinbar endlosen Reiseverbote, schön und gut, aber: Um Gottes willen, was treibt die Menschen schon im Spätwinter ans Meer, wollen sie dort eisfischen?!

Urlaub im Süden, das Meer, das Flair, das scheint auch aktuell, ein paar Wochen später, trotz unterschiedlicher und oft gar nicht so leicht eruierbarer Beschränkungen in der Gastronomie, einer Ja-Nein-Vielleicht-Maskenpflicht am Strand, Binge-Drinking- und Party-Verbots sowie Sperrstunde um spätestens 24 Uhr eine alte Sehnsucht zu wecken. Und das recht kräftig.

Wo der Pfeffer wächst

Seit sich die Nachkriegsgeneration während des Wirtschaftswunders massentouristisch in Reisebussen oder im mit Konservenfutter, Kindern und Tante Günther vollgepackten VW-Käfer in den mythischen Süden aufmachte, hat sich die Situation dort unten über die Jahrzehnte dramatisch verschärft.

Im Süden wächst schon seit dem guten alten Goethe nicht unbedingt gleich der Pfeffer. Der dazugehörige Landstrich Südostasien liegt weiter entfernt – und von Fernreisen im Bumsbomber war damals noch nicht die Rede. Man sprach lange Zeit eher sprichwörtlich davon, dass sich unliebsame Menschen dorthin schleichen sollten, wo der Pfeffer wächst. Zumindest aber blühen hier unter der geografisch näher gelegenen ewigen Sonne der sogar ohne Langstreckenflüge erreichbaren europäischen Urlaubsdestinationen die sprichwörtlichen Zitronen.

Mit Pauschalreisen im Charterflugzeug und dem Mauerfall hat sich die Situation also zugespitzt. "Geh doch nach drüben!" als Pfefferersatz fällt schon länger weg, die Urlauberzahlen sind mit jedem fallenden Mauerstein reziprok gestiegen.

Entfesselte Kleinkinder

Zehner- und Zwanzigerreihen von Liegestühlen an den Stränden von Jesolo und Lignano. Bis das Wasser wegen der zunehmenden Versandung tief genug wird, um halbwegs schwimmen zu können, empfehlen sich wasserfeste Wanderschuhe. Die Lautsprecher plärren von früh bis spät schlechte Musik und noch mehr Werbung. Sportflugzeuge mit Spruchbändern gehen in den Tiefflug. Lederzeugs, speckige Donuts und Badetücher werden von fahrenden Händlern angeboten.

Entfesselte Kleinkinder trommeln stundenlang auf ihre Plastikkübel. Auf den Liegestühlen nebenan bahnt sich eine Scheidung an. Fritteusenfett trifft Tiroler Nussöl. Im Hotelzimmer bekommt man den versprochenen Meerblick nur, wenn man sich schwindelfrei aus dem Balkon lehnen kann. Der "Káffee!" schmeckt natürlich "lecker", wie der Mann mit der Bild-Zeitung es am Kiosk auf den Punkt bringt.

Man will nicht allein sein

Natürlich dient der Urlaub erst einmal der Erholung, zumindest der Luftveränderung. Allerdings fragt man sich bei einem pauschal gebuchten Badeurlaub am dritten Tag in diesem Elend tatsächlich, ob sich das alles wegen der Pizza- und Pastaqualität und der unterstellt entspannten Atmosphäre tatsächlich auszahlt. Man darf allerdings nicht so streng sein, in anderen Ländern mit Strand und Meer ist dann auch noch das Essen schlecht – und der Fisch kommt tiefgekühlt aus Norwegen geflogen.

Wir wollen das gar nicht verurteilen, wir waren schließlich selbst schon dort: Wer solche Sehnsuchtsurlaube mit gebührenfreier Stornierungsmöglichkeit bis 24 Stunden vor Reiseantritt bucht, will definitiv eines nicht: Er will nicht allein sein.

Möglicherweise spielt das nach einer über einjährigen Isolationshaft eine Rolle, wenn man sagt: Ja, ich möchte trotz Abstandsregeln wieder mehr auf die Menschen zugehen und mit ihnen meine und vor allem ihre Probleme teilen. Ich möchte ihre Ehestreitigkeiten belauschen und ihre Kindis verzweifelt schreien hören. Immerhin ist gerade der Eislutscher in den Sand gefallen. Der Bademeister keppelt inzwischen vom Turm herab, weil Teenies eine Wasserballschlacht mitten in einer Rentnergruppe aus der Steiermark veranstalten.

Panini statt Schnitzel

Hier spielt das Leben! Und es spielt am Meer. Vielleicht ist es das. Allerdings kann man auch sagen, letztes Jahr daheim im Freibad war das Leben auch nicht so schlecht, der Wind hat einem nicht dauernd den Sand ins Gesicht geblasen. Statt Panini-Sandwich eine Schnitzelsemmel. Alles andere war gleich. Am Abend konnte man freilich nach Hause gehen. Morgen fahre ich in den Urlaub. Es geht ans Meer. Ich werde besseren Kaffee trinken. (Christian Schachinger, 13.6.2021)