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Naftali Bennett von der Yamina-Partei und Jair Lapid von der Zukunftspartei, Anführer der neuen Regierung, umarmen einander.

Foto: Reuters / Ronen Zvulun

Der Abgeordnete Itamar Ben-Gvir von der rechten Kleinpartei Otzma Jehudit ist empört.

Foto: AFP/EMMANUEL DUNAND

Als er im Parlament ans Rednerpult trat, hatte er wohl mit vielem gerechnet: mit Zwischenrufen, mit Buhs und mit Wutschnauben. Dass er kaum zu Wort kommen würde, weil ihm aus den hinteren Sitzreihen geballtes Brüllen entgegenschlug, schien Naftali Bennett zu überraschen. Er blieb bei seinem Text.

Wenige Stunden bevor ihn das Parlament als neuen Regierungschef Israels bestätigte, strich er hervor, wie gut es einem Land tue, wenn sich Menschen unterschiedlicher Meinungen miteinander verständigen, anstatt einander zu bekämpfen. Es war eine vorbereitete Rede. Doch die Botschaft passte auf den Moment, als hätte er sie spontan formuliert.

"Lügner!" und "Betrüger!" brüllten die Abgeordneten der rechten Oppositionsparteien, sobald Bennett einen Satz begann. Drei Abgeordnete legten es auf einen Rauswurf an, sie wurden aus dem Saal geführt – unter lauten Protestrufen ihrer Fraktionskollegen. Zuerst schrien die Rechtsextremen, später auch die Abgeordneten von Benjamin Netanjahus Likud-Partei. Über weite Strecken war Parlamentspräsident Yariv Levin mit seinen Ordnungsrufen und Ermahnungen öfter zu hören als Bennett. Levin, ein treuer Netanjahu-Mann, sah sich genötigt, seinen eigenen Parteifreunden mit dem Rauswurf aus dem Parlament zu drohen. "Ich ermahne nur ungern einen Minister", sagte er zum scheidenden Regierungsmitglied Ofir Akunis, "aber mir bleibt keine andere Wahl."

Gegen Netanjahu

Vier vorgezogene Wahlen hat Israel in den vergangenen zwei Jahren erlebt, noch vor einem Monat schien es so, als gebe es bald die fünfte Wahl. Zu tief sind die Klüfte im Parlament, zu groß war der Druck Netanjahus, das Land von Neuwahl zu Neuwahl zu steuern – und auf diese Weise stets als Übergangspremier im Amt zu bleiben. Das war auch diesmal sein Plan. Doch Bennett kam ihm zuvor. Der religiöse Rechtspolitiker ließ sich auf ein Regierungsexperiment mit sieben Parteien ein, unter ihnen auch Linke, Araber und Antireligiöse. Der einzige gemeinsame Nenner der acht Koalitionspartner ist, dass sie Netanjahu loswerden und eine fünfte Wahl verhindern wollen. Wie lange das gutgeht, weiß niemand.

Netanjahu scheint bereit zu sein, alles zu tun, um die Regierungsperiode kurz zu halten. Auch er trat am Sonntag ans Rednerpult. Dort zeigte er vor, was er als Oppositionspolitiker zu bieten hat: jede Menge Fake-News.

Falsche Behauptungen

Diese Regierung sei "der größte Betrug in Israels Geschichte", behauptete er. Bennett habe seine Wähler verraten, und auf dieselbe Weise werde er Israel preisgeben "und sich mit dem Iran zusammensetzen". Obwohl Bennett wenige Minuten zuvor klargestellt hatte, dass seine Regierung in der Iran-Frage nicht von der bisherigen Linie Israels abweichen werde, sagte Netanjahu: "Im Iran feiern sie jetzt." Dann behauptete er, ein Palästinenserstaat sei nicht weit, denn die neue Regierung befürworte dies – auch das entspricht nicht den Fakten.

"Das wahre rechte Lager", also Netanjahu selbst, gebe sich aber nicht geschlagen, sagte der 71-Jährige: "Bald werden wir diese gefährliche Regierung wieder ablösen." Als Netanjahu am Pult stand, blieben die Aufwiegler still.

Scham statt Stolz

Das Vertrauensvotum ging schlussendlich zugunsten von Bennetts Regierung aus. Ein erschöpftes, aber glückliches Lächeln trug jener Mann im Gesicht, der diese Koalition in nächtelangen Verhandlungen vermittelt hatte: Jair Lapid. Der Chef der Jesh-Atid-Partei hatte den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten, ließ aber Bennett den Vortritt als Premierminister und nimmt selbst mit dem Außenministerium vorlieb. In zwei Jahren soll Lapid dann Bennett als Regierungschef ablösen.

Eigentlich hatte Lapid am Dienstag ebenfalls eine längere Rede halten wollen. Er trat nach Bennett ans Pult. Nur um zu sagen, dass heute auch seine 86-jährige Mutter auf den Besucherbänken sitze. "Als sie geboren wurde, gab es keinen Staat Israel, und wir hatten kein Parlament", sagte Lapid. Er habe sie eingeladen, damit sie stolz auf das Parlament sein könne. "Stattdessen schämt sie sich für euch", sagte Lapid in Richtung der Ruhestörer im Netanjahu-Lager. "Und das zeigt uns, warum es Zeit ist, euch abzulösen." (Maria Sterkl aus Jerusalem, 13.6.2021)