Annalena Baerbock wurde am Grünen-Parteitag mit 98,5 Prozent zur ersten Kanzlerkandidatin der deutschen Grünen gewählt. Da applaudiert auch ihr Co-Chef Robert Habeck. Er hätte den Job ebenfalls gern gehabt.

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Am Sonntagnachmittag steht Annalena Baerbock sichtlich entspannt auf der Bühne. Sie lächelt und klatscht zur Musik, dann spricht sie ihre Schlussworte: " Jetzt beginnt der richtige Wahlkampf, und wir sind gerüstet wie noch nie."

Hinter ihr liegen drei Tage Grünen-Parteitag, abgehalten in der Berliner Eventlocation Station, die früher ein Postbahnhof war.

Zu Beginn, am Freitag, hatte nicht Baerbock, sondern ihr Co-Chef Robert Habeck um Unterstützung geworben und dabei gleich Bezug auf die Pannen der vergangenen Woche genommen.

Nach einem starken Start bei ihrer Nominierung zur Kanzlerkandidatin im April waren die Grünen in Umfragen zunächst auf den ersten Platz gelangt. Doch dann musste Baerbock ihren Lebenslauf mehrmals korrigieren und einräumen, dass sie vergessen hatte, Nebeneinkünfte dem Bundestag zu melden.

"Wir werden die Fehler abstellen"

"Wir haben Fehler gemacht, und unter dem grellen Licht eines frühen Wahlkampfs werden kleine Fehler groß und Fehler zu Skandalen", sagte Habeck und betonte: "Wir haben uns darüber geärgert und es analysiert, und wir werden die Fehler abstellen."

Am Samstag kam auch Baerbock noch einmal auf die Patzer zu sprechen und erklärte, dass sie sich über ihre Fehler "tierisch" geärgert habe.

Dann aber richtete sie den Blick nach vorn und betonte: "Wir haben die Kraft zur Veränderung." Es sei die "große Aufgabe unserer Zeit", die Klimakrise abzuwenden. Sie trete an, um die bisherige Politik der Regierung zu beenden. "Keine Ausreden mehr, kein Wegducken, kein Weiterwurschteln" – dies müsse nun der Leitgedanke sein.

Nervöse Baerbock

Baerbock, der die Nervosität zunächst anzusehen war, erinnerte auch daran, dass die Deutschen schon so viel geschafft hätten: den Wiederaufbau nach dem Krieg, die friedliche Revolution im Osten, den Aufbau Europas. Das sei nie selbstverständlich gewesen, sondern "immer ein Wagnis, ein Risiko".

Ihr Ziel sei es, klimagerechten Wohlstand zu schaffen. Produkte und Dienstleistungen der Zukunft würden klimaneutral sein. "Die Frage ist nicht, ob das kommen wird, sondern wer es am besten macht", sagte Baerbock. Und: "Ich will, dass wir ganz vorne mit dabei sind."

Der deutschen Industrie schlägt sie einen Pakt vor: Der Staat werde jene Kosten übernehmen, die für Unternehmen auf dem Weg zur Klimaneutralität noch anfallen.

"Statt verhindern und abwarten will ich ermöglichen", sagte sie und rief: "Lasst uns aus diesem Umbruch einen Aufbruch machen." Der Wahlkampf werde ein Duell mit der Union. Doch Baerbock zeigte sich kampfesbereit: "Wir haben uns 40 Jahre darauf vorbereitet. Jetzt ist der Moment, unser Land zu erneuern. Alles ist drin."

"Scheiße"

Zum Schluss gab’s noch eine unfreiwillige Draufgabe. "Scheiße", entfuhr es ihr, als das Mikrofon noch an war. Später hieß es, sie habe sich über einen Versprecher während ihrer Rede geärgert. Zur ersten Kanzlerkandidatin der deutschen Grünen wurde sie mit 98,5 Prozent gewählt.

Auch inhaltlich lief es für die grüne Parteispitze während der drei Tage gut. Vor dem Parteitag hatte die streitlustige Basis 3280 Änderungsanträge zum Wahlprogramm eingebracht. Doch dann setzte sich in den umstrittenen Punkten der Vorstand durch.

Die Grünen wollen den Preis für eine Tonne CO2 von 25 auf 60 Euro erhöhen, nicht – wie von der Regierung geplant – auf 55. Sie treten für ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen und eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 48 Prozent ein. Sozialhilfebezieher sollen monatlich 50 Euro mehr erhalten, der Mindestlohn soll von 9,50 auf zwölf Euro steigen.

"Deutschland" im Titel

Das Programm heißt nun auch "Deutschland. Alles ist drin". Anträge auf Streichung des Wortes "Deutschland" wurden zurückgezogen und gar nicht abgestimmt.

Kritik an den Plänen kommt von Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU). "Die Energiewende muss sozial verträglich sein. Das fehlt mir bei den Grünen", sagte er der Bild am Sonntag.

Auch eine Erhöhung des Mindestlohns und des Spitzensteuersatzes lehnt er ab. Überhaupt hätte er gern einen anderen Koalitionspartner: "Die FDP steht uns inhaltlich deutlich näher als die Grünen." (Birgit Baumann aus Berlin, 13.6.2021)