Geht es nach der Katze Kess, einem Orakel, haben die nordmazedonischen Fans am Sonntag Grund zur Freude.

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Euro-Ticker: England vs. Kroatien, Österreich vs. Nordmazedonien, Niederlande vs. Ukraine, So., ab 15 Uhr

Skopje – Die Österreicher seien nur auf dem Papier Favoriten, heißt es in mazedonischen Medien. Die Truppe von Trainer Igor Angelovski werde nämlich am Sonntag neue große historische Ergebnisse erzielen. Ein Hinweis dafür sei die Katze Kess, die ihr Fressen zwischen der mazedonischen und österreichischen Flagge auswählen konnte und sich – das ist dokumentiert auf Youtube – für erstere entschied.

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Wer das Land kennt, würde den Mazedoniern tatsächlich sofort den Sieg vergönnen. Kein anderer Staat in Europa wurde in den vergangenen Jahren so ungerecht von anderen Europäern behandelt und vom Unglück verfolgt. Dabei handelt es sich um das einzige Land in der Region, das tatsächlich Reformen durchzieht, den Rechtsstaat stärkt und EU-Standards umsetzt.

Ärger mit den Nachbarn

Die Mazedonier haben einfach Pech mit ihren Nachbarn. Die Griechen behaupteten jahrelang, dass die nur zwei Millionen Nachbarn im Norden gefährliche Gebietsräuber seien, die ihr Land nur deshalb Mazedonien nannten, um die Griechen zu ärgern. Athen saß als Nato- und EU-Mitglied am längeren Ast, und so musste man mit dem Namensungetüm FYROM vorliebnehmen, was für "Former Yugoslav Republic of Macedonia" stand und irgendwie an den Sänger "Formerly Known As Prince" erinnerte, aber bei weitem nicht so sexy war.

Erst 2019 wurde das Land in "Nordmazedonien" umgetauft, um Griechenland zu beruhigen. Um das zu ermöglichen, hatten die Mazedonier zuvor die korrupte und nationalistische Regierung von Nikola Gruevski abgewählt, der von Sebastian Kurz im Wahlkampf 2016 Unterstützung bekam, weil er zuvor die Kontrollen an der griechisch-mazedonischen Grenze wieder eingeführt hatte. Gruevski, der sich 2018 seiner Haftstrafe entzog und nach Ungarn absetzte, bekam von einem anderen Gesinnungsfreund, Viktor Orbán, in Budapest sogar "Asyl".

Ein Viertel der Bevölkerung sind Albaner

Seit 2017 ist in Skopje aber eine neue nichtnationalistische, nichtkorrupte Regierung unter dem Sozialdemokraten Zoran Zaev an der Macht. Wie in der Nationalmannschaft sind in dem Kabinett auch einige Albaner vertreten – sie machen etwa ein Viertel der Bevölkerung aus. Die Mazedonier, die sich so vorbildlich verhielten, wurden aber von der EU nicht belohnt. Im Gegenteil: Wegen einer bulgarischen Blockade dürfen sie noch immer nicht verhandeln, obwohl sie längst Mitglied sein könnten – seit 2005 haben sie bereits Kandidatenstatus.

Die Bulgaren argumentieren nämlich, die mazedonische Sprache gäbe es gar nicht, es handle sich viel mehr um einen westbulgarischen Dialekt, der Nationalheld Gotse Delchev sei ein Bulgare und die mazedonische Nation eine Erfindung. Sofia will praktisch, dass sich Nordmazedonien komplett unterwirft.

In Skopje setzt man auf Tapferkeit und hofft auf die Solidarität anderer Europäer. Ein Sieg gegen die Österreicher wäre ein kleiner Trost in all der Demütigung. (Adelheid Wölfl, 12.6.2021)