Protestkundgebung am 14. Juni 2020 – auch für dieses Jahr ist wieder ein Frauenstreik geplant.

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Genf – Während in der Schweiz für den Montag feministische Gruppen zu einem Frauenstreik aufgerufen haben, zeigt sich, dass der Gender-Pay-Gap zwischen Frauen und Männern zunimmt. Die durchschnittliche Lohnlücke hat sich zwischen 2014 und 2018 vergrößert. Das sei auf den Mangel an politischem Willen zurückzuführen, erklären einige feministische Kollektive. Über die gesamte Schweizer Wirtschaft verdienten Frauen 2018 im Schnitt 19,0 Prozent weniger als Männer. 2014 waren es noch 18,1 Prozent gewesen, wie die neuesten Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) zeigen.

Am 14. Juni haben in der Schweiz bereits früher große Frauenstreiks stattgefunden. 1991 nahmen hunderttausende Frauen an Streik- und Protestaktionen teil, die Uhrenarbeiterinnen im Vallée de Joux aufgrund ungleicher Löhne initiiert hatten.

"Unerklärbare" Lohnlücke

"Etwas mehr als die Hälfte der beobachteten Ungleichheit beim Bruttolohn zwischen Frauen und Männern im privaten Sektor in der Schweiz lässt sich durch ein unterschiedliches Qualifikations-, Ausbildungs- oder Berufserfahrung erklären", sagt Giovanni Ferro-Luzzi, außerordentlicher Professor an der Universität Genf. "Der andere Anteil, der nicht erklärt werden kann, ist möglicherweise diskriminierend."

Dieser "unerklärbare Anteil", wie ihn das BFS nennt, hat in der Schweiz über alle Wirtschaftssektoren hinweg von 42,4 Prozent im Jahr 2014 auf 45,4 Prozent im Jahr 2018 zugenommen. Laut BFS bedeutet das, dass Frauen im Jahr 2018 in der Privatwirtschaft pro Monat um 684 Franken brutto weniger verdienten.

Dicke gläserne Decke

Frauen hätten auch zusätzliche Hürden bei der Beförderung zu überwinden. "Die hierarchische Position im Unternehmen ist messbar und stellt sicherlich auch eine mögliche Folge von Diskriminierung gegenüber Frauen dar", erklärt Ferro-Luzzi. Das Phänomen ist die berühmte "gläserne Decke".

Im jüngsten Bericht der Firma Equileap entpuppt sich die Schweiz als eines der Schlusslichter in Bezug auf die Gleichbehandlung in Führungspositionen. "Die Schweiz ist das Land, in dem Frauen die geringsten Aufstiegschancen haben", heißt es. Die Zahlen offenbaren eine dicke gläserne Decke, auch wenn der Frauenanteil an der Arbeitsbevölkerung mit 39 Prozent bedeutend ist.

Für Anne Fritz, Mitglied des Genfer Feministischen Streikkollektivs, gibt es in Schweizer Unternehmen eindeutig Machismus und Sexismus. "Und die Segregation der Arbeit, das heißt, dass Frauen in den prekärsten und am schlechtesten bezahlten Branchen übervertreten sind, hilft auch nicht."

Feministische Welle

Von den Tieflohnbezieher*innen mit weniger als 4.000 Franken pro Monat für eine Vollzeitbeschäftigung waren im Jahr 2018 60,9 Prozent Frauen. An der Spitze der Gehaltspyramide stehen dagegen Männer. Sie machten 2018 laut BFS 81,2 Prozent der Beschäftigten aus, die mehr als 16.000 Franken verdienten.

Diese Ungleichheit werde zunehmend von jüngeren Menschen angeprangert, so Anne Fritz. "Ich glaube, wir erleben eine feministische Welle in den jüngeren Generationen." Dieser Kampf habe breitere Schichten der Bevölkerung erfasst. Dazu hätten soziale Netzwerke beigetragen, auf denen die Menschen ihre Meinung einfacher ausdrücken könnten.

Eine halbe Million

"Sei es die jüngere Generation oder diejenigen, die 1991 am ersten Frauenstreik teilgenommen haben, die Schweizer Frauen spüren Betroffenheit und zeigen Engagement", sagt Regula Bühlmann, Leiterin der Abteilung Gleichstellung beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB), "das gibt mir Hoffnung."

In den vergangen Jahren wurde europaweit von feministischen Initiativen verstärkt zu Frauenstreiks aufgerufen. Am 14. Juni 2019 fand in der Schweiz ein zweiter großangelegter Frauenstreik statt. Laut den Organisator*innen nahmen über 500.000 Teilnehmer*innen im ganzen Land an Demonstrationen und Kundgebungen teil. Auch im Jahr 2020 gab es am 14. Juni diverse feministische Aktionen. (APA, red, 14.6.2021)