Agil Humbatow war unzufrieden. Der Oppositionelle kritisierte zu Beginn der Corona-Pandemie in einem Video, dass die Regierung Aserbaidschans Familien nicht ausreichend unterstütze. Am nächsten Tag wurde er in eine psychiatrische Klinik eingeliefert. Tags darauf ordnete ein Bezirksgericht seine Entlassung an – doch einen weiteren Tag später wurde er wieder zwangseingeliefert. Humbatow hatte in einem Video die Zustände in der Klinik kritisiert.

Ilham Alijew geriert sich gern als großer Kriegsherr. Die Schlachten mit seinen Kritikern im eigenen Land trägt er weniger öffentlich aus.
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So berichtet es Amnesty International. "Ohne überzeugende Beweismittel" habe ein Berufungsgericht in Baku die Erstentscheidung gekippt. Humbatow wurde drei Monate in der Nervenklinik festgehalten, laut Amnesty verabreichte man ihm "ohne angemessene Begründung Medikamente".

Auch Alizalin Salajew, ein oppositioneller Parteikollege von Humbatow, war unzufrieden, wie das Oppositionelle eben sind. Im Jänner 2020 wurde er verhaftet. Laut einem offenen Brief seiner Familie befahlen ihm Polizisten, sich dabei zu filmen, wie er seinen Kopf in die Toilette steckt. Als er sich weigerte, hätten ihn die Polizisten geschlagen. Salajews Anwalt durfte ihn erst neun Tage nach der Verhaftung sehen und bestätigte Verletzungen.

Schlimme Zustände

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) schreibt, dass die Folterpraxis "straffrei fortgesetzt" wird. HRW kritisiert, dass es rund um die Wahl im Februar 2020 "glaubwürdige Vorwürfe von Verstößen" gab und dass Aserbaidschan im Krieg gegen Armenien um die Region Bergkarabach verbotene Cluster-Munition einsetzte. Die Behörden würden Corona-Beschränkungen missbrauchen, um Kritikern zu schaden. Im Ranking der Pressefreiheit liegt Aserbaidschan auf Platz 167 von 180, knapp hinter Libyen und dem Irak.

Aleksander Čeferin war gar nicht unzufrieden. Er posierte gutgelaunt an der Seite von Ilham Alijew, dem autoritären Herrscher Aserbaidschans. Das war 2016, als der Präsident der Europäischen Fußball-Union (Uefa) in Baku das Logo für den EM-Spielort vorstellte. Aserbaidschan sei laut Čeferin ein "Land, das große Leidenschaft für den Fußball zeigt".

Das Olympiastadion in Baku.
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Am Samstag (15 Uhr, ORF 1) wird nun in Baku gekickt, Wales und die Schweiz liefern den Auftakt. Freilich, der Fußball ist nicht der Einzige, die Formel 1 fährt seit Jahren in Baku. 2015 durfte Aserbaidschan die Europaspiele austragen, auch die Uefa gastierte 2019 schon mit dem Europa-League-Finale.

Fragwürdige Sponsoren

Dass Baku bei der Euro nun drei Gruppenspiele und sogar ein Viertelfinale abhält, ist für Frank Schwabe "absurd. Es ist weder menschenrechtlich geboten, noch macht es sportpolitisch Sinn." Schwabe ist Menschenrechtssprecher der SPD-Bundestagsfraktion, er nennt die Spiele "Versuche, das eigene Land trotz aller Defizite reinzuwaschen".

Mag sein, dass die Vergabe auch mit einem Sponsorenvertrag zusammenhing. 2013 vereinbarte die Uefa eine lukrative Partnerschaft mit dem staatlich kontrollierten Energiekonzern Socar. Aserbaidschan nehme "wahrscheinlich Milliarden Euro in die Hand, um internationale Organisationen – da summiere ich alles drunter – zu beeinflussen", sagt Europaratsmitglied Schwabe: "Wo Socar draufsteht, da ist höchste Vorsicht geboten." Inzwischen verschwand der fragwürdige Geldgeber jedoch still und leise aus dem Kreis der EM-Sponsoren.

Čeferin, der den Spielort Baku von seinem Vorgänger Michel Platini geerbt hatte, gab 2019 in einem Spiegel-Interview zu, dass die Menschenrechtslage "ein Problem" sei. "Aber das ist sie in anderen europäischen Staaten auch. Verdienen die Fans in Baku deswegen keinen Live-Fußball?"

Was Agil Humbatow oder Alizalin Salajew wohl dazu sagen würden? (sid, red, 12.6.2021)