Im Oktober 2015 sorgt ein Stern im Sternbild Schwan für gleichermaßen mediale und wissenschaftliche Aufregung: Der Hauptreihenstern der Spektralklasse F mit der Bezeichnung KIC 8462852 war mit dem Kepler-Teleskop der Nasa entdeckt worden und liegt in rund 1.480 Lichtjahren Entfernung von der Erde. Das Merkwürdige an ihm waren unregelmäßige Helligkeitsschwankungen in dem System um bis zu 22 Prozent: Irgendetwas schien den Stern immer wieder in einem beträchtlichen Ausmaß zu verfinstern.

Als Erklärung für das unvorhersehbare Verhalten von "Tabbys Stern" (wie ein Astrophysiker das Objekt informell getauft hat) wurden sogar künstliche Strukturen vorgeschlagen, doch Hoffnungen auf einen "Schwarm von Megastrukturen" oder eine Dysonsphäre aus Alienhand blieben unerfüllt: Ein Astronomenteam um Tabetha Boyajian von der Louisiana State University, nach der der Stern seinen Spitznamen erhielt, identifizierte 2017 extrem feinen Staub als Ursache für die Verdunkelungen.

Der Stern KIC 8462852 – bekannter ist er unter dem Namen "Tabbys Stern" – sorgte für Erstaunen und Alien-Spekulation.
Foto: Boyajian et al

Eine Klasse für sich

Tabbys Stern ist kein Einzelfall, immer wieder stolpern Forscher bei ihren Beobachtungen über scheinbar oder tatsächlich unregelmäßig blinkende Sterne. Der Riesenstern Epsilon Aurigae etwa wird alle 27 Jahre teilweise von einer riesigen Staubscheibe um bis zu 50 Prozent verdunkelt. Ein zweites Beispiel, TYC 2505-672-1, wurde vor einigen Jahren erspäht und verfinstert sich ebenfalls in einem bedeutenden Ausmaß.

Doch nun fiel einem internationalen Astronomenteam ein Stern nahe des Milchstraßenzentrums auf, der in dieser Hinsicht eine Klasse für sich zu sein scheint: Der mehr als 25.000 Lichtjahre entfernte Stern VVV-WIT-08 verdunkelte sich über mehrere Monate hinweg gleich um den Faktor 30. Oder anders gesagt: Er verlor ziemlich plötzlich und für etwa 200 Tage 97 Prozent seiner Leuchtkraft. Ob es sich um ein einmaliges oder regelmäßiges Ereignis handelt, ist unklar.

Eine Milliarde Sterne im Visier

Die Wissenschafter um Leigh Smith vom Cambridge Institute of Astronomy entdeckten den Stern im Rahmen des "VISTA Variables in the Via Lactea Survey" (VVV): Das Projekt behält mit dem Vista-Teleskop in Chile seit mehr als einem Jahrzehnt eine runde Milliarde Sterne im Auge und beobachtet potenzielle Helligkeitsänderungen im infraroten Teil ihres Spektrums.

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In der Nähe des Zentrums der Milchstraße hat ein Riesenstern plötzlich einen Großteil seiner Leuchtkraft verloren.
Foto: REUTERS/Stephane Guisard/ESO

Aber nicht nur VVV-Daten haben die Forscher für ihre Studie im "Monthly Notices of the Royal Astronomical Society" analysiert. Die Verdunkelung des Sterns wurde auch vom Optical Gravitational Lensing Experiment (OGLE) ins Visier genommen, einer langjährigen Beobachtungskampagne der Universität Warschau. OGLE erfasst die Sterne häufiger und näher am sichtbaren Teil des Lichtspektrums. Durch diese zahlreichen Beobachtungen und anhand von Modellierungen kamen die Wissenschafter schließlich zu dem Schluss, dass sich der Riesenstern sowohl im sichtbaren als auch im infraroten Licht im selben Ausmaß verfinsterte.

Mehrere Theorien ...

Hinter dem Phänomen könnten mehrere mögliche Ursachen stecken, aber keine will wirklich passen. Da sich der Stern in einer dichten Region der Milchstraße befindet, überlegten die Forscher etwa zunächst, ob nicht ein anderes Objekt im Vordergrund vor dem Riesenstern vorbeigezogen sein könnte. Simulationen zeigten jedoch, dass für dieses Szenario eine unplausibel große Anzahl dunkler Körper in der Galaxie herumschweben müsste.

Als unwahrscheinlich gilt auch, dass der Grund für die Lichtabnahme im Inneren des Sterns zu suchen ist. Das Verhalten der Lichtkurve von VVV-WIT-08 passe in keiner Weise zu den Schwankungen eines Roten Riesen, so die Wissenschafter. Für einen jungen Stern leuchtet er dafür zu gleichmäßig – wenn man von der Verdunkelung absieht.

Deshalb vermuten die Astronomen nun, dass VVV-WIT-08 zu einer neuen Klasse von Doppelsternsystemen gehört. Bei diesen "Blinking Giant"-Systemen zieht ein unentdeckter Begleiter vor einem Riesenstern von der hundertfachen Größe der Sonne vorüber. Dieser Partner, der ein anderer Stern, ein Exoplanet oder etwas deutlich Exotischeres sein kann, dürfte von einer undurchdringlichen Wolke oder Scheibe aus Staub und Materie umgeben sein, die den Riesenstern verdeckt.

Eine Materiewolke könnte die Verdunkelung verursacht haben, die Hintergründe bleiben allerdings unklar und rätselhaft.
Illustr.: Amanda Smith, University of Cambridge

... und unbefriedigende Szenarien

Das zumindest legen die Modellrechnungen nahe, aber auch diese Erklärung befriedigt kaum: Trümmerwolken um Jungsterne wären zwar dicht genug, es wurden aber keine dafür typischen Infrarotsignaturen beobachtet. Ältere Sterne wiederum besäßen zu durchsichtige Materiewolken, und solche von Weißen Zwergen wären zu klein für das Phänomen.

Die lange Verdunkelungszeit spricht außerdem für eine große Entfernung zwischen dem Riesenstern und seinem Begleiter, was auch einen Begleitstern als Ursache ausschließt, der von dem Riesenstern Material absaugt und dadurch eine Gasscheibe bildet. Vielleicht ist der Begleiter exotischer, ein Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch – doch deren Akkretionsscheiben geben normalerweise Röntgenstrahlung ab, die ebenfalls nicht beobachtet werden konnte.

"What is this?"

"Gelegentlich entdecken wir veränderliche Sterne, die in keine etablierte Kategorie passen, und wir haben keine Ahnung, wie diese 'What is this?'- oder 'WIT'-Objekte, wie wir sie nennen, entstanden sind", sagt Co-Projektleiter Professor Philip Lucas von der University of Hertfordshire. Inzwischen scheint es jedenfalls etwa ein halbes Dutzend bekannter Sternensysteme dieses Typs zu geben, die Riesensterne und große undurchsichtige Scheiben enthalten. Zwei davon wurden ebenfalls von Smiths Team entdeckt.

"Es gibt sicherlich noch mehr von ihnen zu finden. Die Herausforderung besteht jetzt darin, dahinterzukommen, wer diese geheimnisvollen Gefährten sein könnten und warum sie sich mit diesen Scheiben umgeben, obwohl sie sich offenbar sehr weit von ihrem Riesenstern entfernt haben", sagt Smith. "Das könnte uns letztlich Aufschlüsse darüber geben, wie sich diese Art von Systemen entwickelt." (tberg, 12.6.2021)