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Nicht alles, was den Handel erschwerte, war Corona geschuldet: Das riesige Containerschiff Ever Given lief im März im Suezkanal auf Grund und blockierte dadurch diese wichtige Handelsroute.

Foto: Reuters / Mohamed Abt el Ghany

Vor nicht einmal zwölf Monaten sagten viele ein Ende der Globalisierung voraus. Die Pandemie destabilisierte die Lieferketten, und die Regierungen, die sich plötzlich mit den daraus resultierenden Schwächen und Abhängigkeiten konfrontiert sahen, ermutigten zur Rückholung der Produktion wichtiger Güter. Heute sind die Aussichten viel besser. Es gibt wenige Hinweise auf eine nachhaltige Abkehr von globalen Lieferketten. Viele Regierungen haben erkannt, dass der Handel für die nationale Souveränität mehr Chance als Bedrohung darstellt. Die Welthandelsorganisation geht inzwischen für 2021 von einer Zunahme des Welthandels um acht Prozent aus, was den Rückgang des letzten Jahres von 5,3 Prozent mehr als ausgleicht.

Keine Überraschung

Es stimmt, dass die ausländischen Direktinvestitionen dieser Entwicklung nach ihrem steilen Rückgang um 42 Prozent in 2020 noch hinterherhinken. Europa verzeichnete sogar einen negativen Investitionsfluss. Doch die unterschiedlichen Auswirkungen der Pandemie auf Handel und Investitionen sind keine Überraschung. Waren um die Welt zu transportieren erfordert kaum physische menschliche Interaktion. Riesige, häufig ferngesteuerte Kräne be- und entladen die Container, und Supertanker pumpen das Öl an Land.

Weniger anfällig

Im Gegensatz dazu erfordert die Übernahme eines Unternehmens oder die Gründung einer neuen Fabrik in einem anderen Land Reisen für Treffen mit potenziellen Partnern und oft engen Kontakt zu ausländischen Regierungen, um Genehmigungen zu erhalten. Pandemiebedingte Grenzschließungen und Reisebeschränkungen haben dies offensichtlich erschwert. Doch sind ausländische Direktinvestitionen für ihre Volatilität berüchtigt. Sie stürzen häufig in einem Jahr steil ab und erholen sich im nächsten; daher könnten sie 2021 noch immer deutlich steigen. Tatsächlich registriert die OECD bereits Anzeichen einer Erholung.

Gestärktes Multisourcing

Auch haben sich die globalen Lieferketten als weniger anfällig erwiesen als von vielen befürchtet. Die Vorstellung einer "Lieferkette" beschwört ein Bild eines fragilen Arrangements herauf, bei dem jedes Unternehmen von Zulieferungen des vorhergehenden Kettenglieds angewiesen ist. Und eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Präziser ist es, von zusammenhängenden Lieferantennetzen zu sprechen. Die meisten Unternehmen haben für wichtige Komponenten mehr als einen Lieferanten, und multinationale Unternehmen mit Niederlassungen in vielen Ländern beschaffen Betriebsstoffe aus vielen anderen Ländern. Die Pandemie hat dieses Multisourcing gestärkt, statt eine Abkehr von der Arbeitsteilung auszulösen. Zwar haben Regierungen beinah überall während der Pandemie in den Handel eingegriffen, um akute Verknappungen von wichtigen Produkten wie persönlicher Schutzausrüstung und Covid-19-Impfstoffen zu bekämpfen. Doch spielen diese Produkte – auch wenn sie im Zusammenhang der Pandemie lebenswichtig sind – gesamtwirtschaftlich nur eine marginale Rolle. Die reichen Länder könnten zum Preis von nicht einmal einem US-Dollar pro Woche für jeden ihrer Bürger die ganze Welt impfen.

Furcht vor Abhängigkeit

Die Hauptgefahr ist, dass die Regierungen aus Furcht vor einer Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten vieler anderer wichtiger Produkte protektionistische Maßnahmen ergreifen. Ausgelöst durch die Sorge der EU, dass eine derartige Abhängigkeit den Block verwundbar für politischen Druck vonseiten feindseliger Regierungen machen könnte, hat die EU-Kommission vor kurzem eine faszinierende Studie über strategische Abhängigkeiten und Kapazitäten erstellt.

Strategische Vorräte

Die Kommission hat dabei mehr als 5000 Produkte untersucht und nur 137 in den sensibelsten Sektoren gefunden – auf die wertmäßig rund sechs Prozent aller EU-Importe entfallen –, bei denen die EU hochgradig von Importen von außerhalb des Blocks abhängig ist. Bei 34 dieser Produkte, die lediglich 0,6 Prozent aller Importe darstellen, könnte die EU aufgrund geringer Möglichkeiten zur weiteren Importdiversifizierung oder zur Substitution durch EU-Produktion besonders verletzlich sein. Für die überwiegende Mehrzahl der Produkte verfügen große Volkswirtschaften wie die EU also über eine ausreichend diversifizierte Lieferbasis, um sie von einem einzigen Lieferanten unabhängig zu machen. Und auf die wenigen Waren, für die womöglich nur eine einzige Quelle existiert, hätten breit ausgelegte protektionistische Maßnahmen wie Zölle oder Quoten kaum Auswirkungen. Darüber hinaus handelt es sich bei den meisten der 137 sensiblen Produkte um Rohstoffe und verbundene Waren, die sich leicht lagern lassen. Es wäre daher relativ einfach, strategische Vorräte dieser Waren anzulegen.

Wichtige Abkommen

Letztlich scheinen die Regierungen in Reaktion auf die Covid-19-Krise nicht in Protektionismus verfallen zu sein. Obwohl noch keine präzisen Daten über neue Handelsbarrieren zur Verfügung stehen, legt die starke Ausweitung des Handels in 2021 nahe, dass der Einsatz derartiger Maßnahmen begrenzt gewesen sein dürfte. Tatsächlich waren einige Regierungen eifrig darum bemüht, zur Unterstützung der Erholung mehr Handelsmöglichkeiten zu schaffen. Eine Gruppe von 15 Ländern aus dem asiatisch-pazifischen Raum, auf die 30 Prozent der Weltwirtschaft entfallen, hat dafür ein neues Freihandelsabkommen, die "Regionale umfassende Wirtschaftspartnerschaft", unterzeichnet. Die EU hat derweil zwei wichtige Abkommen geschlossen: das sogenannte Umfassende Investitionsabkommen mit China und ein Freihandelsabkommen mit dem Mercosur-Block in Lateinamerika. Die Ratifizierung beider Abkommen steht in Zweifel, aber nicht aufgrund wirtschaftlicher Bedenken.

Die globalen Lieferketten haben die Pandemie intakt überstanden. Die tiefe Rezession hat keine Welle des Protektionismus ausgelöst. Das ist gut für den Welthandel und wohl auch für die ausländischen Direktinvestitionen – und legt nahe, dass Prognosen über einen Niedergang der Globalisierung verfrüht waren. (Daniel Gros, Übersetzung: Jan Doolan, Copyright: Project Syndicate, 14.6.2021)