Düfte sind vergänglich – würde man meinen. Chanel No. 5 ist der lebendige Gegenbeweis. Entstanden ist das goldgelbe Parfüm anno 1921, also vor einer Ewigkeit, als die meisten Frauen noch Bäuerinnen und Hausfrauen waren und höchstens etwas Rosenduft auflegten.

Eine ihrer Exponentinnen war Gabrielle Chanel, eine eigenwillige Modeschöpferin, eine Frühwaise, die klein begonnen hatte und sich nur "Näherin" nannte. Ihr exzentrischer Wunsch an Ernest Beaux, einen russischstämmigen Franzosen: Er solle ein Parfüm schaffen, das nicht bloß aus Lilien oder Rosenkonzentrat bestehe, sondern eine ausgetüftelte Schöpfung aus mehreren Duftnoten darstelle, "gestrickt wie ein Kleid". Eine solche neuartige Kombination entspreche der "Komplexität einer Frau", sagte die 38-jährige Pariserin.

Nummer Fünf

Beaux erarbeitete mehrere Duftproben. Die fünfte gefiel "Coco" Chanel. Es war ihre Glückszahl. Und gleich auch der Name des Parfums. Eine schnöde Zahl für ein Produkt der Schönheit und des Wohlfühlens? Ja, und für eines, das die Frau überall dort auftragen sollte, "wo sie geküsst werden will", doppelte Coco nach, ihrer Zeit weit voraus.

Der extravaganten Französin mangelte es nicht an Intuition und Mut. Die Melange mehrerer Duftnoten, für heutige Parfüms eine Selbstverständlichkeit, war damals revolutionär. Ebenso neu war auch die Verbindung von Mode und Parfum – etwas, das heute jeder bessere Luxuskonzern befolgt.

Ein Parfum, das aus mehreren Duftnoten besteht, gestrickt wie ein Kleid, das schwebte der eigenwilligen Modeschöpferin Gabrielle Chanel dereinst vor.
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Und wie lautet bitte die Zusammensetzung von No. 5 ? "Die handschriftliche Formel von Ernest Beaux aus dem Jahre 1921 liegt in meinem Safe", erklärt die heutige "Nase" des Chanel-Konzerns, Olivier Polge. Ihm zufolge besteht die ominöse No. 5 aus gut 80 Ingredienzen, die Chanel heute selber produziere. Die Kopfnote der ersten Viertelstunde besteht unter anderem aus Bergamotte, Neroli und Ylang-Ylang; die anhaltende Herznote enthält Iris, Jasmin, Maiglöckchen und Mairose, die unterliegende Basisnote Amber, Sandelholz, Vanille und Vetivergras.

Die beste, weil unfreiwillige Werbung machte einmal Marilyn Monroe. Auf die wenig diskrete Journalistenfrage, welche Art von Schlafgewand sie trage, hauchte sie, sie brauche nur "ein paar Tropfen No. 5". So entstehen Legenden. Chanel-Vertreterin Anna von Hahn will nicht einmal bestätigen, was ohnehin klar ist: No. 5 ist das meistverkaufte Parfum aller Zeiten.

Immerhin leistet sich No. 5 nun Werbe-Ikonen wie Marion Cotillard, Nicole Kidman oder Gisele Bündchen. Brad Pitt – auch Männer haben Nasen – sagt in einem Spot ohne jede Musik und Bewegung: "Wo immer ich hingehe, bist du." Von den viereckigen Fläschchen mit dem viereckigen Etikett geht heute nach Branchenschätzungen jedes Jahr eine Million über den Ladentisch, obwohl der Duft für heutige Geschmäcker etwas zu wenig süß, vielleicht gar eine Spur zu pudrig sein soll. Dafür gibt es dieser Tage Ableger wie das "No. 5 Eau", mit dem Olivier Polge – erst die vierte "Nase" des Unternehmens in über einem Jahrhundert – eine frischere, zeitgenössische und durchsichtige Version geschaffen hat.

Die eigenwillige Modeschöpferin Coco Chanel im Jahre 1960.
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Wie viel No. 5 über ein Jahrhundert eingespielt hat, behält die Eignerfamilie Wertheimer für sich. Sie war 1924 bei Coco Chanel eingestiegen und besitzt das Unternehmen Chanel bis heute. 2018 hat das Gebrüderpaar Alain und Gérard Wertheimer erstmals überhaupt Geschäftszahlen vorgelegt: Jahresreingewinn 1,5 Milliarden Euro, Gesamtumsatz 8,6 Milliarden, erwirtschaftet von 28.000 Angestellten in den Sparten Mode, Parfum, Kosmetik, Uhren und Schmuck. Sie leisten ganze Arbeit: 2019 erreichte das Luxuslabel mit den zwei ineinander verschlungenen "C" bereits einen Umsatz von fast 11 Milliarden Euro.

Ein Duft, ein Weltkonzern

No. 5 trägt dazu nur noch einen kleinen Teil bei. Das macht seine Leistung nur noch größer, bedenkt man, dass der Weltkonzern Chanel seine Existenz nicht zuletzt einem Duft zu verdanken hat. Gerüchteweise heißt es, die Verkäufe von No. 5 hätten während der Pandemie zugenommen. Ein Parfumflakon ist zwar keine Wertanlage, wie es die Taschen von Louis Vuitton, Gucci oder Chanel während der Covid-Krise geworden sind. Aber ein wenig No. 5 zu Hause stehen zu haben ist auch etwas, und nicht zuletzt ein Akt wider die Schnelllebig- und Vergänglichkeit dieser Welt. (Stefan Brändle, 14.6.2021)