Eine Aufnahme des betreffenden Vorfalls.

Foto: Lukas David Beck

Vor mittlerweile fast genau zwei Jahren veranstalteten Aktivistinnen und Aktivisten eine Sitzblockade auf der Straße bei der Wiener Urania. Als die Polizei die Blockade auflösen wollte, kam es zu Tumulten und Festnahmen. Danach entbrannte eine öffentliche Debatte über Polizeigewalt. Mehrere Fälle zogen Gerichtsverhandlungen nach sich. Auch der besonders aufsehenerregende Fall von Anselm Schindler: Der Mann wurde bei seiner Festnahme so auf dem Boden fixiert, dass er unter einem anfahrenden Polizeibus zu liegen kam. Im letzten Moment wurde sein Kopf vor dem Autoreifen weggezogen.

Vor dem Landesverwaltungsgericht wurde Schindler schon zweimal recht gegeben. Einmal wurde seine Festnahme und damit die gesamte Amtshandlung als rechtswidrig erkannt. In diesem Fall hatte Schindler selbst Maßnahmenbeschwerde eingereicht. Das andere Mal hob das Gericht eine Strafe gegen Schindler auf, die die Wiener Landespolizeidirektion ihrerseits gegenüber dem Aktivisten ausgestellt hatte. Er habe anschließend "ein paar Hundert Euro" Schadenersatz im Zuge eines Amtshaftungsverfahrens geltend machen können, sagt Schindler zum STANDARD.

Nun folgt am Dienstag eine Verhandlung am Landesgericht für Strafsachen. Ein Beamter, der führend an Schindlers Festnahme beteiligt war, ist wegen Amtsmissbrauchs und falscher Beweisaussage angeklagt. Die Anklage liegt dem STANDARD vor. Laut der Darstellung der Staatsanwaltschaft kam es während der Auflösung der Blockade zu einer Versammlung von Sympathisanten. An dieser nahm auch Schindler teil, er machte Videos und beobachtete die Situation.

Der Angeklagte habe die Aufgabe gehabt, die Unterstützer zurückzudrängen. Nach zwei entsprechenden Aufforderungen habe sich Schindler vom Ort des Geschehens wegbewegt. Und trotzdem wurde er wenige Sekunden später, so die Darstellung, vom Angeklagten mit der Unterstützung zweier weiterer Beamter in den eigentlich durch die Polizei abgesperrten Bereich gezogen und dort eben auf fragwürdige Art und Weise auf dem Boden fixiert.

Weitere Ermittlungen laufen noch

Sowohl die Festnahme an sich als auch die Anzeige gegen Schindler wegen angeblich aggressiven Verhaltens gegenüber der Polizei werden dem angeklagten Beamten zur Last gelegt. Auch ein In-Kauf-Nehmen einer Körperverletzung wird durch die Staatsanwaltschaft thematisiert, allerdings nicht extra angeklagt. Sie wird als Teil des Amtsmissbrauchs gesehen. Die Anklage wegen falscher Beweisaussage geht auf eine Äußerung bei der bereits zuvor erwähnten Verhandlung am Verwaltungsgericht zurück, bei der der Beamte laut der Staatsanwaltschaft "tatsachenwidrig" behauptet habe, dass aufgrund des Verhaltens von Schindler die Voraussetzungen für eine Festnahme vorgelegen seien.

"Wer gegen die Polizei aussagt, muss mit viel Gegenwind rechnen", schreibt Schindler in einem Statement an den STANDARD im Vorfeld des Prozesses. Er berichtet auch davon, dass ihm Anstiftung zum Amtsmissbrauch vorgeworfen wurde, was so wie die anderen Vorwürfe fallengelassen worden sei. Von der Verhandlung erwartet er sich, dass "weiter über Polizeigewalt geredet wird". Er hoffe, dass er anderen Mut machen könne: "Auch wenn ich weiß, dass das für viele Menschen nicht so einfach ist wie für mich, insbesondere Migrant:innen und Geflüchtete haben viel weniger Möglichkeiten, sich zu wehren."

Der Angeklagte bestreitet die Vorwürfe. Voraussetzungen für die Festnahme seien sehr wohl vorgelegen. Zudem habe er die Tatsachen so protokolliert, wie er sie in Erinnerung gehabt habe. Auch gegen den Beamten, der den Bus fuhr, liegt ein Strafantrag wegen Gefährdung der körperlichen Sicherheit vor. Diese Sache wird allerdings separat verhandelt. Insgesamt wird nach Auskunft der Wiener Staatsanwaltschaft noch gegen sechs weitere Beamte im Zusammenhang mit dieser Klimademo ermittelt. (Vanessa Gaigg, 15.6.2021)