Kinga (17) und Kilian (16) auf dem Maria-Theresien-Platz. Sie sprechen davon, dass der Respekt vor dem, was Junge leisten, fehlt.

Foto: Regine Hendrich

Irgendwie hat man sie einfach vergessen, die Jungen. So hat es zumindest den Anschein, wenn man die bisherige Corona-Politik betrachtet: Da wurde der Handel geöffnet, damit Jobs gesichert sind, da wurden Kirchen und Seniorencenter, Fitnessstudios sowie Friseurläden geöffnet. Da wurden Alte geimpft und Risikogruppen geschützt – all das ist freilich wichtig und gut, in einer Gesellschaft, in der oberstes Ziel sein muss, dass reihenweise Todesfälle vermieden werden.

Nur: Wie es mit Universitäten, Ferienjobs und Praktika weitergeht, wie Schülerinnen, Schüler und Studierende den Anschluss an den Unterrichtsstoff finden sollen und wann für sie wieder eine Freizeitgestaltung möglich ist, steht offenbar nicht besonders weit oben auf der Prioritätenliste der politischen Entscheider.

Im Gegenteil: Nachdem die Pandemie jungen Leuten nun schon fast eineinhalb Jahre ihres Lebens einfach herausgerissen hat, stehen sie in der Wahrnehmung der Gesellschaft schlechter da als je zuvor. So klang es jedenfalls, wenn man Medienberichte der vergangenen Woche gelesen hat.

Von einer "Generation Dosenbier" war da die Rede, von Exzessen und von einem Mangel an Solidarität. Es entstand ein Bild von einer Generation, die keine Lust mehr hat, die alle Rücksicht über Bord geworfen, die resigniert hat.

Ein Teil der Wahrheit

Spricht man mit jungen Leuten, anstatt nur über sie zu sprechen, wird klar: Es stimmt. Es wird aber auch deutlich, dass das nur ein Teil der Wahrheit ist. Jene jungen Menschen, die auf den Plätzen abhängen, die früher einfach nur ein netter Ort zum Treffen waren und nun als Partyhotspots bezeichnet werden, erzählen nicht nur vom Wunsch nach Partys im Club. Sondern auch von Sorgen, von Ängsten, von Abwägungen. Und davon, worauf sie sich freuen, wenn all das – die Pandemie und das, was mit ihr einhergeht – vorbei ist.

Davor kommt aber erst einmal ein Sommer, der sich für die meisten nicht besonders von jenem im Jahr 2020 unterscheiden wird. Fragt man Jugendliche und junge Erwachsene, dann sprechen viele von Urlaub in Österreich, die einen wollen nach Kärnten, die anderen waren in Vorarlberg.

Andere machen gar keinen Urlaub: "Ich bin unsicher, was ich mache. In dem Feriencamp, in dem ich arbeiten will, brauche ich die Impfung", sagt Anna. Die 23-Jährige sitzt mit Freundinnen auf dem Karlsplatz. Wäre die Pandemie nicht, wäre sie wohl im Ausland. Interrail hätte sie gern gemacht, sagt ein paar Meter weiter die gleichaltrige Studentin Isa, das hat sie sich aber "abgeschminkt". Wer wisse schon, wie sich die Pandemie in einzelnen Ländern entwickelt.

"Voll für die Impfung"

Die Impfung ist jedenfalls ein zentrales Thema, wenn es um die Sommerplanung geht. Und auch im Freundeskreis. "Ich werde hoffentlich bald geimpft. Ich bin voll für die Impfung", sagt etwa Kilian (16) ein paar Bimstationen entfernt auf dem Maria-Theresien-Platz. Und: "Nicht alle meine Freunde wollen sich impfen lassen, das ist auch okay."

Er habe viel über sein Umfeld gelernt im Laufe der vergangenen Monate, erklärt der Schüler. Darüber, "wie unterschiedlich man ist". Seine Begleitung, die 17-jährige Kinga, ist bereits geimpft, sie hat sich dafür extra über ihren Zweitwohnsitz in Niederösterreich angemeldet, weil in Wien noch keine Slots für ihre Altersgruppe freigeschalten wurden.

Jakob (20, links) und Maurice (21) wollen wieder auf Konzerte. Und vor allem: selbst wieder auf die Bühne.
Foto: Regine Hendrich

Statt Fernreisen stehen also Kleinigkeiten im Mittelpunkt. Etwa bei Jakob (20) und Maurice (21), die nebeneinander auf dem Karlsplatz sitzen, jeweils eine Flasche Weißwein zwischen den Beinen und eine Musikbox neben sich. Maurice wird sich im Sommer das Auto seines Vaters ausborgen und Österreichs Seen erkunden, auch Jakob meint: "Ich kenne Österreich eh zu schlecht."

Viel zentraler aber ist, dass die Kultur langsam wieder anläuft. Die beiden sprechen von Konzerttickets, die sie seit Monaten zu Hause rumliegen haben und die nun bald Verwendung finden sollen – zum Teil zumindest. Und Jakob will auf ein Festival, nach Prag. Die beiden machen selbst Musik (rari_bubblegum, ikko7_), aber auch da sei Corona "reingegrätscht", betont Jakob. Einmal habe er in einem Livestream aufgelegt, aber das sei einfach "nicht das Gleiche".

Spannendste Zeit verpasst

Auch die 21-jährige Katrin Paucz, Teil des Pop-Trios Sharktank, bewertet die aktuelle Situation als schwierig. Gerade für neue Bands sei es nicht einfach, "Fuß zu fassen, weil ja alle Konzerte, die im letzten Jahr abgesagt wurden, jetzt nachgeholt werden". Die meisten Termine seien daher bereits vergeben. Erst vergangenen Donnerstag veröffentlichten Sharktank ihr Debütalbum, normalerweise die spannendste Zeit für Newcomerbands.

Bei den Konzerten, die das Trio geben konnte, und jenen, die die Musikerin selbst besucht, findet sie es gut, dass alle getestet sind, Maske tragen und Abstand halten. "Bei unserem ersten Gig kürzlich im Wuk habe ich mich sehr wohl und sicher gefühlt", sagt sie.

Anna (23) hat ihre Sommerpläne über Bord geworfen. In einem normalen Jahr wäre sie ins Ausland gefahren, nun hängt ihr Ferienjob davon ab, ob sie geimpft wird.
Foto: Regine Hendrich

All das gilt freilich nicht nur in der Musikbranche. Auch Amina Guggenbichler (19), die Teil des Theater:Klub des Dschungel Wien ist, freut sich schon massiv darauf, wenn das seit Oktober letzten Jahres erarbeitete Stück You Better Work, B*tch am 17. Juni endlich Premiere feiert. "Ich betätige mich ja deswegen künstlerisch, um Leute zu erreichen und eine Botschaft zu übermitteln", sagt Guggenbichler.

Und: "Man fühlt sich als Jugendliche eh schon verarscht von der Regierung und von Erwachsenen nicht ernstgenommen, als Corona-Spreader betrachtet. Wie sollen wir Corona spreaden, wenn wir nicht einmal zum Proben rausgehen dürfen?" Wenn "solche Sachen wie auf dem Karlsplatz" passieren, meint sie, dann werde das auf alle Jugendlichen übertragen – das findet die Musikerin unfair.

Awarenessteams

Der Karlsplatz. Er wurde durch nur einen Abend, bei dem einerseits Polizisten durch fliegende Flaschen verletzt und andererseits Pfefferspray gegen Jugendliche eingesetzt wurde, zum Sinnbild dafür, was falsch läuft. Für die einen ist das das Corona-Management der Regierung und ihr Umgang mit der Jugend, für die anderen ist das die Jugend selbst, die in ihren Augen enthemmt und rücksichtslos ist. Und für Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sind es Linksextreme.

Die Lösung? Sperren die Clubs auf, werden sich die Plätze schon leeren, hörte man von Vertreter verschiedener Couleur, nachdem die Ausschreitungen plötzlich wieder die Frage auf den Tisch gebracht haben, wie viel öffentlicher Raum den Jungen eigentlich zusteht. Dass man ihnen mehr davon gibt, anstatt Plätze gar zu sperren, sei zwar eine schöne Idee, aber dank des Bundes nicht möglich, war sinngemäß die Position der Stadt Wien.

Isa (23, links) und Magdalena (22) verstehen den Grant auf Junge nicht: Sie lassen sich laufend testen.
Foto: Regine Hendrich

Wobei: Einige Maßnahmen wurden schon verkündet. Awarenessteams aus Jugendarbeiterinnen und -arbeitern werden künftig unterwegs sein, hieß es von Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos), und der Wiener Kultursommer soll auch Elemente der Clubkultur aufnehmen.

Deren Vorgänger als kleiner Koalitionspartner in der Stadtregierung, die Grünen, hätten andere Vorschläge – wobei sie als nunmehrige Opposition freilich leichter zu reden haben. Sie fordern ein 2,8 Millionen schweres Jugendpaket, darin sollen unter anderem ein Kulturgutschein und vor allem Platz enthalten sein.

Erstaunen

Doch wie kann es sein, dass jetzt, nach 15 Monaten ohne Clubs und ohne Rückzugsorte, plötzlich Erstaunen darüber herrscht, dass junge Leute draußen sind und tun, was man eben tut, wenn man jung ist? Die Bilder vom Kanal und vom Karlsplatz sind keine neuen, man könnte sie, ohne dass das jemand bemerken würde, gegen die aus dem Vorjahr austauschen.

Wäre es da nicht schon längst an der Zeit für ein Konzept für den Sommer gewesen? Magdalena ist 22 und mit Freundin Isa unterwegs. Sie hat darauf eine recht österreichische Antwort: "Bei uns konfrontiert man sich erst dann mit einer Antwort, wenn die Probleme schon da sind."

Es sei klar, dass der Geduldsfaden der Jungen immer kürzer werde: "Wenn nur mehr mit Verboten agiert wird, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis alle drauf scheißen", sagt sie – auch wenn sie selbst gut allein klarkomme.

Risiko von Vereinsamung

"Die Jugend", sofern man sie überhaupt auch nur annähernd als eine homogene Masse begreifen kann, als Feierwütige, die die Nase voll haben, abzustempeln, greift jedoch zu kurz. Das, was Lockdowns angerichtet haben, geht weit darüber hinaus.

Eine aktuelle Studie der Donau-Universität Krems und der Medizinischen Universität Wien vom März 2021 zeigt, dass 16 Prozent der Schülerinnen und Schüler suizidale Gedanken haben. 82 Prozent von 400 repräsentativ ausgewählten Elf- bis 17-Jährigen sehnen sich nach gemeinsamen Unternehmungen mit Freundinnen und Freunden, viele seien zunehmend überfordert, hieß es im Februar in einer Studie des Instituts für Jugendkulturforschung.

"Der Rückzug ins Private und der Verlust von zentralen Identifikationsangeboten wie Sport- und Musikveranstaltungen bergen das Risiko von Vereinsamung", warnte Malena Haas von der Arbeiterkammer Wien diese Woche.

"Gemeinsam den nächsten Schritt machen"

Zurück auf dem Maria-Theresien-Platz formuliert das der 16-jährige Kilian so: "Es gibt so viel Grund zum Sudern gerade", erst noch mit einem breiten Lachen im Gesicht. Fragt man nach Details, wird er ernst: "Die vergangenen eineinhalb Jahre haben mich persönlich viel gekostet. Viele Türen wurden geschlossen, die ich gerne wieder geöffnet hätte, das war aber nicht möglich."

Das betrifft nicht nur seine Karriere, eigentlich hätte er im November eine Chance gehabt, mit Freunden von einem Label einen Gig zu spielen, daraus wurde nichts. Aber Kilian meint damit auch die Schule: "Ich hatte eine Matheprüfung über vier Jahre Stoff, für die ich online lernen musste."

Rosa (24, links) und Johanna (22) haben bescheidene Wünsche an die Politik: Platz, WCs, Mülleimer und eine U-Bahn, die die ganze Nacht durchfährt.
Foto: Regine Hendrich

Er hat sie geschafft, viele seiner Freunde aber nicht. "Jetzt wird mir vielleicht die Möglichkeit genommen, mit ihnen die Schule gleichzeitig abzuschließen. Mit ihnen gemeinsam den nächsten Schritt zu machen."

Mülleimer, Klos und Öffis

Auch die Schülerin Kinga findet: "Es ist nicht einfach, wenn man monatelang in seinem Zimmer sitzt und aus dem Bett aus lernt und dann plötzlich wieder in die Schule kommt – das ist eine Umstellung, die auch nicht ganz einfach ist für alle." Kilian jedenfalls fühlt sich im Stich gelassen. Von der Politik, von der Polizei "und auch von meinen Eltern ein bisschen".

Was also wollen die jungen Leute? Stehen sie auf, fordern sie ein, verlangen sie endlich auch Rücksicht? Hinter Maurice und Jakob, hinter Anna und hinter Isa und Magdalena haben sich ein paar Handvoll Aktivisten und Aktivistinnen auf den Stiegen vor dem Karlsplatz aufgebaut.

Sie halten eine Diskussionsrunde über Femizide ab, nehmen sich dafür den Raum, der ihnen zusteht, meint eine der Sprecherinnen. Vielen in der Menge würden auch Kleinigkeiten schon reichen. Auf die Frage, was es bräuchte, um den Jungen wieder ein wenig Raum zurückzugeben, sagt die 24-jährige Rosa: "Einfach ein wenig Platz, ohne von der Polizei umringt zu sein." Und Johanna (22) ergänzt: "Mistkübel, Klos und Öffis, die wieder die ganze Nacht durchfahren." Zumindest ein Wunsch wird ihr erfüllt: Ab Ende Juni fährt die U-Bahn in Wien wieder durch. (Gabriele Scherndl, Amira Ben Saoud und Oona Kroisleitner, 12.6.2021)